Europaausschuss: Bericht der Staatskanzlei über den Stand der Brexitverhandlungen und Vorbereitungen auf einen möglichen harten Brexit

Dienstag, 6. Oktober 2020

In der Staatsregierung laufen die Vorbereitungen für den bevorstehenden Brexit am 1.1.2021. Man sehe sich dabei mit mehreren Szenarien konfrontiert, berichtete der in der Staatskanzlei zuständige Ministerialrat Stefan Schumann im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten. Wegen der komplexen innenpolitischen Situation in Großbritannien gebe es noch große Unsicherheiten. Möglich sei weiterhin ein "No deal"-Brexit, aber auch verschiedene Varianten eines geordneten Endes der derzeit noch laufenden Übergangsphase. Klar sei nur eines: "Der Brexit wird zum 1.1. kommen - man muss sich darauf vorbereiten, egal wie er kommt."

Den Ausgang der weiteren Verhandlungen bezeichnete Schumann als "extrem ungewiss". Mit Blick auf die kurze noch zur Verfügung stehende Zeit mutmaßte Schumann, es werde wohl bestenfalls zu einer "wenig ambitionierten" Vereinbarung kommen. Unabhängig vom Ausgang der Gespräche müsse aber jedem bewusst sein, dass sich auch die Beziehungen Bayerns zu Großbritannien mit dem Jahreswechsel fundamental ändern würden. "Das betrifft alle von der Staatsregierung über die Unternehmen und Hochschulen bis zu den Bürgern", betonte er. Es gehe letztlich nur noch um die Frage, wie hart der Schnitt ausfalle. "Im Moment schaut es nicht so gut aus", urteilte Schumann.

Nach seiner Einschätzung werden vor allem die wirtschaftlichen Folgen für Bayern spürbar sein. Da Großbritannien mit dem Austritt aus EU-Sicht zu einem Drittland außerhalb des Binnenmarktes werde, träten für alle Aus- und Einfuhren Zollbestimmungen in Kraft. Das habe Auswirkungen auf Lieferketten, die Zulassung von Arzneimitteln, den Datentransfer und die Innere Sicherheit. So scheide Großbritannien aus allen EU-relevanten Sicherheitssystemen wie zum Beispiel der Datenbank für Fingerabdrücke aus. Das sei ein "extremer Rückschritt". Auch steuerliche Fragen stellten sich neu. Das erhöhe den bürokratischen Aufwand für Unternehmen.

In ihrem Zuständigkeitsbereich reagiere die Staatsregierung mit Informationen und Schulungen des Personals auf den Brexit, so Schumann. Vor allem die Finanz- und die Veterinärämter, die Lebensmittelüberwachung und die Sicherheitsbehörden seien betroffen. Gesetzlichen Handlungsbedarf sehe die Staatsregierung derzeit aber nicht. Der Wirtschaft stelle die Staatsregierung Beratungsangebote. Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums verwies zudem auf zahlreiche Informationsveranstaltungen der Industrie- und Handelskammern. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen mit Handelsbeziehungen nach Großbritannien sollten unbedingt davon Gebrauch machen, da viele von ihnen bislang nicht mit Zollverfahren beschäftigt gewesen seien.

Der SPD-Abgeordnete Markus Rinderspacher sah jenseits der fundierten fachlichen Ausführungen Schumanns Bedarf für eine politische Folgenabschätzung des Brexit für Bayern. Vor diesem Hintergrund bedauerte Rinderspacher, dass sich der zuständige Staatskanzleiminister Florian Herrmann (CSU) nicht der Debatte im Ausschuss stelle. "Ich halte es für eine Missachtung des Ausschusses, wenn der Minister nicht kommt und sich von der Verwaltung vertreten lässt", kritisierte Rinderspacher. Er regte die Einsetzung eines bayerischen Brexit-Gremiums ein, in dem Arbeitsgeber, Gewerkschaften, Kammern und Verbände gemeinsam mit der Staatsregierung regelmäßig in Kontakt seien.

Eine umfassendere Beratungsleistung gerade für kleinere und mittlere Unternehmen hielt Florian Siekmann (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN) für nötig. Zudem müssten die Wirtschaftsförderprogramm an die Herausforderungen des Brexit abgepasst werden. Als größtes Problem sah Siekmann die gegenwärtige Unsicherheit. "Kommunen, Verbände und Unternehmen wissen nicht, worauf sie sich konkret einstellen müssen", meinte er. Thomas Huber (CSU) warnte trotz aller Folgewirkungen davor, Großbritannien im weiteren Verlauf der Verhandlungen zu weit entgegenzukommen. Es müsse in den Beziehungen einen deutlichen Unterschied ausmachen, ob ein Staat EU-Mitglied sei oder nicht, betonte Huber.

Jürgen Umlauft

 

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