Außenposten – Blick auf Deutschland

Der Landtag im Gespräch mit Auslandskorrespondenten

26. März 2025

MÜNCHEN. Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf und während der laufenden Regierungsbildung haben sich Politik und Medien stark aufs Inland konzentriert. In der Reihe "Landtag im Gespräch" hat Präsidentin Ilse Aigner den "Blick von außen" ins Maximilianeum geholt. Vier Auslandskorrespondenten aus vier Ländern teilten ihre Eindrücke und Einschätzungen über Deutschland mit den Besucherinnen und Besuchern im vollbesetzten Senatssaal.

Mit dem Thema "Außenposten" in der Reihe "Landtag im Gespräch" hat Landtagspräsidentin Ilse Aigner offenbar einen Nerv getroffen. Das Bedürfnis von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von Abgeordneten scheint groß zu sein, einmal zu erfahren, wie professionelle Beobachter der deutschen Politik aus dem Ausland die hiesige Lage und das Tun der handelnden Personen einschätzen und bewerten. Das Interesse sei immens gewesen, berichtete Aigner zu Beginn der Veranstaltung, man habe die Anmeldeliste früh schließen müssen, um keine Überfüllung zu riskieren. Auch sie sei gespannt, was Menschen zu sagen hätten, die einen anderen Blick auf Deutschland hätten und die man nicht schon aus den vielen Talkshows kenne.

Gewonnen habe man dafür vier Berichterstatter, die für den in einer Demokratie unverzichtbaren Qualitätsjournalismus stünden. So begrüßte Aigner die Deutschland-Korrespondentin der österreichischen Tageszeitung "Der Standard", Birgit Baumann, den unter anderem für die Agentur Reuters und die "Los Angeles Times" arbeitenden US-Amerikaner Erik Kirschbaum, die für die französische Sonntagszeitung "La Tribune Dimanche" schreibende Helène Kohl und den Vorstand des Vereins der Ausländischen Presse in Berlin und polnischen Fernsehjournalisten Tomasz Lejman von TV Polsat News. Sie wünsche sich einen an Erkenntnissen und Selbsterkenntnissen reichen Abend, übergab Aigner die Moderation an Anna Clauß, die beim Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" das Ressort "Meinung und Debatte" leitet.

Erstes Urteil: Deutschland ist langsam und digital rückständig

Zum Einstieg fragte Clauß die Gäste nach für sie typisch deutschen Wörtern, die sie bei ihrer täglichen Arbeit begleiteten. Kirschbaum entschied sich zum einen für "Extrawurst", womit er zum Beispiel auf die Sonderrolle der CSU in der Bundespolitik anspielte, und zum anderen für "Brandmauer", eine Vokabel, die er nur aus dem politischen Betrieb in Deutschland kenne. Baumann nannte das "bayerische Phänomen" der FREIEN WÄHLER, das sie ihren Leserinnen und Lesern immer wieder erklären müsse. Das Wort "Aktenzeichen" hatte es Lejman angetan, als Symbol für die Neigung der Deutschen, große Aktentaschen mit sich herumzuschleppen, statt in der digitalen Gegenwart anzukommen. Und Kohl rückte das Adjektiv "langsam" in den Mittelpunkt, weil in der deutschen Politik mit ihrem Föderalismus, ihren Koalitionen und mitunter konkurrierenden Verfassungsorganen Entscheidungen für Franzosen mit deren präsidialer Demokratie unverständlich viel Zeit in Anspruch nähmen.

