Präsident des Europäischen Rechnungshofs sucht Gedankenaustausch mit Abgeordneten des Bayerischen Landtags

26.11.2019

MÜNCHEN/LUXEMBOURG. Für Klaus-Heiner Lehne, den Präsidenten des Europäischen Rechnungshofs, stellte die Einladung in den Bayerischen Landtag eine Premiere dar: Mit seinem Besuch im dortigen Europaausschuss war er zum ersten Mal in seiner Funktion als „Oberster Hüter der EU-Finanzen“ zu Gast in einem Landesparlament. „Ich bin immer wieder im Deutschen Bundestag in Berlin, aber tatsächlich geht der größte Teil der EU-Fördermittel, die in Deutschland verteilt werden, ja an die Bundesländer, nicht an den Bund“, erläuterte er. Seit 2014 sind allein in Bayern Projekte in Höhe von 1,9 Milliarden Euro mit EU-Fördermitteln kofinanziert worden.

An dem Informationsgespräch mit dem Europäischen Rechnungshofpräsidenten im Landtag, das Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER), der Vorsitzende des Europaausschusses initiiert hatte, beteiligten sich neben den Mitgliedern des Europaausschusses außerdem Mitglieder des Haushaltsausschusses, darunter die beiden Vorsitzenden Josef Zellmeier (CSU) und Claudia Köhler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Auch Christoph Hillenbrand, Präsident des Obersten Bayerischen Rechnungshofs, nahm als Zuhörer an der Sitzung im Landtag teil. Lehne stellte die von ihm geleitete EU-Institution mit Sitz in Luxembourg vor und beschrieb dessen Aufgaben und Herausforderungen.

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Herr Lehne, Sie sind im Herbst 2016 zum 11. Präsidenten des Europäischen Rechnungshofs gewählt worden. Soeben traf die Nachricht ein, dass die Verlängerung Ihres Mandats von den Abgeordneten des Europaparlaments bestätigt wurde. Wie wird man Präsident des Europäischen Rechnungshofs? Welche Qualifikationen sind wichtig?

„Das muss ich etwas präzisieren. Der Präsident wird von den 27 anderen Mitgliedern – je eines pro Mitgliedsstaat – des Rechnungshofs gewählt. Damit ist auch seine Rolle und Stellung bereits vorbestimmt. Der Präsident des Europäischen Rechnungshofs ist der primus inter pares. Als solcher ist aus meiner Sicht auch die Fähigkeit, Kompromisse herbeiführen zu können, sehr wichtig. Natürlich muss man sein Fach beherrschen und verstehen, wie das Zusammenspiel der europäischen Institutionen funktioniert. Entscheidend ist aber die Fähigkeit, gleichberechtigte Partner zu einer gemeinsamen Lösung zu führen, mit der alle leben können. Insofern ist die interne Arbeit ein bisschen ein Spiegelbild der Union an sich. Europäisches Handeln funktioniert im Wesentlichen als Kompromiss. Das ist eine der Hauptschwierigkeiten, gleichzeitig aber auch eine der Hauptstärken Europas, sobald ein solcher Kompromiss einmal gefunden ist. Meine Kolleginnen und Kollegen haben mir im September eine zweite Amtszeit für 3 Jahre als Präsident anvertraut. Daneben steht jetzt auch die Verlängerung meines Mandats als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs um weitere sechs Jahre an. Hier hat das Europäische Parlament soeben ein positives Votum abgegeben. Die Ernennung als Mitglied des Europäischen Rechnungshofs erfolgt aber durch den Rat der Europäischen Union.“

Der jährliche Gesamthaushalt der EU umfasst rund 170 Milliarden Euro. Welche Rolle spielt der Europäische Rechnungshof als „finanzieller Wächter“ der EU bzw. was genau überprüft er?


