Zu Gast bei den EU-Partnern im Osten

Tallinn, 6. Mai 2016
– Von Dr. Anton Preis –

Das Präsidium des Bayerischen Landtags besuchte in der ersten Maiwoche die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Diese drei Länder bilden die Ostgrenze der Europäischen Union und der NATO – beide Institutionen sind aber von zentraler Bedeutung für die drei Staaten. Europapolitische Themen bildeten demnach auch den Schwerpunkt des persönlichen Austauschs zwischen dem Präsidium und den Gesprächspartnern vor Ort. Das Präsidium verbrachte jeweils zwei Tage in Vilnius, Riga und Tallinn.

In Litauen begann der erste Tag der Reise mit einem Briefing durch die Deutsche Botschafterin Jutta Schmitz. Hauptthema war zunächst die Sicherheitslage dieses exponierten NATO-Partners. So ist beispielsweise die Bundeswehr in Manövern präsent. Deutschland wird als verlässlicher Partner im Lande sehr geschätzt. Was die Arbeitskräfte betrifft, so hat das Land Schwierigkeiten, gut ausgebildete Fachkräfte im Land zu halten. Seit der Unabhängigkeit Litauens vor 25 Jahren sind rund 700.000 Litauer abgewandert, nunmehr ist die Bevölkerungszahl unter drei Millionen Menschen gerutscht. Die deutsche Wirtschaft ist sehr präsent im Land. Rund 400 deutsche Unternehmen haben Betriebe oder Dependencen vor Ort. Dies wird zudem durch die Tatsache erleichtert, dass die deutsche Sprache in Litauen traditionell weit verbreitet ist.

Litauen treibt eine Hochschulreform an

An der Universität von Vilnius hatte die Delegation Gelegenheit, aus erster Hand Einblicke in den Hochschulbetrieb des Landes zu erhalten und mit Studenten aus dem Land selbst und dem Ausland sprechen zu können. Dr. Birute Sakalauske-Svedaite, Prorektorin für Angelegenheiten der Universitätsgemeinde, berichtete von den Rahmenbedingungen, unter denen in Litauen Forschung betrieben werde. Das durchschnittliche Gehalt der Professoren betrage zwar mit 1100 Euro brutto rund das Vierfache des gesetzlichen Mindestlohns, jedoch erschwere dieses Gehaltsniveau trotzdem das Anziehen internationaler Fachkräfte. Weitere Themen waren die derzeit im Lande vorangetriebene Hochschulreform und die Problematik, Studierende für MINT-Fächer zu begeistern. Ebenso wurde der Tradeoff zwischen Forschung und Lehre beschrieben. Die Hochschulen legen nach wie vor Wert auf die Lehre und damit ein hohes Lehrdeputat für die Professoren. Dies birgt die Gefahr, dass das auf Kosten der Forschung geschieht.

EU als Union der Werte

In Litauens Seimas (Parlament) sprachen die Abgeordneten mit der Parlamentspräsidentin Loreta Grauziniene und Vertretern verschiedener Fraktionen. Hier war unter anderem die Flüchtlingskrise Kerninhalt, bei der aus der bayerischen Delegation verschiedene Positionen dargelegt wurden. Litauens Parlamentspräsidentin betonte die Bedeutung der Freundschaft zwischen Bayern und Litauen. Landtagspräsidentin Barbara Stamm unterstrich die Rolle der EU als Union der Werte. Dieser Kern des Daseins müsse in ganz Europa viel stärker herausgestellt werden. Daneben wurde über die Ukraine-Problematik gesprochen und die Konsequenzen der Russland-Sanktionen für Litauen, das keinen Handel mehr treiben könne mit der russischen Exklave Kaliningrad. 
Bei einem Arbeitsessen mit dem Vorsitzenden der deutsch-litauischen Parlamentariergruppe, Prof. Kestutis Masiulis, bedankten sich dieser und die weiteren Vertreter des litauischen Parlaments, dass ein so wichtiges Bundesland wie Bayern in Sachen baltischer Freundschaft Farbe bekenne und nicht nur der Bundestag in Litauen präsent sei.

