Abgeordnete diskutieren Szenarien für ein Europa der Zukunft

MÜNCHEN/KREMS/BERLIN. Abgeordnete des Europaausschusses haben in einem Expertengespräch mit Wissenschaftlerinnen des internationalen Forschungsprojekts REGIOPARL – Regional Parliaments Lab über Szenarien für ein Europa der Zukunft diskutiert. Im Fokus stand die regionale Perspektive, insbesondere die Rolle der Regionen im Mehrebenensystem der EU.

Viele Maßnahmen und Rechtsakte, die durch die Europäische Union (EU) beschlossen werden, wirken sich unmittelbar auf die regionale Ebene aus oder werden von ihr umgesetzt. Ausgehandelt werden diese jedoch zumeist zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union. Welche Rolle kommt dabei den bayerischen Abgeordneten als regional politischen Akteuren zu? Welche Form der Mitgestaltung würden sie sich in einem neu verfassten Europa wünschen? „Wir möchten hineinhorchen, was Ihre Perspektive in den Regionen ist und welche Vorstellungen Sie von einer schlüssigen Kompetenzaufteilung zwischen den unterschiedlichen politischen Ebenen haben“, erläuterte Forschungsleiterin Dr. Sarah Meyer von der Donau Universität Krems zum Auftakt des Workshops, an dem sich Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER), Dr. Franz Rieger (CSU), Florian Siekmann und Anne Franke (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Markus Rinderspacher (SPD) sowie Christoph Skutella (FDP) beteiligten.

Eine „europäische Republik“ als Denkmodell

Als Denkmodell und Impuls präsentierte Univ.-Prof. Dr. Ulrike Guérot, Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems, die Idee einer „europäischen Republik“, die auf Regionen anstelle von Nationalstaaten als konstitutionelle Träger europäischer Demokratie setzt. Deren Verfassung, so Guérot, würde ein Zwei-Kammer-System vorsehen – mit einem Parlament für die rund 500 Millionen europäischen Bürgerinnen und Bürger und mit einem Senat als Repräsentanz für ca. 50 bis 70 neu in Europa zugeschnittene, selbstständige Regionen.

„Die Regionen in Europa leisten – jenseits nationalstaatlicher Animositäten – konstruktive Beiträge. Es gilt, diese Stimme der Regionen zu stärken. Dennoch brauchen wir weiterhin die nationalstaatliche Ebene“, zeigte sich Europaausschussvorsitzender Tobias Gotthardt überzeugt – eine Position, die mehrheitlich geteilt wurde. Das von Guerót skizzierte Modell sei demokratie-theoretisch denkbar, realpolitisch jedoch nicht durchsetzbar. Mehr Kompetenzen für den bestehenden Ausschuss der Regionen forderten Dr. Franz Rieger und Christoph Skutella, während Markus Rinderspacher vor einer „institutionalisierten Kleinstaaterei“ auf europäischer Ebene warnte. Rinderspacher plädierte im Sinne einer lebendigeren Demokratie für die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip, um Blockadehaltungen auf europäischer Ebene zu vermeiden. Florian Siekmann gab zu bedenken, dass aufgrund der Freizügigkeit im Binnenmarkt das Arbeitsleben und die Gesellschaft immer europäischer werden – ein Trend, den es auch in der institutionellen Architektur der zukünftigen EU abzubilden gelte.

Beim Blick auf die verschiedenen Politikfelder äußerten die Teilnehmer den Wunsch, dass gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik Europa „mit einer Stimme“ sprechen möge – ein jedoch schwer zu erreichendes Ziel angesichts regelmäßig zu Tage tretender nationaler Interessen und Egoismen.

Abgeordnete fordern Rückübertragung von Kompetenzen in der Agrarpolitik

In der Agrarpolitik – Agrarsubventionen machen mit 58 Milliarden Euro immerhin rund 40 Prozent des EU-Haushalts aus – plädierten die Abgeordneten Dr. Franz Rieger und Christoph Skutella für eine Rückübertragung von Kompetenzen auf die nationale bzw. regionale Ebene. Bayern, so Dr. Rieger, habe mit seinen Familienbetrieben und einer eher kleinparzelligen Landwirtschaft im europäischen Vergleich eigene Strukturen und Vorstellungen. Auch Anne Franke sah in der derzeitigen inhaltlichen Ausgestaltung der Agrarpolitik, etwa bei der Flächensubventionierung, falsche Anreize. Sie plädierte stattdessen dafür, dass „öffentliche Gelder nur dann fließen sollten, wenn öffentliche Leistungen erbracht werden“.

Das Projektteam zog zum Schluss des Workshops im Bayerischen Landtag eine positive Bilanz: „Es ist uns gelungen, europapolitische Zielvorstellungen der Abgeordneten jenseits real- und parteipolitischer Begrenzungen einzufangen“, resümierte Ulrike Guérot, die das internationale Forschungsprojekt REGIOPARL initiiert hat. Bei seinen nächsten Stationen im spanischen Galicien und Andalusien will das Forschungsteam im Dezember weitere regionale Beiträge zur EU-Zukunftsdebatte einholen. Insgesamt sollen 15 Regionalparlamente in sieben EU-Mitgliedsstaaten im Rahmen des Projekts besucht werden.  /kh



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