Rede auf der Gedenkveranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Der Bayerische Landtag und die Stiftung Bayerische Gedenkstätten haben in Flossenbürg in einem gemeinsamen Gedenkakt an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Der thematische Schwerpunkt lag in diesem Jahr auf Menschen, die auf Grund ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrter Direktor, lieber Karl,

sehr geehrter Herr Brauwer,

sehr verehrte Mitwirkende,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

schon ein Kuss – ein Blick – konnte Bestrafung bedeuten.

Wer im nationalsozialistischen Deutschland
als schwul, lesbisch oder transgeschlechtlich galt,
war seines Lebens nicht mehr sicher.

Wurde verspottet, verachtet, verraten.

Musste sich verstecken, verleugnen, gar kastrieren lassen – so brutal muss man es sagen.

Tausende starben in Haft, oder wurden ermordet.

 

Wie bei den jüdischen Menschen war es den Nationalsozialisten nicht genug, die als „anders“ Definierten zu demütigen und auszugrenzen.

Sie zerstörten ihre Kultur, ihre Lebenswelt,
zerschlugen die junge deutsche Homosexuellenbewegung.

Alles, was wir heute als „bunt“ begreifen,
als Ausdruck von Freiheit und Gleichberechtigung –
wurde verboten und vernichtet.

 

Meine Damen und Herren,

so unfassbar es ist, was den als homosexuell Verfolgten in der NS-Zeit angetan wurde;
so unfassbar ist es, dass dieses Leid nach 1945 kaum anerkannt wurde
– und noch mehr: dass es nicht endete.

Es folgte ein verzweifelter – und meist vergeblicher – Kampf

  • um die Anerkennung des Schicksals,
  • um die Rückkehr ins Leben, in den Beruf,
  • um Entschädigung und Rehabilitierung.

 

Viele scheuten davor zurück, ihr Schicksal öffentlich zu machen – stand doch männliche Homosexualität in der Bundesrepublik Deutschland weiterhin unter Strafe.

In schändlicher Kontinuität blieb nach 1945
der Paragraph 175 in Kraft – in der von den Nationalsozialisten verschärften Form,
mit tausenden Verurteilungen,
vielen Haftstrafen – bis 1969.

Noch 1957 hatte das Bundesverfassungsgericht erklärt,
die Gesetzgebung sei mit den Werten des Grundgesetzes vereinbar.

Erst 1994 wurde diese Diskriminierung in Gesetzesform komplett aus dem Strafgesetzbuch getilgt.

 

Und heute?

Mitglieder der queeren Community leiden weltweit immer noch unter Diskriminierung und Anfeindung.

Mehr als 70 Länder und Regionen haben antihomosexuelle Gesetze – mitunter droht wie im Iran und in Saudi-Arabien die Todesstrafe.

 

Doch wir müssen gar nicht so weit schauen:

In Russland, Ungarn und Polen nimmt die Diskriminierung dramatisch zu.

Und auch westeuropäische Gesellschaften sind kein sicherer Raum.

Josh Cavallo, einziger aktiver offen schwuler Fußballspieler einer Topliga, wurde seit seinem Outing von den Rängen wiederholt homophob beleidigt.

Viele haben Angst, sich zu bekennen –
in der Familie, vor den Freunden, im Verein, in der Schule oder am Arbeitsplatz.

Umso mehr zolle ich den 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Kirche meinen großen Respekt, die sich vorgestern in einer bisher beispiellosen gemeinsamen Aktion zu ihrer Liebe bekannt haben.

Sie haben Mut bewiesen.

 

Meine Damen und Herren,

Toleranz und Respekt sind Einstellungen, die immer wieder definiert, verinnerlicht und gelernt werden müssen.

Die Liberalitas Bavariae steht für Weltoffenheit
– für leben und leben lassen.

 

Das bedeutet auch:

Die Liebe zweier erwachsener Menschen darf nicht diskriminiert werden. –
Lieben und lieben lassen!

 

Mit dem diesjährigen Schwerpunkt wollen wir den homosexuellen Opfern eine Stimme geben.

Das Schweigen zu brechen, ist zentrale Aufgabe des Gedenkens rund um den 27. Januar.