In der Regierungskanzlei hatte die Delegation Gelegenheit, mit dem Regierungskanzler zu sprechen. Alminas Maciulis ist quasi der Kabinettschef der Regierung und dadurch einer der ranghöchsten Exekutivbeamten. Hier standen besonders die Wirtschaftsbeziehungen auf der Tagesordnung. Ebenso sprach die Delegation zum Thema „schnelles Internet“.

Litauen klar für Stabilitätspakt

Im Energieministerium war die nun nicht mehr bestehende Energieabhängigkeit von Russland Kernthema bei dem Termin mit Energieminister Rokas Masiulis. Ebenso kommt nun günstigerer Strom über Skandinavien ins Land, was die Strompreise um fast 20 % gesenkt hat. Problematisch ist ein im Bau befindliches Kernkraftwerk in Weißrussland, das nur rund 50 Kilometer von Vilnius entfernt ist. Ebenso interessierte die Delegation der Umgang mit dem Zukunftsrohstoff Holz und die Maßnahmen Litauens im Kampf gegen den Klimawandel. 
Vize-Wirtschaftsministerin Rasa Noreikiene war Gesprächspartnerin beim Termin im Wirtschaftsministerium. Hier sprachen die Abgeordneten unter anderem über die Maßnahmen Litauens, Unternehmertum zu fördern. Der Berater des Präsidenten der SEB-Bank, Dr. Gitanas Nauseda, spannte in seinem Gespräch mit der Delegation den Bogen von der Schuldenkrise bis hin zu deren Auswirkungen auf den litauischen Alltag. Die Litauer seien dabei auf der Seite derjenigen Staaten, die eine Stabilitätspolitik klar bevorzugen. Zu große Opfer mussten in Litauen selbst gebracht werden. Noch vor wenigen Jahren musste sich das Land die Kredite für 9,5 % Zinsen am Kapitalmarkt holen.
Am Dienstag wurde nun die Reise fortgesetzt und die Gruppe kam in Lettlands Hauptstadt Riga an.

Im Briefing mit Botschafter Rolf Ernst Schütte erfuhren die Teilnehmer von den sehr alten deutsch-lettischen Beziehungen. Über 800 Jahre lang waren die Deutschen in Wirtschaft und Kultur führend und dies ist den Letten nach wie vor in positiver Erinnerung geblieben. Die Deutsche Botschaft ist hier größer als anderswo, das Goethe-Institut, die deutsch-baltische Handelskammer und das Baltisch-Deutsche Hochschulkontor sind sehr präsent vor Ort. Schwieriger gestaltet sich die Beziehung zu Russland. Im Gegensatz zu Litauen beträgt der Anteil der russischsprachigen Minderheit rund ein Drittel der Bevölkerung. Dies führt zu einem erhöhten Einfluss von TV-Sendern aus Russland, die in Lettland ebenfalls empfangen werden können.

Feierliche Blumenniederlegung am Freiheitsdenkmal

Dass der 4. Mai ein besonderer Tag in Lettland ist, konnten die Abgeordneten der Delegation hautnah miterleben. Am Tag der Unabhängigkeitserklärung von 1990, die an eben jenem Tag erfolgte, nahm die Delegation zunächst an der Eröffnung des Nationalen Kunstmuseums teil, das nach mehrjähriger Renovierung in neuem Glanz erstrahlte. Danach folgte die Teilnahme an der Festsitzung des Parlaments mit einer Rede der Parlamentspräsidentin Inara Murniece anlässlich des Unabhängigkeitstages. Ein Höhepunkt war die feierliche Blumenniederlegung der Delegation am Freiheitsdenkmal in Riga mit Gedenken an die Ereignisse von 1990, die zur Loslösung des Landes von der Sowjetunion führten.

