Akademiegespräch im Bayerischen Landtag mit Vera King

„Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut, sondern Vertrauen“

14. Mai 2025

MÜNCHEN.    Moderne Gesellschaften sind ohne Vertrauen weder vorstellbar noch lebenswert. Denn Vertrauen hilft uns, mit unsicheren und komplexen Zeiten umzugehen. Vor allem in der Politik ist Vertrauen eine wichtige Ressource: Vertrauen in das System, in die Politikerinnen und Politiker und in die Institutionen. Doch was tun, wenn dieses Vertrauen schwindet – und damit zur existenziellen Bedrohung für die Demokratie wird? Darüber haben beim Akademiegespräch im Bayerischen Landtag Vera King, Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie und geschäftsführende Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts, die Präsidenten des Bayerischen Landtags Ilse Aigner und Akademiedirektorin Ursula Münch diskutiert. Eingeladen hatten Ursula Münch und Ilse Aigner unter dem Titel „Vertrauen als Wagnis und als Ressource – Erodiert ein Grundpfeiler unserer Demokratie?“

„Angst ist eine existenzielle Gefahr für die Demokratie!“, mahnt Landtagspräsidentin Ilse Aigner. Viele Menschen blicken angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen mit Sorge in die Zukunft. Diese Ängste seien nicht nur eine enorme Herausforderung für die Politik, sondern würden auch gezielt von Populisten verstärkt. Die Feinde der Demokratie versuchten ständig Misstrauen zu sähen. Akademiedirektorin Münch beobachtet ebenfalls, dass das Vertrauen in Politik, Medien und Wissenschaft bei vielen Menschen abnimmt. „Dem müssen wir etwas entgegensetzen“, fordert sie –  und meint mit „wir“: Politik, Medien, Wissenschaft und politische Bildung gemeinsam. Was also braucht es? „Das Gegenteil von Angst ist nicht Mut, sondern Vertrauen“, betont Aigner. Repräsentanten, die Legislative, Exekutive, Judikative, der Staat, die Verfassungsorgane – sie alle rängen täglich um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger. Wie kann und muss man also gegen diesen Vertrauensverlust gegensteuern? Unter dem Titel „Vertrauen als Wagnis und als Ressource – Erodiert ein Grundpfeiler unserer Demokratie?“, diskutierten Vera King, Ilse Aigner und Ursula Münch beim Akademiegespräch im Bayerischen Landtag über genau diese Frage.

 

Vertrauen als Wagnis

Doch was ist eigentlich Vertrauen? Vera King beschreibt Vertrauen als mehr als nur eine Einstellung: „Vertrauen ist ein Wagnis.“ Wer vertraut, mache sich verletzlich. Deshalb sei es entscheidend, dass auch Vertrauenswürdigkeit hergestellt werde – denn nicht alles könne überprüft werden. Doch viele Menschen hätten inzwischen kein Vertrauen mehr in die Politik. Diesen Vertrauensschwund und das entstehende Misstrauen müsse man ernst nehmen, fordert King. Vertrauen sei eine elementare Ressource und ein unverzichtbares Element des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Vertrauen braucht Pflege

Doch Vertrauen müsse gepflegt werden. Krisen und Umbrüche könnten Vertrauen erschüttern, besonders, wenn sie mit Erfahrungen von Ausgrenzung oder Unsicherheit einhergehen. Im Kern entstehe Vertrauen in persönlichen, nahen Beziehungen und zunächst etwa durch verlässliche Bezugspersonen in der Kindheit – und übertrage sich später auf größere gesellschaftliche Kontexte, erklärt die Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie.

Vertrauen in autoritären Systemen – eine gefährliche Nähe

Vertrauen sei wichtig, doch blindes, naives Vertrauen in der Politik könne schnell riskant werden. Besonders in autoritären Systemen, warnt King, entstehe oft eine starke emotionale Bindung zur Führungsperson. Die gefühlte persönliche Nähe „ersetze“ dann die demokratischen Grundregeln und Kontrollmechanismen, wie z.B. die Gewaltenteilung. Diese „entgrenzte“ Form des Vertrauens werde durch Krisen zusätzlich verstärkt. Natürlich bestehe bei vielen Bürgerinnen und Bürger in Notsituationen die Sehnsucht nach einfachen Lösungen, jemanden der sagt „Das machen wir jetzt einfach so.“, erklärt Aigner. Auf die Frage von Ursula Münch, ob dieses persönliche Vertrauensmodell auch in Demokratien ein strategischer Vorteil sein könne, verneint King. „Ich würde nicht dazu raten, auch wenn viele es gerade versuchen. Man nimmt damit nämlich auch die darin enthaltenen destruktiven Dynamiken in Kauf.“

 

Misstrauen statt Vertrauen

Dem Vertrauen steht das Misstrauen gegenüber – oft tief verwurzelt in Angst und befeuert durch Krisen. Während der Corona-Pandemie oder der Finanzkrise erlebten viele Menschen Kontrollverlust, was ihre Sicherheit erschütterte und die Angst vor noch schlimmeren Ereignissen schürte. Diese tiefe Angst schwenke dann oft in Misstrauen um, so King.

Ein entgrenztes Misstrauen sei ein ernstes Warnsignal für die Demokratie, erklärt sie. Dauerhaftes Misstrauen könne zu einer Vergemeinschaftung fühlen, untermauert durch ideologische Narrative. Dauermisstrauen ersetze dann echtes Vertrauen – und schaffe eine Art Gewissheit für die Menschen, die Welt als zuverlässig betrügerisch zu sehen, erklärt die Soziologin. King nennt als Beispiel die Corona-Pandemie, bei der aus der Angst vor dem Virus Misstrauen wurde und sich dann in Angst vor den staatlichen Maßnahmen wandelte.

Solch ein entfesseltes Misstrauen könne in extremen Fällen fast schon rauschhafte Machtphantasien und Zugehörigkeitsgefühle auslösen. Problematisch werde es vor allem, wenn es durch eine polarisierte Spaltung zu einem extremen Misstrauen anderen gegenüber und totales Vertrauen in die eigene Gruppe komme. Dennoch, so King, sei Misstrauen nicht per se schädlich. Im Gegenteil: Begründetes Misstrauen und Vertrauen bedingten sich – sie seien keine Gegensätze.

Wege aus dem Vertrauensverlust

Wie also kann man dem Vertrauensschwund und dem immer weiterwachsenden Misstrauen gegensteuern? Meistens, erklärt King, führe ein entfesseltes Misstrauen zu politischen Besänftigungsaktionen: entweder rufe es konfliktvermeidendes Verhalten hervor oder die dargestellten Probleme würden übernommen werden. Das führe jedoch zu Negativspiralen, die in Sackgassen endeten.

Die Soziologin schlägt zwei alternative Strategien vor: das Bilden von Vertrauen auf Basis von Führungs- und Problemlösungskompetenz und das Stärken von Vertrauen in die demokratischen Funktionen und Verfahren. „Symbolische Akte des Vertrauens sind dabei sehr wichtig“, erklärt sie, – etwa eine friedliche Machtübergabe. Im Gegensatz dazu erschüttere ein Ereignis wie der Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 das demokratische Vertrauen massiv. Vera King sieht noch einen weiteren zentralen Punkt in der Wiederherstellung von Vertrauen: Gefühle und Ängste müssten ernstgenommen, aber dürften nicht verstärkt werden, erklärt sie. Denn: „Wichtig für Vertrauen ist es, gesehen zu werden.“

/ Anna Berchtenbreiter

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