Stenographie – Kunst von hoher Geschwindigkeit

Bayerisches Stenographen-Team gewinnt Wettbewerb

München, 20.12.2021

  • In der Stenographie geht es nicht nur darum, Texte besonders schnell aufs Blatt zu bringen, sondern auch am Ende die eigene Schrift noch lesen zu können.
  • Das bayerische Team hat sich beim 32. Bundespokalschreiben aufgrund seiner Beständigkeit gegen sechs weitere Mannschaften als Sieger durchsetzen können.
  • Teilnehmer Volker Springwald erläutert im Interview, wo die größten Herausforderungen liegen und welche Charaktereigenschaften Stenographen auszeichnen.

Was zeichnet die Stenographie aus?

Volker Springwald: Im Bayerischen Landtag unterscheiden wir zwischen redigierten Wortprotokollen aus Plenarsitzungen sowie Expertenanhörungen und den analytischen Protokollen aus den ständigen Ausschüssen. Sie stellen eine Analyse der Beratungen dar, die im Durchschnitt drei bis vier Stunden dauern. Daher haben Stenographen einen deutlichen Vorteil, wenn es darum geht, die wichtigsten Argumente in indirekter Rede zusammenzufassen. Denn ein Stenogramm erlaubt – im Vergleich zu einer Tonaufnahme – beispielsweise Kernaussagen, wie Beschlüsse, schnell herausfiltern zu können.

Wo liegen die größten Herausforderungen bei der Stenographie?

Volker Springwald: Die Stenographie ist in drei Stufen eingeteilt, weil es unterschiedliche Anwendungsbereiche gibt. Es beginnt mit der Verkehrsschrift, quasi die Grundstufe, in der man die Zeichen für die einzelnen 26 Buchstaben lernt. Dazu kommen die Sonderzeichen, zum Beispiel für „ch“ oder „sch“. Die zweite Stufe ist die Eilschrift. Sie beinhaltet die sogenannten Kürzel für die häufigsten Wörter in der deutschen Sprache, wie „die“ oder „für“. In der dritten Stufe müssen Stenographen die Redeschrift beherrschen – das ist die Königsklasse – bei der sie so schnell schreiben, wie sie sprechen. Unsere Stenographen im Parlament benötigen in der Praxis die Redeschrift, weil die Redegeschwindigkeit einerseits bei bis zu 350 Silben pro Minute liegen kann und weil auch jeder Zwischenruf akribisch notiert werden muss. Worauf es aber grundsätzlich ankommt: Die Stenographie wird zunächst theoretisch gelehrt und muss anschließend so gut eingeübt werden, dass Stenographen nicht mehr überlegen müssen, wie sie schreiben. Zu dieser Automatisierung zu kommen, das kostet enorm viel Zeit und Praxis.

Wie lang ist der Text, den Stenographen im Durchschnitt verfassen?

Volker Springwald: In der englischen Sprache zählt man Wörter, in der deutschen werden hingegen die Silben gezählt. Der Weltrekord liegt bei ungefähr 520 Silben pro Minute. Zur Veranschaulichung: Ein Absatz von fünf Zeilen besitzt etwa 100 Silben. Bei der Verkehrsschrift kommen Stenographen auf etwa 120 Silben pro Minute, bei der Eilschrift auf 200 Silben.

„In der hohen Klasse der Stenographie ist Lesen ebenso wichtig wie Schreiben!“

Worin lag das Ziel des Stenographen-Wettbewerbs?

Volker Springwald: Die einzelnen Landesverbände entsenden Mannschaften, die aus den besten Schreibern bestehen. In diesem Jahr waren es insgesamt sieben Teams, die gegeneinander angetreten sind. Die bayerische Mannschaft bestand aus unserem dreiköpfigen Landtags-Team sowie zwei externen Unterstützern – Dr. Stefan Schubert aus Bozen und Matthias Kuhn aus dem Bundestag. Während des Wettbewerbs wurde ein fortlaufender, nach Silben ausgezählter Text von Minute zu Minute schneller diktiert. Start der Geschwindigkeit sind in der Meisterklasse 250 Silben pro Minute und dann steigert sie sich um jeweils 25 Silben. Die Endgeschwindigkeit nach zehn Minuten beträgt dann 475 Silben. Die ersten drei Minuten müssen korrekt übertragen werden, wobei eine bestimmte Fehlerzahl nicht überschritten werden darf. Als Fehler gelten falsche Rechtschreibung, falsch übertragene Wörter und Lücken. Sie können dazu führen, dass dem Schreiber ganze Minuten gestrichen werden. Der Text ist zwar – anders als in der Praxis – sauber formuliert, aber wenn Teilnehmer Sinnstörer (z. B. anstatt „Lebensbedingungen“ das Wort „Rahmenbedingungen“) übertragen, schlägt das gleich mit mehreren Fehlerpunkten zu Buche.

Warum hat das bayerische Team den Wettbewerb gewonnen?

Volker Springwald: Aufgrund seiner Beständigkeit! Wir hatten wegen der Corona-Pandemie keine Möglichkeiten an Trainingsübungen teilzunehmen und trotzdem konnten wir unsere Leistung voll einbringen: Unser Spitzenscheiber, Stefan Schubert, hat sogar 450 Silben pro Minute auf das Papier gezaubert. Aber auch wir anderen haben eine sehr gute Performance gehabt und das trotz der akustischen Schwierigkeiten, die wir hatten. Denn der Raum hat stark gehallt und wir saßen weit hinten. Wenn die Silbenzahl 300 übersteigt, dann müssen sie zudem Abstriche bei ihrer Schrift machen, das heißt sozusagen „schmieren“. Dieses „kontrollierte Schmieren“ muss anschließend lesbar und gewisse Charakteristika vorhanden sein – das ist die Kunst, die Stenographen beherrschen müssen, wenn sie in sehr hoher Geschwindigkeit stenographieren. Das bedeutet also in den hohen Klassen: Lesen ist ebenso wichtig wie Schreiben!

Welche Charaktereigenschaften sollte ein Stenograph mitbringen und warum haben Sie den Beruf gewählt?

Volker Springwald: Sie benötigen Durchhaltevermögen, denn sie müssen sehr lange lernen, bis sie in der Praxis arbeiten können – allein für die Verkehrsschrift benötigen sie für die Theorie bis zu ein Jahr. Die Theorie anschließend in der Praxis einzuüben dauert ein weiteres Jahr. Darauf folgen weitere Stufen und somit dauert es mehrere Jahre, bis sie eine Plenardebatte stenographieren können. Man sollte die Stenographie also zu seinem Haupthobby machen und das ist mir gelungen – denn ich schätze diesen Beruf sehr, weil ich ihn auch im Alltag immer wieder einsetzen kann.

 

/AS

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