Im Rahmen eines Gesprächs mit Wohlfahrtsminister Janis Reirs ging es um das Sozialsystem in Lettland. Auch dort steht man vor den Herausforderungen des demographischen Wandels, weshalb entsprechend versucht wird, Familiengründung attraktiver zu gestalten, so etwa durch bezahlte Erziehungszeiten mit Elterngeld. Zugleich wurde das Renteneintrittsalter angehoben, so dass bis 2025 die Grenze von 65 Jahren erreicht wird. Einwanderungspolitik werde, so Reirs, nicht aktiv betrieben, da zunächst die Arbeitslosigkeit der einheimischen Bevölkerung bekämpft werden und die Fachkräfte im Land gehalten werden müssten. Im vergangenen Jahr habe es durchschnittlich 8 % Lohnzuwachs gegeben.

Die Delegation hatte im Anschluss die Gelegenheit, mit Parlamentsvizepräsidentin Inese Libina-Egnere, die den Bayerischen Landtag im letzten Jahr besucht hatte, zu sprechen. Landtagspräsidentin Barbara Stamm freute sich über die frisch initiierten parlamentarischen Begegnungen und hoffte auf künftig regen Austausch mit Lettland und sprach daher die Einladung aus, dass Delegationen im Landtag jederzeit willkommen seien. „Es gibt so viele gemeinsame Politikfelder, wo wir aktiv werden können. Sei es Kultur, Bildung, Wirtschaft, Haushalt oder Soziales. Hier ist vieles vorstellbar.“ Vizepräsidentin Libina-Egnere drückte ihrerseits ihre Freude über den Besuch aus Bayern aus und dankte für das große Interesse und die Einsatzbereitschaft der Delegation aus dem Landtag, von dem Lettland nur profitieren könne. „Lassen Sie uns den Kontakt vertiefen und weiterhin eine enge Partnerschaft pflegen“, so Libina-Egnere.

In Estlands Hauptstadt Tallinn, der letzten Station der Präsidiumsreise, nahm die Delegation an der Verleihung des Preises der Deutschen Wirtschaft in Estland, vergeben durch die deutsch-baltische Außenhandelskammer, teil. Der Preis stand unter dem Motto „Unsere Mitarbeiter – unser Erfolg“ und ging an die Enics Eesti AS, einem weltweit tätigen Industrieelektronik-Hersteller. Landtagspräsidentin Barbara Stamm betonte in ihrer Gastansprache: „Das diesjährige Motto gefällt uns ganz besonders, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind das wertvollste Kapital, ja das Herz eines jeden Unternehmens.“

Auch in Tallinn erfolgte wiederum ein Briefing durch den dortigen Deutschen Botschafter Christoph Eichhorn. Er sprach über die Digitalisierung, die sich Estland auf die politischen Fahnen geschrieben habe. So könnten nahezu alle Behördengänge bis auf Eheschließung, Scheidung und Immobilienkauf über eine E-Government-Lösung auf Basis einer digitalen ID-Karte abgewickelt werden. Die Esten wählen sogar digital. Darüber hinaus kam die Deutsche Luftwaffe, die im Rahmen eines Einsatzes mit Namen „Baltic Air Policing“ hier tätig ist, zur Sprache und die Sicherheitslage im Zusammenhang mit Russland.

Im Parlament (Riigikogu) hieß der Vorsitzende der estnisch-deutschen Gruppe, Kalle Palling, und Parlamentsvizepräsident Helir-Valdor Seeder die bayerischen Abgeordneten willkommen. Gesprächsthemen waren unter anderem die Auswirkungen des Russland-Embargos, die Flüchtlingspolitik und die Euro-Schuldenkrise.

Ein weiteres Gespräch folgte mit Margus Tsahkna, dem Minister für Sozialschutz. Auch hier war wie in Lettland der demographische Wandel Kernthema des Austauschs. So habe man das staatlich gezahlte Kindergeld ab dem dritten Kind vervierfacht. Dies erfolge im Sinne einer Drei-Kind-Politik von Seiten des Staates.

Der Rest des Aufenthalts in Tallinn stand ganz im Zeichen der Informationstechnologie:  Zunächst erfuhren die Abgeordneten mehr über das NATO-Kompetenzzentrum für Cyberabwehr. Dann ging es zum e-Showroom Estlands, wo die digitale Strategie Estlands anschaulich präsentiert werden konnte.

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