Klimaschutz – Bayern hat Vorbildfunktion

Co-Benefits bei Klimaschutzmaßnahmen, die 10-H-Regelung und was Städte und Kommunen gegen den vom Menschen verursachten Klimawandel erreichen können. Darüber diskutierten Experten und Abgeordnete in der von der SPD initiierten Expertenanhörung zum Klimaschutz im Umweltausschuss.

„Es ist eine einfache Gleichung: Wenn wir so weiter machen, schwächen wir unsere Lebensgrundlagen.“ Mit diesen Worten ergriff Prof. Dr. Michael Bittner, Abteilungsleiter im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V., als Erster das Wort. Er sieht jeden Bürger in der Verantwortung, unseren Wohlstand aufrechtzuerhalten: „Es gibt zwei Maßnahmen: Erstens durch Änderung der Lebensweise. Weg von einer auf Konsum, sondern auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Wirtschaft. Bayern muss hier eine Vorbildrolle spielen, denn das Land ist sehr hoch entwickelt und hat hervorragende Möglichkeiten für den Start einer grünen Technologieoffensive.“

Co-Benefits deutlich machen

„Wir müssen zeigen, dass naturnahe Lösungen – wie Hochwasserschutz durch Wasserrückhalt in der Fläche – auch viele positive Effekte für Bürger und Gesellschaft hat. Dazu zählen beispielsweise der Erhalt von Naherholungsgebieten oder Artenschutz“, sagte Prof. Dr. Markus Disse. Er lehrt an der TU München am Lehrstuhl für Hydrologie und Flussgebietsmanagement. „Es geht auch darum, junge Ingenieure an den Universitäten für Themen wie Materialwissenschaften oder Ressourcenschutz zu begeistern“, sagte er. Der Wissenschaftler deutete auch daraufhin, dass in den kommenden Jahren noch mehr Klimaflüchtlinge kommen werden. „Wir müssen intensiver mit den Menschen in Afrika zusammenarbeiten, ihnen auf Augenhöhe begegnen und die Wirtschaft vor Ort unter anderem auch durch Wissenstransfer in Gang bringen.“

Emotionen bei Klimadebatten

Stefan Köhler, Bayerischer Bauernverband und Vorsitzender des Landesfachausschusses für Umweltfragen, plädierte bei der Umsetzung von klimarechtlichen Vorschriften für eine konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten sowie für Freiwilligkeit und Kooperationen statt verbindlichen Vorschriften. Dr. Stefan Lüning, Geologe und Autor, kritisierte, dass die Klimadebatten oft zu emotional sei sowie die „klimahistorische Kurzsichtigkeit“. „Vor allem die vergangenen 100 Jahre stehen im Fokus der Betrachtung, nicht aber die vergangenen Jahrtausende“, sagte er. Das Desinteresse natürliche Kälte- und Wärmephasen – wie die Mittelalterliche Wärmeperiode – mit einzubringen, könne er nicht nachvollziehen. Lüning brachte Argumente hervor, dass der Mensch nur zur Hälfte für den Klimawandel verantwortlich sei.

Mehr Begrünung in Städten

Dr. Heiko Paeth, Leiter der Professur für Geographie der Universität Würzburg, zitierte hingegen wissenschaftliche Ergebnisse aus aktuell laufenden Forschungsprojekten, nach denen die Wahrscheinlichkeit bei 95 % liegt, dass der Mensch für die zunehmende Erderwärmung seit 1970 verantwortlich ist. In Bayern sei vor allem Unterfranken als besonders trockene Region betroffen. Dort ist es seit dem Jahr 1980 im Durchschnitt 1,7 Grad wärmer. Auch die Anzahl der Tropennächte – in denen auch nachts die Temperatur noch bei 30 Grad liegt – wird laut Klimamodellen um den Faktor 50 steigen. „Bayern ist besonders gierig beim Flächenverbrauch“, kritisierte er. Allein in der Stadt München machen 20 % der Fläche versiegelte Parkflächen aus – was das Lokalklima erheblich beeinflusst. Paeth forderte mehr Begrünung und offene Wasserflächen in den Städten. „Und anstatt neue Bäume zu pflanzen, sollten Kommunen verstärkt auf alte Baumbestände setzen. Diese Bäume sind nämlich tiefer verwurzelt und überstehen Dürreperioden besser“, erklärte Paeth. Um dezentrales Wassermanagement in den Kommunen voranzubringen, empfahl er Zisternen zu fördern. Disse ergänzte, dass Bayerns Relief es hergeben würde, kleine Versickerungsmulden zu bauen und Wasser nach Starkregenereignissen dem Grundwasser statt den Flüssen zurückzuführen.

