Gedenkveranstaltung für Opfer des Nationalsozialismus

26. Januar 2018

- Von Zoran Gojic -


KLOSTER URSBERG.      „Ich will leben wie ihr, leben jetzt und hier“ – damit brachten REMPAC, die inklusive Band der schwäbischen Behinderteneinrichtungen Dominikus-Ringeisen-Werk, das Motiv des diesjährigen Gedenkaktes für die Opfer des Nationalsozialismus am 26. Januar im Kloster Ursberg auf den Punkt. Denn beim Gedenkakt des Bayerischen Landtags und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten lag der Schwerpunkt auf den Opfern des sogenannten Euthanasieprogramms. 300 000 Menschen mit Behinderung wurden in Europa von den Nazis zwischen 1939 und 1945 ermordet, weil sie als „lebensunwert“ eingestuft worden waren.


Als Zeichen gegen diese menschenverachtende Art zu denken, wurden  Menschen mit Behinderung, die vom Dominikus-Ringeisenwerk in Ursberg betreut werden, in die Veranstaltung mit eingebunden. Vor Beginn der eigentlichen Veranstaltung legten Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Karl Freller, Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, am Denkmal für die Euthanasie-Opfer in Kloster Ursberg Kränze nieder. Beim Gedenkakt appellierte Karl Freller daran, die Achtung der Menschenwürde als aktive Aufgabe zu begreifen. „Ein gutes gelingendes Miteinander ist keine Selbstverständlichkeit, sondern eine tägliche Herausforderung für jeden von uns! Lasst uns unsere Demokratie jeden Tag leben und verteidigen. Erinnern soll vor allem auch zum Nachdenken über unsere heutige Gesellschaft führen und darüber, wie wir unser Land jetzt und in Zukunft vor Populisten, Antisemiten sowie radikalen und menschenverachtenden Strömungen schützen können“, erklärte Freller.

"Menschen mit Handicaps müssen in der Mitte der Gesellschaft stehen"

Auch Innenminister Joachim Herrmann, der in Vertretung des Bayerischen Ministerpräsidenten sprach, verwies auf die Verantwortung der Gesellschaft. „Es geht nicht nur um Abscheu vor dem nationalsozialistischen Massenmord. Das Grundrecht der Menschenwürde und auch das christliche Gebot der Nächstenliebe – das bedeutet Respekt vor geistig und körperlich behinderten Menschen. Das verpflichtet uns alle zur Inklusion von Behinderten in unserem Alltagsleben“, zeigte sich Herrmann überzeugt.
Barbara Stamm spannte den Bogen in die Gegenwart und den Ort der Veranstaltung, als sie davor warnte, in überholte Denkmuster zurückzufallen. „Ich möchte ganz bewusst in dieser Einrichtung betonen: Wir dürfen auch nicht danach fragen, in der Sorge und in der Betreuung für Menschen mit Handicaps, was sie uns kosten dürfen. Diese Frage ist nicht erlaubt. Sondern wir müssen ihre Würde gewährleisten, uns darüber freuen, dass es sie gibt. Dass sie einzigartig sind und dass wir sie alle sichtbar in die Mitte unserer Gesellschaft stellen wollen“, forderte die Landtagspräsidentin.

Emotionale Ansprache von Bundesminister a.D. Theo Waigel

Genau das wurde bei der Veranstaltung beherzigt. Der Gebärdenchor des Dominikus-Ringeisen-Werks interpretierte Dietrich Bonhoeffers bekannte Zeilen „Von guten Mächten still umgeben“ in Gebärdensprache und wurde dabei von Schülerinnen und Schülern des Ringeisen-Gymnasiums unterstützt. Jedes Mitglied im Ensemble ist gleich wichtig, es gibt keine Ab- oder Ausgrenzungen.
Dass das gerade im Umgang mit Menschen mit Behinderung nicht immer so war, daran erinnerte der ehemalige Bundesminister Theo Waigel, der in der Nähe Ursbergs aufgewachsen ist und dort die Grundschule besuchte. Der 78-Jährige schilderte in sehr persönlichen Worten Begegnungen mit Menschen, die während der NS-Zeit Teil des Systems waren und dazu beitrugen, den Massenmord zu ermöglichen und Erlebnisse mit jenen, die Widerstand leisteten. Ihn habe dies geprägt, erklärte Waigel und er habe daraus seine Schlüsse gezogen. „Die Geschichte und unsere Grundauffassung von der Unverletzlichkeit der Würde des Menschen gebietet es, allen Versuchen von verfehlten Nationalismus, Rassismus und totalitärem Denken entschieden zu begegnen, die Feinde der Demokratie zu entlarven und für unsere freiheitliche Demokratie einzutreten. Das sind wir den Opfern der Diktatur schuldig.“


Auch Ärzte und Wissenschaftler waren Täter



Als letzte Rednerin rief Kathrin Sonnenholzner, Vorsitzende des Gesundheitsausschusses des Landtags, ins Gedächtnis, wie weit verbreitet die menschenfeindliche Auffassung über Menschen mit Behinderung nicht nur bei Nazi-Funktionären, sondern auch unter Wissenschaftlern und Ärzten war. „Lange wurde behauptet, die deutsche Psychiatrie sei von den Nationalsozialisten „missbraucht“ worden. Dabei war sie in Teilen intellektuell, strukturell und personell an den Verbrechen beteiligt.  Sie ist in besonderer Weise vom dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte zwischen 1933 und 1945 betroffen. Lügen und Vertuschung waren auch nach dem Krieg an der Tagesordnung und nicht wenige der Täter praktizierten Jahrzehnte nach Kriegsende weiter als Ärzte, teils unter falschem Namen und gedeckt von Kollegen.“

Traditionell erinnern der Bayerische Landtag und die Stiftung Bayerische Gedenkstätten jährlich rund um den 27. Januar, dem internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gemeinsam an die Verbrechen der NS-Herrschaft. Ziel dieses Gedenkens ist nicht nur die Bewältigung der Vergangenheit, sondern auch die Mahnung an die junge Generation, derartiges Unrecht nie wieder zuzulassen.

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