Rede zur Ausstellungseröffnung und Enthüllung des Gedenkobjekts „Orte der Demokratie in Bayern“ am 13. Oktober 2021 im Senatssaal

Um Orte, an denen bayerische Demokratiegeschichte geschrieben wurde, öffentlich sichtbar zu machen und ins Bewusstsein zu rücken, hat der Bayerische Landtag das Projekt "Orte der Demokratie in Bayern" ins Leben gerufen. In Anwesenheit der Vertreter und Vertreterinnen aller Landtagsfraktionen sowie dem Präsidium des Bayerischen Landtags enthüllten Bundespräsident a.D. Dr. Joachim Gauck und die Landtagspräsidentin Ilse Aigner das Gedenkobjekt und eröffneten damit die Wanderausstellung zur Demokratiegeschichte.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Ich begrüße den ehemaligen Bundespräsidenten
Dr. Joachim Gauck und Sie, sehr verehrte Frau Schadt!

Lieber Herr Dr. Gauck,

soeben habe ich Sie mit der Bayerischen Verfassungsmedaille in Gold auszeichnen dürfen.

Nun heben Sie mit uns das Projekt „Orte der Demokratie in Bayern“ aus der Taufe.

Einen besseren Paten können wir uns nicht wünschen.

Verkörpern Sie doch die zentralen Botschaften,
die wir mit diesem Projekt verbinden:
Ein klares, kämpferisches, beherztes Bekenntnis – zu Freiheit, Demokratie, Parlamentarismus und Menschenrechten!

 

Für das Präsidium begrüße ich stellvertretend die Vizepräsidenten Karl Freller, Thomas Gehring, Alexander Hold, Markus Rinderspacher und Dr. Wolfgang Heubisch.

 

Für den Beirat darf ich stellvertretend die Vorsitzenden willkommen heißen, meinen Kollegen und Beauftragten der Staatsregierung Dr. Ludwig Spaenle und Herrn Professor Ferdinand Kramer.

Mein tiefer Dank gilt dem gesamten Beirat für die wertvolle Arbeit an diesem wichtigen Projekt.

 

Stellvertretend für die Fraktionen begrüße ich

Professor Winfried Bausback,

Gülseren Demirel,

Florian Streibl,

Margit Wild,

Markus Bayerbach,

Mathias Fischbach.

 

Neben den Abgeordneten aus den „Orten der Demokratie“ freue ich mich, dass auch
viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Vertreterinnen und Vertreter der Kommunalpolitik
heute unter uns sind –

Ihnen allen ein herzliches Willkommen!

 

Für das Landtagsamt begrüße ich Herrn Direktor Peter Worm.

Ein herzliches Grüß Gott dem Hausherren Hanspeter Beißer.

Vielen Dank den Künstlern Sabine Ackstaller und Moritz Schweikl, die mit Ihrem Wettbewerbsbeitrag überzeugt haben. Er steht ab heute für die Orte der Demokratie.

Herzlich heiße ich das gesamte Ausstellungsteam willkommen und darf stellvertretend die Ausstellungsmacherin Laura Mokrohs begrüßen.

 

Ein großes Dankeschön auch unserer Moderatorin:
Vera Cornette.

 

Ich begrüße, als wäre nichts gewesen,
dabei sind Freude und Erleichterung ungemein:

Wir erleben diesen Saal wieder gut besetzt –
Corona und die verfügbaren Regularien lassen es zu.

Ein Stück Normalität, Lebensqualität, Lebensfreude!

Und ein gutes Stück politischer Kultur,
politisches Engagement, ja politisches Lebenselixier:

Zusammenkommen, Diskurs, auch das Einende
– in dieser Feierstunde.

Das tut gut!

In diesem Sinne Ihnen allen ein sehr herzliches Willkommen!

 

„Wenn es morgens um 6 Uhr an meiner Tür läutet
und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist,
dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe.“

 

Eine Aussage von Winston Churchill – ein Verweis auf die menschenverachtenden, unterdrückenden, einschüchternden Methoden und Apparate in Unrechtsstaaten.

  • Menschen wie Georg Elser, Dietrich Bonhoeffer oder die Geschwister Scholl wurden für ihren Kampf um Freiheit und Menschenrechte ermordet.

 

Aber wir müssen nicht in die Vergangenheit blicken.

  • Über Wochen haben wir in Afghanistan miterlebt, wie Freiheit, Gleichstellung, Pluralismus, von Demokratie ganz zu schweigen, Stunde um Stunde verdrängt und zerstört wurden.
  • Alexei Nawalny überlebte nur knapp einen Mordanschlag und sitzt in einem russischen Straflager für seinen Kampf um Demokratie und Rechtsstaat.
  • In Hongkong kämpft Joshua Wong für Meinungs- und Pressefreiheit – und wurde dafür wiederholt inhaftiert.

 

In diesen Minuten riskieren – und opfern – weltweit unzählige Menschen Leib und Leben für Rechte, die nur die Demokratie gibt und schützt.