„Vereinfacht gesagt ist der Europäische Rechnungshof zum einen der unabhängige, externe Prüfer der Europäischen Union. Unsere Aufgabe ist es, das EU Finanzmanagement zu überwachen, also die Rechnungsführung und die Einhaltung der europäischen Finanzregeln. Das ist das, was wir Compliance Prüfung nennen. Dafür wählen wir jedes Jahr nach statistischen Methoden einige Hundert Transaktionen aus, die unsere Prüferinnen und Prüfer genauestens unter die Lupe nehmen und schauen, ob alle Regeln und sonstigen Vorgaben eingehalten wurden. In unserem sogenannten Jahresbericht stellen wir jedes Jahr im Herbst das Ergebnis unserer Prüfungen der Jahresrechnung für das Vorjahr und der ihr zugrundeliegenden europäischen Einnahmen und Ausgaben vor. Unsere Prüfungsberichte bilden ein wichtiges Glied in der Rechenschaftskette der EU. Sie helfen dem Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union dabei, die für die Haushaltsführung der EU verantwortlichen Stellen im Rahmen des jährlichen Entlastungsverfahrens – zur Rechenschaft zu ziehen.“

Aber mehr noch als die Feststellung, ob die Finanzlage der EU korrekt dargestellt ist, interessiert die Bürgerinnen und Bürger, und damit auch ihre Vertreter in den Parlamenten, was mit ihren Steuermitteln erreicht wurde. Und damit komme ich zu der anderen, mindestens ebenso wichtigen, Aufgabe des Europäischen Rechnungshofs, den Performance Prüfungen. Der Europäische Rechnungshof prüft nicht nur die Einhaltung der EU-Finanzregeln, sondern wir gehen auch der Frage nach, ob mit den eingesetzten Mitteln die damit verbundenen Ziele erreicht wurden, und wie effizient dieser Mitteleinsatz war. Der Europäische Rechnungshof hat im letzten Jahr sogenannte Sonderberichte zu 35 ausgewählten Themen vorgelegt, in denen sich für die EU relevante Fragen widerspiegeln. Das Themenspektrum reichte dabei von der Luftqualität in Europa, dem europäischen Hochgeschwindigkeitsschienennetz, der Fazilität für Flüchtlinge in der Türkei bis zur europäischen Bankenaufsicht. Dazu gibt der Hof Empfehlungen im Hinblick auf finanzielle Einsparungen, bessere Arbeitsmethoden oder eine kosteneffizientere Erreichung der angestrebten politischen Ziele ab.“

Wieviele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gehören dem Europäischen Rechnungshof an? Wie können die dortigen EU-Prüfer überprüfen, dass die EU-Mittel optimal verwendet werden?


„Insgesamt hat der Europäische Rechnungshof knapp 900 Mitarbeiter, von denen ungefähr 2/3 Prüfer sind. Ein Großteil unserer Arbeit kann von Luxembourg aus erledigt werden. Wir prüfen aber auch vor Ort. Dabei gehen wir überall dorthin, wo europäische Gelder ausgegeben werden, sei es in Brüssel, hier in Bayern oder in Afrika. Letztes Jahr haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fast 3.800 Tage externe Prüfungsarbeit innerhalb und außerhalb der EU geleistet; rund 350 davon in Deutschland.“


Vor welchen besonderen Aufgaben und Herausforderungen steht der Europäische Rechnungshof im kommenden Jahr 2020?



„Für die Union lässt sich allgemein beobachten, dass sie immer höhere Erwartungen und mehr Aufgaben erfüllen muss. Gleichzeitig lässt nicht zuletzt der Brexit erwarten, dass das ihr dafür zur Verfügung stehende Budget jedenfalls nicht zunimmt. Gleiches gilt auch für den Rechnungshof. Unsere Stakeholder erwarten zunehmend – und völlig zu Recht – Performance Prüfungen zu sehr speziellen Themen, die aufwendig sind und Spezialwissen von unseren Prüferinnen und Prüfern erfordern. Denken Sie etwa an den Themenbereich Cybersecurity. Die zunehmende Digitalisierung bietet ebenfalls ungeahnte Möglichkeiten, stellt uns aber auch vor Herausforderungen. Insgesamt erfordern die immer schneller werdenden technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ein hohes Maß an Anpassung und Entwicklung auch von uns. Um damit Schritt halten zu können, müssen wir jetzt schon die richtigen Weichenstellungen für die Zukunft vornehmen. Das bedeutet, wir müssen die Institution zukunftssicher machen. Dafür müssen wir jetzt antizipieren, welchen Entwicklungen wir uns stellen müssen. Das nennen wir Future Foresight – ein Bereich, dem wir uns intern intensiv widmen.“

Herr Lehne, vielen Dank für das Gespräch.

Interview kh

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