Bildungsausschuss: Sachverständigenanhörung zu Schulbegleitung und Ministerbericht zu Schuljahresauftakt

Wie Schulbegleiter besser helfen können und was sich im neuen Schuljahr voraussichtlich ändert

24. September 2020

Schulbegleiter helfen Schülerinnen und Schülern mit Betreuungsbedarf am gemeinsamen Unterricht teilzunehmen. Welche Defizite es dabei gibt, und wie die Schwierigkeiten behoben werden können, diskutierten Sachverständige mit den Abgeordneten im Bildungsausschuss.

Teils berichteten die Experten aus best-practice-Beispielen, teils informierten sie aus wissenschaftlicher Sicht. In der Inklusionsmodellstadt Kempten beispielsweise versuchen die Verantwortlichen inklusiv zu denken. Schulen seien nicht nur Bildungs-, sondern auch Fördereinrichtungen, sagte Thomas Baier-Regnery. Der Leiter des dortigen Jugend- und Schulreferats verwies auf die multiprofessionellen Teams aus Sonderpädagogen, Heilpädagogen und Sozialpädagogen, die in den Kemptner Schulen mit den Lehrkräften in einer besonderen Kooperation zusammenarbeiten. Baier-Regnery will zudem nicht von Schulbegleitung, vielmehr von Individualhilfe sprechen: „Nicht die Schule hat den Teilhabe- und Hilfebedarf, sondern das Kind“. Die Unterstützung sei aber nur ein Baustein der Eingliederung: “Diese Hilfe muss eingebettet sein in ein inklusives Setting“, so der Schulreferatsleiter.

In Erlangen ermittelt der Schulleiter der Georg-Zahn-Schule täglich den individuellen Betreuungsbedarf. „Wir haben aus der Not eine Tugend gemacht und dadurch eine höhere Flexibilität gewonnen“, bilanziert Matthias Roder. „Wir konnten sogar teils auf Schulbegleitung verzichten.“ Roder setzt ebenfalls auf multiprofessionelle Teams in den Klassen.

Positive Erfahrungen mit Pool-Modell für Schulbegleitung

Zentrales Thema der Anhörung war das so genannte Pool-Modell. Dabei stehen für jede Schulstufe mehrere Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter zur Verfügung, die nicht nur für die Betreuung lediglich eines Schülers zuständig sind, sondern für unterschiedliche Kinder ihres Betreuungspools. Ein Modell mit dem auch die ehemalige Schulleiterin der Merianschule in Nürnberg gute Erfahrungen gemacht hat. In Vertretungssituationen sei nun eine sinnvolle Begleitung möglich. Selbst die Zusammenarbeit mit zwei verschiedenen Trägern habe gut funktioniert, erklärte Jutta Schinhammer.
Damit dieses Modellprojekt übertragbar wird, müssen laut Professor Dr. Wolfgang Dworschak bestimmte Bedingungen erfüllt sein. Der Lehrstuhlinhaber für Geistigbehindertenpädagogik an der Universität Regensburg forderte einen Konsens von Kosten- und Anstellungsträgern in der Schulbegleitung sowie eine exakte Definition des Überschneidungsbereichs von Pädagogen und Schulbegleitern. Mit Blick auf die Fachkompetenz der Begleiter mahnte Dworschak zu differenzieren, ob die Schülerinnen und Schüler gleiche oder verschiedene Lernziele haben.

Wesentlich sind nach Erkenntnis der Fachleute die Rahmenbedingungen. Die meisten Schulbegleiterinnen und -begleiter sind keine pädagogischen Fachkräfte. Deshalb kommt es immer wieder zu Konflikten mit den Lehrkräften, die Schulbegleiter fühlen sich in der Schulfamilie nicht akzeptiert. „Schulbegleiter dürfen weder Lückenfüller noch Hilfslehrer sein, sondern müssen eingebunden sein in die Klasse“, mahnte Holger Kiesel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung. Kiesel sieht in der Schulbegleitung einen Indikator, wie gut das Schulsystem funktioniert.

Fehlende Zahlen

Die SPD-Fraktion äußerte Zweifel an der Fachlichkeit der Schulbegleitung. Margit Wild betonte: „Wir legen Wert auf die pädagogischen Anforderungen der Schulbegleitung. Sie sollten Teil des Schulteams sein.“ Ernst Fischer, Ministerialbeauftragter für die Realschulen in Oberbayern-West setzt dagegen auf Kommunikation. Für ihn ist Fachlichkeit wichtig, entscheidend aber sei das persönliche Verhältnis.
Übereinstimmend monierten die Fachleute das Fehlen von bayernweiten Zahlen. So konnte der Leiter des Sozialreferats beim Bezirk Mittelfranken nur mit seinen eigenen Daten argumentieren. Nach den Berechnungen von Horst Rauh steigt der Bedarf an Schulbegleiterinnen und Schulbegleitern schon seit Jahren ebenso wie die Kosten.