Wir – in der Bundesrepublik Deutschland – sind privilegiert.

Angelehnt an Churchill will ich sagen:

Wenn ein Bürgerrechtler, aus der Diktatur kommend,
unser Bundespräsident wird
und ich – als Frau – ihre Parlamentspräsidentin –
dann wissen wir, dass wir in einer Demokratie leben.

 

Meine Damen und Herren,

wir wissen, dass wir in einer Demokratie leben, in Einigkeit und Recht und Freiheit und relativem Wohlstand noch dazu.

Aber schätzen wir es – in dem Maß, wie es angemessen wäre?

Mir scheint, viele Menschen machen sich kaum mehr bewusst, wie privilegiert wir sind.

Auch das ist letztlich Ausdruck einer demokratischen Wohlstandsgesellschaft.

Doch das Problem vermeintlicher Selbstverständlichkeit ist:

Politische Systeme sind sterblich.

 

Kurz bevor Donald Trump Präsident wurde,
verabschiedete sich Barack Obama mit den Worten:

„Die Demokratie ist immer dann am meisten gefährdet, wenn die Menschen beginnen, sie für selbstverständlich zu halten.“

Wenig später erlebten wir in einer Heimstätte der Demokratie, wie vermeintlich Selbstverständliches abgeräumt wurde.

Ungeahnt schnell, radikal.

 

Demokratien erhalten sich nicht von selbst.

Der Text des Grundgesetzes entscheidet nicht über die Stabilität unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Die Bürgerinnen und Bürger tun es.

Ihre Entschiedenheit tut es.

Ihre Entscheidung,
unserem freiheitlichen Gemeinwesen einen höheren Wert beizumessen als eigener Bequemlichkeit oder Vorlieben.

Der vielleicht größte Feind der Demokratie ist die Gleichgültigkeit, das Gewährenlassen der Radikalen.

Das heißt:

Jede und jeder ist mitverantwortlich für unser Land, unsere Freiheiten.

Demokratie lebt von Demokratinnen und Demokraten.
 

Unser freiheitlicher, demokratischer Staat braucht die Akzeptanz, den Bewahrungs- und den Gestaltungswillen seiner Bürgerinnen und Bürger.

Demokratie ist nie nur Gabe.

Sie ist eine Aufgabe.

 

Dieser Aufgabe widme ich meine Präsidentschaft.

Keinen Tag dürfen wir diese Aufgabe liegen lassen.

Uns niemals auf Errungenem ausruhen.

Denn die Feinde der Demokratie lassen nicht nach.

Das erleben wir – und müssen dafür nicht weit vor die Tür gehen.

 

Um die Brisanz dieser Aufgabe bewusst zu machen,
um ihren Inhalt zu definieren, haben wir eine Kultur des Erinnerns etabliert.

Lieber Karl Freller, da wende ich mich auch an Dich als Stiftungsdirektor.

Unsere Erinnerungskultur ist singulär auf der Welt.

Sie basiert allerdings auch auf einer einzigartigen Geschichte.

Sie arbeitet speziell unsere jüngere Vergangenheit,
die ungeheuerlichen Verbrechen in deutschem Namen,
an Täter- und Tatorten schonungslos auf.

Aber sie verharrt nicht im Gestern.

Sie schlägt die Brücke in die gegenwärtige Verantwortung.

Zu der unbedingten Selbstverpflichtung im Ringen um Demokratie, um Einigkeit und Recht und Freiheit.

 

Auf dieser Erinnerungskultur aufbauend markiert der Bayerische Landtag mit den „Orten der Demokratie“ strahlende Fixpunkte, Orientierungspunkte.

Orte, an denen Demokratiegeschichte geschrieben wurde – und wie hier, im Maximilianeum, geschrieben wird!

 

Wir wollen die Demokratie feiern.

Selbstbewusst.

Auch mit ein bisschen Stolz

Wir wollen der Demokratie – buchstäblich – Glanz verleihen; mit dem goldenen „Würfel der Demokratie“.

An Orten in Bayern, an denen sich für die Entwicklung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung wegweisende Ereignisse zugetragen haben.

An Orten, entscheidenden Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates.

An Orten, an denen herausragende Persönlichkeiten, Vorbilder gewirkt haben.

Diese Orte sollen sichtbar werden, wirken, motivieren – gegen die Selbstverständlichkeit. 

Das sind die Orte:

  • Im Maximilianeum enthüllen wir die erste Erinnerungs-Stele und eröffnen die begleitende Wanderausstellung.

Das Maximilianeum ist seit 1949 das Herz des demokratischen Neuanfangs in Bayern, der Sitz des Parlaments.

  • Von 1819 bis 1933 war der Landtag in der Münchner Prannerstraße 8 beherbergt.

Zunächst noch als Ständeversammlung, ab 1848 als Landtag mit zwei Kammern.

