Besondere Patienten brauchen besondere Unterstützung

Fachgespräch zum Thema „Menschen mit Behinderung im Krankenhaus“

14. Oktober 2020

Menschen mit Behinderung brauchen im Krankenhaus eine andere Behandlung und mehr Pflege als Menschen ohne Handicap. Gesundheits- und Sozialausschuss berieten in einem fachübergreifenden Expertengespräch mit Fachleuten, welche Herausforderungen Menschen mit Beeinträchtigungen bislang bewältigen müssen und wie deren Situation verbessert werden kann.

In der Anhörung wurde deutlich, dass nicht erst die Corona-Pandemie aufgezeigt hat, mit welchen Problemen und Gefahren Menschen mit Behinderung konfrontiert werden, wenn es um ihre gesundheitliche Versorgung vor allem im Krankenhaus geht.
Eindrucksvoll schilderte Wolfgang Trosbach mit verschiedenen Beispielen von Betroffenen, unter ihnen auch sein eigener Sohn, dass viele Krankenhäuser kaum auf die stationäre Behandlung von Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung eingerichtet sind. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Lebenshilfe Würzburg beginnt die Problematik nicht erst im Krankenhaus, sondern schon deutlich davor. Nötig sei im Vorfeld das Wissen um die Bedarfe und Lebensumstände der Patienten. Trosbach, der zugleich Mitarbeiter in einer Fachklinik für Diabetes ist, verwies auf das prästationäre Management dieses Krankenhauses, wo man sich bemüht, zuvor Informationen von Familie, Angehörigen und betreuendem Personal einzuholen.

Kritik an Arbeitgebermodell

Die Rahmenbedingungen für die behinderten Menschen trügen entscheidend zum Behandlungserfolg bei, bestätigte auch der Behindertenbeauftragte der Staatsregierung, Holger Kiesel. Dabei gehe es um die Ausbildung des medizinischen Personals, Barrierefreiheit und die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Mehrfach-Behinderung und mit Autismus-Spektrum-Störungen. „Wichtig ist, dass wir eine Lösung finden, die für alle finanziell gangbar ist“, sagte Kiesel. 

Im Zentrum der Kritik stand dabei das sogenannte Arbeitgebermodell. Es besagt, dass die Behinderten ihre Betreuerinnen oder Betreuer selbst einstellen. Die meisten Menschen mit Handicap leben allerdings in einer Einrichtung und fallen nicht unter diese Regelung. Kiesel forderte deshalb, für diese Menschen eine gesetzliche Regelung zu schaffen.
Thomas Bannasch, der Geschäftsführer der LAG Selbsthilfe Bayern, kritisierte das Arbeitgebermodell als faktische Ungleichbehandlung. Selbst der Vertreter der Krankenkassenverbände in Bayern, Ekkehard Ellmann, kritisierte das Arbeitgebermodell als unverständlich. Menschen nicht nur technisch zu sehen und Betreuern emotionale Zuwendung zu ermöglichen, forderte Dr. Wilhelm Baur, 1. Vorsitzender des Präsidiums der Lebenshilfe Neumarkt.

Fehlender Fokus auf Behinderte

Lediglich Symbolpolitik kann Ruth Waldmann (SPD) mit Blick auf die Barrierefreiheit feststellen. Die Vizevorsitzende im Ausschuss für Gesundheit und Pflege appellierte an die Abgeordneten und Fachleute, Initiativen zu entwickeln und zu überlegen, was man in Bayern auf die Beine stellen könne.

Daneben ging es in der Anhörung um das Fallmanagement. „Es fehlt der Fokus auf die Behinderten“, so Trosbach. „Das ist Aufgabe der Krankenkassen.“ Eine Anregung, die deren Vertreter sogleich aufgriff. Ekkehard Ellmann lud Trosbach ein, gemeinsam daran zu arbeiten und Vorschläge für die Erweiterung des Sozialgesetzbuchs zu formulieren, damit Behinderte besser berücksichtigt werden.
 
Dass es im Übergang zwischen Krankenhaus und Reha Lücken gibt, schilderte der stellvertretende Vorsitzende des Sozialausschusses, Thomas Huber (CSU) aus eigener Erfahrung. Es gelte vor allem, die Kosten für die bedarfsgerechte Versorgung behinderter Patienten zu stemmen. „Ökonomie darf nicht im Gegensatz zu Menschlichkeit stehen“, zitierte Huber den früheren Landtagspräsidenten Alois Glück. Organisatorische Verbesserungen beim Aufnahme- und Entlass-Management seien nötig, gab denn auch der Vizepräsident der Bayerischen Landesärztekammer, Dr. Andreas Botzlar zu.

Fortbildung für Pflegekräfte

Verbesserungen für behinderte Menschen im Krankenhaus verlangten auch eine spezifische Ausbildung des Klinik-Personals, so der Tenor. Wie das konkret erreicht werden könnte, wollten Petra Högl (CSU) und Andreas Krahl (BÜNDIS 90/ GRÜNE) wissen. Eine gute Versorgung sicherzustellen sei schwierig, erklärte für die Bayerische Krankenhausgesellschaft Tatjana Konrad. Die Referentin räumte ein, viele Krankenhäuser seien „personell auf Kante genäht“. Ein best-practice-Beispiel lieferte die Lebenshilfe, die im Krankenhaus Neumarkt eine Fortbildung für Pflegekräfte anbietet.

Für den FDP-Abgeordneten Dr. Dominik Spitzer kristallisierte sich durch die Anhörung ein klares Ziel heraus. „Wir müssen Geld zur Verfügung stellen, so unkompliziert wie möglich.“ Die Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses Bernhard Seidenath (CSU) und des Sozialausschusses Doris Rauscher (SPD) waren sich zum Abschluss einig: Die Anhörung bilde den Auftakt für weitere Gespräche, der Weg sei klar, aber es sei noch viel zu tun.

Anregung für die Experten-Anhörung war eine Petition der Lebenshilfe Bayern, die deren Landesvorsitzende und frühere Landtagspräsidentin Barbara Stamm vor wenigen Monaten überreicht hatte. Das Petitum, eine Assistenz im Krankenhaus für Menschen mit Behinderung zu etablieren, nahm der Gesundheitsausschuss anschließend mit den Stimmen aller Fraktionen in Form eines sogenannten Berücksichtigungsbeschlusses an. Das bedeutet, dass der Ausschuss das Anliegen in vollem Umfang für berechtigt und durchführbar hält.

Miriam Zerbel

 

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