Mehr Schutz und behinderungsbedingter Nachteilsausgleich

Sozialausschuss debattiert über die zeitgemäße Weiterentwicklung des Merkzeichens „aG“ im Schwerbehindertenausweis

Mehr als 128.000 Bürger in Bayern besitzen einen Behindertenausweis mit dem Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung). Ein im Mai von den Landtags-Grünen einstimmig angenommener Beschluss forderte die Staatsregierung auf, sich für eine zeitgemäße Weiterentwicklung jenes Merkzeichens auf Bundesebene einzusetzen. Über diesen Aspekt und darüber, wie die Vergabe des Merkzeichens auf Landesebene verbessert werden kann,  berichtete der Vertreter des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (StMAS) im Sozialausschuss des Bayerischen Landtags. Die Abgeordneten – insbesondere der Opposition – erkundigten sich in der anschließenden Diskussion vor allem, wie sich die Neuregelungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf das Merkzeichen aG auswirken und forderten eine aktive Rolle Bayerns in der zukünftigen Debatte darüber.

Nur wer sich außerhalb eines Autos lediglich mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung bewegen kann, hat Anspruch auf das Merkzeichen aG. Das war bislang so – und daran sei auch in der Neuregelung festgehalten worden, wie der Vertreter des Staatsministeriums erläuterte.  Doch während der Fokus vor der Änderung lediglich auf orthopädischen Leiden gelegen habe, sei mit dem Bundesteilhabegesetz das Merkzeichen aG nun ausgeweitet worden auf „jegliche Gesundheitsstörungen, die infolge zu einer ausgewöhnlichen Geheinschränkung oder Mobilitätsbeschränkung führen“.

Mit dieser Änderung wurde das davor für Bayern gültige „Bayern aG“ durch das Sozial- und Innenministerium abgeschafft, was zur Folge hatte, so die Aussage des Staatsministeriums, dass in Bayern rund 20.000 Menschen vom bayerischen in das allgemeine Merkzeichen aG überführt wurden. Überdies unterstrich das Ministerium, dass Bayern die Vergabe des Merkzeichens im Vergleich zu allen anderen Bundesländern am großzügigsten handhabe. Bezüglich einer Weiterentwicklung des Merkzeichens auf Bundesebene signalisierten die anderen Bundesländer allerdings keine Bereitschaft einen derartigen Antrag zu unterstützen.

Hat die Änderung in allen Fällen geklappt?

Vor dem Hintergrund der Überführung der bayerischen Regelung in die allgemeine befragte in der anschließenden Aussprache zunächst die SPD-Abgeordnete und Ausschussvorsitzende, Doris Rauscher, das Staatsministerium, ob in die erweiterten Regelungen des Bundes im Jahr 2018 „tatsächlich alle überführt wurden, sodass kein Anspruchsverlust oder Qualitätsverlust hingenommen werden musste“. Ihr wurde ein konkreter Fall vorgetragen, in dem die Überführung des bisherigen bayerischen Merkzeichens nicht angenommen worden sei. Nach Auffassung des Staatsministeriums könne dieser Mangel in Einzelfällen an der Unkenntnis der Gemeinden liegen, die noch nicht umfassend über die Abschaffung der Bayern aG informiert worden seien. Sollte ein Betroffener Schwierigkeiten mit der Gemeinde haben, dann könne er sich jederzeit an das Sozialministerium wenden, so der Vertreter des Ministeriums.

Die FDP-Abgeordnete Julika Sandt wies darauffolgend auf die Einschränkungen für Menschen mit Behinderung hin, welche durch die Verkehrswende entstünden. Behinderte könnten durch den Ausbau der Radwege und dem damit einhergehenden Wegfall von Parkplätzen und Behindertenparkplätzen „nicht mehr mit dem Taxi vor die Tür gebracht werden“, so die Abgeordnete. Diesbezüglich konnte das Staatsministerium keine Antwort geben, da das Problem außerhalb dessen Zuständigkeiten liege und verwies auf die einzelnen Kommunen, deren Aufgabe es sei, genügend Behindertenparkplätze auszuweisen.

Für eine Weiterentwicklung auf Bundesebene

Kerstin Celina (Bündnis 90/Die Grünen) machte in ihrem Statement auf die hohe Anzahl an Widersprüchen und Klagen bezüglich einer Schwerbehinderteneigenschaft und des Merkzeichens aG aufmerksam. Außerdem betonte die Abgeordnete vor diesem Hintergrund, dass es weiterhin ein wichtiges Ziel sei, das Merkzeichen auch auf Bundesebene weiterzuentwickeln und Bayern dabei eine Vorreiterrolle einnehmen müsse: „Muss es nicht bezüglich der Barrierefreiheit 2030 Bayern ein großes Anliegen im Bundesrat sein, eine große Mehrheit zu bekommen? Wenn ja, wie wollen Sie weiter vorgehen?“ Auch Rauscher bekräftige diese Aussage. Dem bayerischen Landtag sei es weiterhin ein großes Anliegen – insbesondere aufgrund der großen Anzahl an Petentinnen und Petenten, die diesbezüglich immer wieder Probleme vortragen – für eine Weiterentwicklung des Merkzeichens auf Bundesebene einzutreten: „Wir merken einen Konflikt zwischen dem, was uns vorliegt und der Haltung, die Sie angeführt haben, als Vertreter der Staatsregierung, dass die Staatsregierung keinen Bedarf für eine Weiterentwicklung auf Bundesebene sieht.“

Das Ministerium betonte daraufhin, dass die Petenten und Menschen mit Behinderung durchaus wahrgenommen würden, der Großteil der Bundesländer allerdings keinen Bedarf sehe, nach drei Jahren schon wieder etwas an den Kriterien zu ändern. Überdies handle man in Bayern schon sehr bürgerfreundlich, sei aber auch an das Bundesrecht gebunden. Diese Aussage bekräftigte auch Marcus Kupfer, Vertreter des „Zentrum Bayern Familie und Soziales“ (ZBFS), dadurch, dass in Bayern zehn Prozent der Schwerbehinderten Inhaber des Merkzeichens aG seien, was die großzügige Vergabe kennzeichne.

Ferner betonte Kupfer auf die Frage von Celina, ob es auch für einen Patienten mit Prothese oder eine Lungenerkrankung möglich sei, das Merkzeichen aG zu erhalten, dass die Neuregelung des Bundesteilhabegesetzes das Merkzeichen aG bei unterschiedlichsten Gesundheitsstörungen und Arten zulasse, so also auch bei „neurologischen, orthopädischen oder internistischen Beschwerden“. Es bedürfe lediglich eines mobilitätsbezogenen Grades der Behinderung (GdB) von 80.

Zwar waren auch Abgeordnete der Regierungskoalitionen anwesend – Nachfragen gab es seitens der CSU und der Freien Wähler jedoch nicht, auch die beiden AfD-Abgeordneten meldeten sich nicht zu Wort. Abschließend appellierte die Vorsitzende Rauscher an die Staatsregierung, sich für eine Weiterentwicklung des Merkzeichens aG auf Bundesebene intensiv einzusetzen. 

/ Laura Gabler

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