Keine Einigkeit herrschte bei der Beantwortung der Frage des FDP-Abgeordneten Matthias Fischbach, ob die Kostenträger vereinheitlicht werden sollen. Aktuell sind je nach Behinderung des Kindes die Bezirke oder die Jugendämter zuständig. Für Anna Toman (BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN) ist die Zweigleisigkeit keine Option: „Es reden zu viele mit!“
Ihr Fraktionskollege Thomas Gehring fragte, ob die Experten eher das Pool-Modell favorisieren oder mehr pädagogisch geschulte Schulbegleiterinnen und Schulbegleiter sinnvoll seien. Barbara Regitz von der CSU wollte wissen, wer gegenüber der Schulbegleitung weisungsbefugt ist und warnte vor Reibungsverlusten. Auf die Anregung des Ausschussvorsitzenden Markus Bayerbach (AfD) die Expertise und Beobachtungen der Schulbegleiter im Schülerakt festzuhalten, antwortete der Erlanger Schulleiter Roder, dass diese Erfahrungen bereits gesammelt werden.

Kultusminister Piazolo spricht von gutem Schuljahresauftakt

Im Anschluss an die Anhörung stand Schulminister Professor Dr. Michael Piazolo (FREIE WÄHLER) dem Ausschuss für Bildung und Kultus Rede und Antwort. Begleitet von der Diskussion über Maskenpflicht und Quarantänefälle
informierte Staatsminister Piazolo über den Auftakt des aktuellen Schuljahres. Für eine Bilanz sei es noch zu früh, sagte der Staatsminister, aber der Start sei gut gelungen, mehr als 99 Prozent der Schülerinnen und Schüler nähmen am Präsenzunterricht teil.
Der Einstieg mit der Maskenpflicht auch am Sitzplatz im Klassenraum in den ersten neun Tagen sei richtig gewesen, darüber habe in der Schulfamilie große Einhelligkeit bestanden. Seit dieser Woche gelte der 3-Stufen-Plan, gekoppelt ans regionale Infektionsgeschehen. „Beides muss ineinandergreifen: klare Vorgaben und zugleich die Eigenverantwortlichkeit vor Ort“, sagte der Minister.

Neue Schulordnung für klare Strukturen

Um auf die neue Situation zu reagieren und die bisherigen Erfahrungen aufzugreifen, ist zudem die Schulordnung geändert worden. Mit der Definition von Distanzunterricht sei ein hohes Maß an Verbindlichkeit und klare Strukturen vorgegeben, sagte der Kultusminister. Grundsätzlich gebe es einen virtuellen Startschuss zum Unterrichtsbeginn, verpflichtende aktive Teilnahme mit verbindlichen Arbeitsaufträgen und direktem Kontakt zu den Lehrern.
Auch Brückenangebote, also zielorientierte Förderung, sollen im Distanzunterricht vermittelt werden.

Die Unterrichtsversorgung ist laut Minister gesichert, durch 4.700 Neueinstellungen und 1.000 zusätzliche neue Lehrerstellen. An Grund-, Mittel- und Förderschulen sind 1.250 zusätzliche Stellen geschaffen worden, die allesamt auch besetzt werden konnten. Weil auch unter den Lehrkräften Risikogruppen nicht im Präsenzunterricht eingesetzt werden, hat das Ministerium 700 Teamlehrkräfte in die Personalplanung aufgenommen, die gemeinsam mit ausgebildeten Lehrern im Unterricht helfen sollen. Piazolo gab zu, dass viele von ihnen keine pädagogische Ausbildung haben.
Das Schuljahr sei zwar durchgeplant, man müsse trotzdem flexibel und pragmatisch bleiben. Der Schulminister erklärte, man werde noch eine Weile mit Corona zu tun haben. „Schule ist mehr als gute Abschlüsse, Können, Wissen und Werte. Schule ist auch ein sozialer Interaktionsraum.“

Während von der CSU-Fraktion in der Aussprache Lob für die Vor-Ort-Regelungen kam, war bei der Opposition die Rede von Verwirrung durch uneinheitliche Entscheidungen der Gesundheitsämter. Mehr Perspektive, weniger auf-Sicht-Fahren mahnte beispielsweise die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel an. Eine verlässliche Notbetreuung forderte die SPD, eine vernünftige Projektbetreuung bei der Digitalisierung die FDP, die Anerkennung von ärztlichen Attests ohne Diagnose die AfD.

Miriam Zerbel

 

 

 

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