  • Im Haus der Kramerzunft in Memmingen pochten die Bauern während des Bauernkriegs vor rund 500 Jahren auf das, was wir heute als Grundprinzipien für das politische Gemeinwesen definieren – auf Freiheit, Selbstbestimmung und Mitbestimmung.
  • Ab 1594 wurde der Reichstag ausschließlich im Regensburger Reichssaal gehalten und ab 1663 nicht mehr aufgelöst. Mit dem „Immerwährenden Reichstag“ wurde die Stadt ein zentraler Ort für europäische Aushandlungsprozesse.
  • Beim Gaibacher Fest im Mai 1832 wurden Forderungen nach liberalen und demokratischen Umgestaltungen laut.

Die Ereignisse in Gaibach stehen stellvertretend für den Weg hin zur parlamentarischen Demokratie in Bayern.

  • Im Saalbau des Nürnberger Industrie- und Kulturvereins gründeten im Juli 1919 Vertreter der deutschen Gewerkschaften den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund.  

Er trat in der Weimarer Republik für den Schutz der parlamentarischen Demokratie ein.

Andererseits verabschiedeten die Nationalsozialisten hier 1935 die „Nürnberger Gesetze“.
Mithin zeigt der Ort zugleich die Verletzbarkeit von Demokratie und mahnt zum Eintreten gegen Antisemitismus und jede Form der Menschenverachtung. Deshalb, aber auch weil der historische Saal nicht mehr existiert, haben wir uns mit der Stadt Nürnberg entschieden, den Gedenkakt am Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu feiern.

  • Im Spiegelsaal der Bamberger Harmonie entstand 1919 mit dem zentralen Satz „Die Staatsgewalt geht von der Gesamtheit des Volkes aus.“ die erste demokratische Verfassung des Freistaats.
  • Wohlmuthshüll wurde ein Symbol für den Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg: Der Ort steht für Distanz zum NS-Regime und einen frühen Akt demokratischer Willensbildung nach Kriegsende.
  • Ebenfalls mit dem demokratischen Wiederaufbau nach 1945 fest verbunden ist die Große Aula der LMU, in der die „Verfassunggebende Landesversammlung“ tagte und die erste konstituierende Sitzung des Bayerischen Landtags stattfand.
  • Im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift auf Herrenchiemsee tagte im August 1948 ein Verfassungskonvent, dessen Entwurf eine wichtige Grundlage für das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wurde.
  • In Passau riefen 1952 US-Offiziere mit der Stadt die Europäischen Wochen ins Leben – ein Anstoß für den europäischen Einigungsprozess.
  • In Ermershausen protestierten die Bewohnerinnen und Bewohner 15 Jahre gegen die Eingemeindung und für ihre Eigenständigkeit – mit Erfolg.
  • Vilshofen an der Donau ist der „Geburtsort“ des politischen Aschermittwochs, der steht für verbalen Wettstreit um die besten politischen Ideen.

Das Wesen unserer Demokratie.

An der Stelle will ich sagen:

In einer Demokratie ist Kritik erlaubt. Sogar erwünscht.

Sie lebt von der Auseinandersetzung um den besten Weg, um die besten Ideen.

Wer jedoch Stimmung macht – gegen die Institutionen unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung, gegen Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten oder Minderheiten –  

und das immer lauter, schriller und unverschämter.

Wer die demokratischen Errungenschaften verächtlich macht, der streitet nicht, der unterminiert, der bekämpft.

Das dürfen wir nicht zulassen!

 

Morgen startet das Volksbegehren, das den demokratisch gewählten Landtag abberufen will.

Mit dem demokratischen Instrument des Volksbegehrens wollen einige das Parlament abberufen, weil ihnen die Corona-Maßnahmen nicht passen.

Sie sind überzeugt davon, dass die Entscheidungen im Parlament nicht mit ihrer „gefühlten“ Mehrheitsmeinung übereinstimmen.

Damit akzeptieren sie keine demokratischen Mehrheitsentscheidungen und verunglimpfen unsere repräsentative Demokratie.

Deshalb mein Appell:

Nein zum Querdenker-Begehren – Ja zur lebendigen Demokratie in Bayern!

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

von unserem heutigen Ehrengast stammt der Satz:

„Die Bundesrepublik ist das beste Deutschland,

das wir je hatten“.

Trotz aller Herausforderungen bin auch ich uneingeschränkt der Überzeugung:

Dieser Staat ist der beste, den wir je hatten!

Dieser Staat braucht uns.

Er lebt von Bürgerinnen und Bürgern, die Demokratie, Einigkeit und Recht und Freiheit als ihre ur-eigene Aufgabe begreifen und wahrnehmen.

 

Die Orte der Demokratie zeigen uns,
wo wir herkommen, wer wir sein und wer wir bleiben wollen.

Das machen wir mit diesem Projekt sichtbar, greifbar, erlebbar.

Wir entreißen es der Selbstverständlichkeit.

Das ist unsere Aufgabe.

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