Akademiegespräch im Landtag zu „Europa gestalten. Erfahrungen – Erfolge – Erwartungen“

Mittwoch, 5. April 2017
– Von Dr. Sebastian Haas –

60 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge erlebt Europa eine Zeit der Weichenstellungen: Migration, Brexit, Populismus, das Verhältnis zu den USA, Russland und der Türkei – wohin die Entwicklung der Europäischen Union geht, ist nicht sicher. Das erhoffte Zeitalter der Demokratie, des Friedens und vor allem der Einheit erscheint brüchig. Beim 54. Akademiegespräch im Landtag sprach Rocco Buttiglione, Vizepräsident der italienischen Abgeordnetenkammer und ehemaliger italienischer Europa- und Kulturminister, zum Thema „Europa gestalten. Erfahrungen – Erfolge – Erwartungen“.

Buttiglione war an mehreren christdemokratischen Parteigründungen beteiligt, war Kabinettsmitglied unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi und pflegt enge Verbindungen in den Vatikan, zum Beispiel als Mitglied der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften oder als persönlicher Berater des Papstes Johannes Paul II. Mal trat er öffentlich als moderates Aushängeschild der Regierung Berlusconi auf, wenn er forderte, mit Nächstenliebe auf das Problem illegaler Einwanderung nach Italien zu antworten; mal vertrat er extrem konservative Positionen – so sorgten seine Äußerungen zu Homosexualität, künstlicher Befruchtung oder Abtreibung im Jahr 2004 dafür, dass seine Nominierung zum EU-Justizkommissar zurückgezogen wurde.

Wie man auch politisch zu ihm steht: Rocco Buttiglione ist einer der profiliertesten italienischen Philosophen der Gegenwart und scheut die Diskussion nicht. So haben Akademie für Politische Bildung und Bayerischer Landtag Rocco Buttiglione um seine Einschätzungen zur Lage Europas gebeten, um gleichermaßen zu zeigen, dass sich geistig „in Europa noch etwas regt“ – wie es Landtags-Vizepräsident Peter Meyer in seiner Begrüßung ausdrückte. Auch Akademiedirektorin Ursula Münch betonte, wie wichtig es ist, den (gefühlten) Abstand zwischen Bürgern und den Eliten in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu überwinden, die allseits geäußerten Zweifel am europäischen Projekt zu thematisieren und immer wieder über die Ausgestaltung der Europäischen Integration zu sprechen.

So dominiert auch in Italien, das noch bis vor wenigen Jahren als einer der Vorreiter der europäischen Einigung galt, inzwischen das Lager der Skeptiker die Diskussion über europäische Themen. Rocco Buttiglione befindet sich seit Jahrzehnten inmitten dieser Diskussion, „als Politiker, als Philosoph, als Professor“, so beschreibt er es selbst. So trat er auch im Maximilianeum als Mahner auf, der Probleme benennt und vor allem wichtige Fragen stellt – damit die Zuhörer selbst zu ihrer Antwort kommen.

Feststellungen und Denkanstöße

Buttigliones Feststellungen über die Ausgestaltung der Europäischen Integration reichten dabei von der friedenstiftenden Gemeinschaft über einen verbindenden, religiös geprägten Wertekanon bis hin zur Migrations- und Sicherheitspolitik:

•    „Wenn die Europäische Union zerstückelt wird, haben wir in einem halben Jahrhundert wieder Krieg in Europa.“

•    „Ohne eine von den USA unabhängige Verteidigungsstrategie wird Europa nicht mehr ernst genommen und im schlimmsten Fall alleine gelassen.“

•    „Die sogenannten kleinen Leute entdecken in der europäischen Integration keinen direkten Nutzen für sich selbst. Um diese nicht den Populisten in die Hände zu treiben, ist ein europäisches Projekt, eine klare Botschaft notwendig.“ In diesem Zusammenhang sei Religion „das Fundament aller Kulturen – nur nicht der europäischen“.

•    „Multikulturelle Gesellschaften werden kommen. Doch wenn die europäischen Nationen weiter gemeinsame Werte in Kultur und Religion verneinen, und dann der Fremde mit klaren religiösen Prinzipien ins Land kommt, mündet dies in Angst.“

•    „Verantwortung kann man gegenüber der eigenen Umgebung übernehmen, aber nicht gegenüber den Armen in aller Welt. Letztlich können wir nur die Personen annehmen, die wir in die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt integrieren können. Feste Regeln und Abkommen sind für die Integration und für die Rückführung von Migranten sowie für die Bekämpfung der Fluchtursachen unbedingt nötig.“

Vor allem aber waren es die Fragen des Philosophen Buttiglione, die das Akademiegespräch im Landtag bestimmten und zu einer langen, intensiven Diskussion unter den fast 300 Gästen führten. Welche Antworten Sie auf das Folgende finden, bleibt Ihnen überlassen. Das Nachdenken darüber lohnt aber tatsächlich.


•    Gibt es eine europäische Identität?
•    Wie kann ein vernünftiger Dialog der Kulturen aussehen?
•    Welche Art einer multikulturellen Gesellschaft wollen wir?
•    Können wir die Kultur des anderen lieben?
•    Haben wir überhaupt das Recht auf eine Leitkultur?
•    Sollte statt der Vernunft nicht eher die (christliche Nächsten-)Liebe das politische Handeln bestimmen?
•    Bietet der christliche Glaube eine andere Möglichkeit, als Leidenden zu helfen und Heimatlose aufzunehmen?
•    Wie können wir das europäische Gebäude weiterbauen?
•    Sind wir zu alt, um uns in Europa zu verlieben?
•    Wo ist das Heiligtum Europas?
•    Europa, wo bist Du?

Randspalte

Weiterführende Informationen

Back to top