 

Vor 77 Jahren befreiten die Soldaten der Alliierten die deutschen Konzentrationslager.

Sie stießen Tore des Schreckens auf und
offenbarten der Welt Dimensionen der Unmenschlichkeit, die bis dato unbekannt waren.

Jede und Jeder, die nicht der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten entsprachen,
oder Widerstand leisteten, wurden zum Schweigen gebracht, verfolgt, gequält, misshandelt, ermordet.

 

Wenn wir hier stehen, 
dem Schrecken nachspüren,

begreifen wir was William Faulkner mit dem Satz meinte:

„Das Vergangene ist nicht tot;
es ist nicht einmal vergangen.“

  • Es ist nicht vergangen – für die Überlebenden und die Familien der Opfer, die mit der Erinnerung leben, der Trauer und dem Schmerz.
  • Und es ist nicht vergangen – für uns heute,
    die wir als Gesellschaft von Generation zu Generation einen eigenen Umgang mit dem Ungeheuerlichen finden müssen.
    Würdig, konstruktiv, couragiert.

 

Je länger das Unbegreifliche zurückliegt,
umso mehr ist es an uns, uns die Erinnerung zu erarbeiten.

Die Vergangenheit darf uns nicht entkommen
– weil wir ihr nicht entkommen.

Wer vergessen will, bahnt der Wiederholung den Weg.

Nicht die Geschichte wiederholt sich.

Es sind Menschen, die bereit sind,
Unmenschlichkeit wieder zuzulassen.

 

Deswegen sage ich klar:

Menschenverachtung ist nie eine Kleinigkeit!

Antisemitismus, Rassismus, Homophobie, Mobbing, Menschenfeindlichkeit aller Art

– wir kennen doch das Muster:

Wut wird zum Werkzeug – und sie wird gelenkt,
weil es so leicht fällt: gegen Minderheiten.

Oft mit der Behauptung, in dem Irrtum,
für die Mehrheit zu sprechen.

Voller Größenwahn werden andere stigmatisiert, entmenschlicht.

Lauthals werden die Werte unserer Verfassung, unserer Demokratie, mit Füßen getreten.

Zeigen wir diesen Scharfmachern, wie klein sie sind!

 

Stellen wir uns gegen jede Radikalität und Fanatismus!

Mit Blick auf die neuen Spaziergänge heißt das:

Egal wofür oder wogegen man ist und wie berechtigt das eigene Anliegen sein mag –

wenn rechts und links Extremisten marschieren,
wenn sie das Geschehen dominieren,
oder gar initiiert haben,
dürfen Demokratinnen und Demokraten sich nicht gemein machen mit Feinden der freien Gesellschaft.

Es ist an jeder und jedem Einzelnen, die Anti-Demokraten zu erkennen und sich ihnen entgegenzustellen.

Das gilt besonders, wenn der Holocaust verharmlost wird.

Wer Corona-Maßnahmen mit NS-Verfolgung gleichsetzt, hat jedes Maß verloren und jeden Anstand.

 

Ich weiß:

Egal, wie laut sie sind, die Verschwörungs-Schwurbler und Umstürzler – sie sind wenige.

Wenige, die unsere Gesellschaft nicht spalten können.

Sie spalten sich nur ab.

 

In dieser Analyse bin ich zuletzt bestätigt worden.

Gerade jetzt –
nach zwei Jahren Ausnahmezustand,
zwei Jahren Krise,
zwei Jahren enormer Belastung spüre ich:

Wir sind stark.

Wir sind solidarisch.

Und ja, wir sind eins!

 

Die Erinnerung an die dunkelsten deutschen Jahre mahnen uns, unsere errungene Gemeinschaftlichkeit zu beschützen.

Und – wie unsere bayerische Verfassung sagt – niemals zu vergessen, zu welchem Trümmerfeld
eine Staats- und Gesellschaftsordnung geführt hat –
ohne Gott, ohne Gewissen und
ohne Achtung vor der Würde des Menschen.

 

In diesem Sinne:

Übernehmen wir Verantwortung für unseren Zusammenhalt.

Für unser Miteinander und Füreinander

und für Einigkeit und Recht und Freiheit!

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