„Klimamodelle zu konservativ“

Benno Zierner (Freie Wähler) forderte von den Experten, dass sie den Abgeordneten zusätzlich Arbeitspapiere liefern, in denen sie formulieren, wo sie Probleme und Missstände sehen. „Dann können wir auf die Ministerien einwirken“, sagte er. In der Diskussion darüber, wie stark sich die Erde auf Grundlage verschiedener Szenarien in den kommenden Jahrzehnten erwärmt, kritisierte Lüning, dass eine Unsicherheitsspanne von mehreren Grad existiere. „Wissenschaftler sind deshalb niemals verzweifelt, sondern diese große Unsicherheit bestätigt die Dringlichkeit zum Handeln“, bekräftigte Pongratz. Paeth ergänzte, dass die Prognosen einiger Klimamodelle sogar noch zu konservativ seien. „Es könnte reale Kippwerte geben, die wir derzeit in den Modellen gar nicht beachten“, gab er zu Bedenken.

10-H-Regel in der Kritik

Prof. Dr. Julia Pongratz machte darauf aufmerksam, dass in der Treibhausgasbilanz 50 bis 60 % der Emissionen in anderen Ländern erzeugt werden. „Das heißt: auch global haben wir ein großes Potential Treibhausgase zu reduzieren“, sagte sie. Prof. Dr. Michael Sterner, Leiter der Forschungsstelle Energienetze und Energiespeicher (FENES), führte verschiedene Instrumente für die Energiewende an. Er forderte die Absicherung der Energieversorgung durch einen Mix aus Stromtrassen, Batteriekraftwerken sowie Gaskraft und Technologien wie Power to Gas. Die 10-H-Abstandsregelung für den Bau von Windenergieanlagen diene nicht der Befriedung, sondern feuere sie zusätzlich an. „Wir sind auf ein offenes Bekenntnis der Staatskanzlei zur Abschaffung der 10-H-Regel angewiesen, das erleichtert die Kommunikation in den Kommunen“, forderte er.

Handlungsempfehlungen für Kommunen

Ruth Müller (SPD) forderte von den Experten ergänzende Handlungsempfehlungen für die Kommunen. Sterner befürwortete Ansätze wie das 10.000-Häuser-Programm. „Die Förderung energieeffizienter Häuser ist sehr sinnvoll. Gerade der Einsatz von Photovoltaik ist eine Entscheidung, die niemand bereut, weil immer ein Zusatznutzen entstehe. Dr. Petra Hutner, Leiterin des Landesverbandes Erneuerbare Energien Bayern, appellierte an die Staatsregierung, die Energiewende durch Hindernisse in Genehmigungsverfahren nicht zu verhindern. Bayerns Vorbildfunktion sieht sie in einer positiven Kommunikation gestärkt. In Bezug auf die 10-H-Regel beteuerte sie: „Aufklärungskampagnen bringen gar nichts, denn in den Kommunen fehlt die fachliche Kompetenz in Bezug auf die Bauleitplanung.“ Auch Florian von Brunn (SPD) forderte von der Staatsregierung, die 10-H-Regelung abzuschaffen um die Energiewende in Bayern zu beschleunigen.

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