 

Die Zeit der Ampel hat die Nachbarn verwirrt

Alle vier Korrespondenten bestätigten, dass das Interesse ihrer jeweiligen Landsleute an und das Verständnis für Deutschland während der Ampel-Regierung deutlich nachgelassen habe. "Deutschland war zuletzt nicht so am Horizont der Amerikaner", sagte Kirschbaum. Man habe die Deutschen - ähnlich wie die Europäer insgesamt - zunehmend als "Schmarotzer" wahrgenommen, die sich ihre Sicherheit vom US-Steuerzahler garantieren ließen. Dass nun die Schuldenbremse gelockert und mehr für Verteidigung ausgegeben werde, finde nun Gehör und Aufmerksamkeit. "Ich habe keine Ahnung, warum die Deutschen solche Angst vor Schulden haben", meinte er. Baumann ergänzte, die Ampel-Jahre hätten die Österreicher "verwirrt". In der Vergangenheit habe man immer mit einer gewissen Bewunderung auf den "großen Bruder" geblickt. Die deutsche Migrationspolitik und die Wirtschaftsschwäche seien mit wachsender Verwunderung wahrgenommen worden.

Lejman schilderte das Unverständnis vieler Polen darüber, dass in Deutschland so viel über Art und Umfang der militärischen Unterstützung für die Ukraine diskutiert werde. In Polen wisse man aus leidvoller Erfahrung über die Aggressivität und den Expansionsdrang russischer Politik. Man erwarte sich eine aktivere Rolle Deutschlands, höhere Verteidigungsausgaben und ein Wiederbeleben der Achse Paris-Berlin-Warschau. Geradezu fassungslos mache ihn das große Vertrauen der Ostdeutschen in Vladimir Putin. "Die waren doch auch Teil des Ostblocks", wunderte sich Lejman. Fast belustigt äußerte er sich zum Stand der Digitalisierung in Deutschland: "Es tut mir leid, aber da ist Polen schon 20 Jahre weiter."

Rückkehr zur deutschen Führungsrolle in Europa

Einig waren sich die Berichterstatter, dass Deutschland künftig wieder seiner Führungsrolle in Europa gerecht werden müsse. "Wir brauchen aus Deutschland wieder Impulse für Europa, die haben zuletzt gefehlt", urteilte Kohl. Unter dem so wahrgenommenen Desinteresse an Europa und den Plänen des französischen Präsidenten Emanuel Macron für eine größere europäische Souveränität hätten auch die deutsch-französischen Beziehungen gelitten. Aus französischer Sicht müsse Deutschland wieder mehr für Europa, für Vereidigung und für wirtschaftlichen Aufschwung tun. Dem schloss sich Baumann an. In Österreich würden die angekündigten Milliardeninvestitionen positiv gesehen - wenn auch nicht ganz ohne Eigennutz. "Es könnte dabei ja auch was für österreichische Unternehmen abfallen", meinte Baumann verschmitzt. Unabhängig davon spüre sie eine Stimmung im Land, die geradezu sehnsüchtig erwarte, dass Deutschland wieder funktioniere, weil es dann ganz Europa besser gehe.

Als künftigen Konfliktpunkt identifizierten die Korrespondenten aus den europäischen Nachbarländern die Pläne des designierten Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU) zur Abweisung von Flüchtenden an den deutschen Außengrenzen und zur verstärkten Abschiebung von Asylbewerbern in die Nachbarländer. Dies werde von den jeweiligen Regierungen, aber auch von der Bevölkerung mit Argwohn beobachtet. In der Migrationsfrage brauche es gesamteuropäisch abgesprochene Lösungen und keine nationalen Alleingänge, hieß es.

Wünsche für die deutsche Zukunft

Zum Abschluss der Runde fragte Clauß ihre Kolleginnen und Kollegen, wo sie Deutschland in zehn Jahren sehen würden. "Deutschland braucht mehr lockeren Patriotismus", erklärte Kirschbaum und erinnerte an die Zeit der Sommermärchen-WM 2006. "Und hoffentlich gibt es in zehn Jahren mal einen bayerischen Kanzler." Baumann sagte, sie würde sich über folgende Schlagzeile freuen: "Deutsche Regierung nicht zufrieden - Wirtschaftswachstum nur bei sieben Prozent". Wünsche äußerten Lejman und Kohl. "Ich würde Deutschland gerne digital haben", erklärte der Pole, und die Französin schwelgte in der Hoffnung auf eine "moderne und pünktliche Deutsche Bahn". Dem Beifall im Saal zufolge war sie mit diesem Wunsch nicht allein.

/ Jürgen Umlauft

 

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