„Fatherlandscape“ – die Geschichte des Holocaust-Überlebenden Abba Naor

Filmpremiere im Bayerischen Landtag

17. Oktober 2023

MÜNCHEN    Filme, die echte Kunstwerke sind, sind selten – zumal solche, die den Holocaust zum Thema haben. Im Bayerischen Landtag erlebten die Zuschauer im Senatssaal eine ganz besondere Premiere: Den Augenzeugenbericht des Überlebenden Abba Naor (95), von der bildenden Künstlerin Esther Glück in mehr als 1000 eindringlichen Zeichnungen festgehalten. Besonders war der Abend auch deshalb, weil die Hauptperson persönlich anwesend war.

„Fatherlandscape“ zeigt in neun Kapiteln, untermalt von Streichinstrumenten und Klavier, was Abba Naor als Jugendlicher erlebte, vom jüdischen Familienleben in Kaunas über den Einfall der Nazis und die Ghettoisierung der Juden bis hin zur Ermordung von Naors großem Bruder, der Deportation ins Konzentrationslager Stutthof sowie der Deportation der Mutter und dem kleinen Bruder nach Auschwitz. Naor selbst wurde zuletzt ins Konzentrationslager Kaufering verbracht und dort 1945 befreit. Esther Glück hat die teils herzzerreißenden Szenen ausschließlich mit Graphit-Bleistift gearbeitet, wodurch die Figuren lebendig und charakterstark wirken. Gleichzeitig hat sie die Technik des Palimpsest angewendet. Bei dieser werden Teile des Bildes wegradiert und neu überzeichnet – so entsteht der Eindruck von Bewegung und des Verstreichens der Zeit. Aber auch das Wesen der Erinnerung wird so eingefangen, manches verblasst, manches vibriert. „Die Kunst muss immer neu ansetzen, das Unsagbare darzustellen“, konkludierte der Historiker Karl B. Murr, der eine Einleitung zu dem Werk sprach. Gefilmt und geschnitten wurde es von Cinematograph Tom Gottschalk.

 

„Eine neue Zukunft bauen, ohne Kriege“

Der Film „erzählt viele Sachen, ohne ein Wort zu sagen“, beschrieb Abba Naor in der Diskussionsrunde zum Film, „manchmal spricht nur die Musik.“ Es sei ihm etwas komisch gewesen, als er das Werk über sich selbst sah, aber er sei letztlich sehr berührt gewesen, auch von den treffend gesetzten Klängen (Musikalische Leitung: Elena Rachelis) von Schostakowitsch und dem eher unbekannten Mieczyslav Weinberg. Seine Botschaft an die Schüler, die den Film künftig zu sehen bekommen, lautet: „Das Leben ist eine feine Sache. Die jungen Leute sollen es nicht kaputtmachen. Sie sollen die Möglichkeiten nutzen, die wir damals nicht hatten. Sie sollen gut zuhören und ernst nehmen, was ich erzähle. Jetzt ist die Gelegenheit, im neuen Europa eine neue Zukunft zu bauen, ohne Kriege.“

 

Forderung nach starker Erinnerungskultur

Der Aspekt der Erinnerungskultur war in der Runde – moderiert von Stephan Mayer – einerseits für Gwendolin Hoffmann, Schülerin und Tochter von Esther Glück, eine wichtige Sache: „Wir jungen Leute wollen mehr über den Holocaust wissen“, sagte sie, „aber viele haben noch nie einen Zeitzeugen gehört. Das Thema könnte im Unterricht intensiver behandelt werden. Dieser Film, der aus der persönlichen Perspektive von Abba Naor erzählt, ist dafür gut geeignet. Man kann sich annähernd vorstellen, wie es damals war.“ Erinnerung erwies sich aber auch für Andreas Brügel von der Fristo-Stiftung wichtig, die den Film finanziell förderte. „Mein Großvater war Landtagsabgeordneter, musste vor den Nazis nach Südtirol fliehen, mein Vater wurde mit 17 von der Schulbank weg in den Krieg geschickt und kam schwer traumatisiert zurück“, erzählte Brügel. „Das und die persönliche Begegnung mit Abba Naor hat uns überzeugt, in diesen Film zu investieren.“ Und an Naor selbst gerichtet: „Dich kennenzulernen, lieber Abba, war ein unglaubliches Erlebnis. Nach allem, was Du erlebt hast, glaubst Du noch an das Gute im Menschen.“

 

„Stätten der Vernichtung wichtige Mahnmale“

Überschattet war der Abend von den derzeitigen Geschehnissen in Israel nach dem Überfall der Hamas auf Zivilisten. „Der Satz des ‚Nie wieder‘ hat dadurch eine Aktualität erhalten, die es nicht gebraucht hätte“, sagte Landtags-Vizepräsident Karl Freller (CSU) in seinem Grußwort. Er meinte damit aber nicht nur Angriffe auf Israel, sondern auch die jüngsten Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen. „Die Achillesferse der Demokratie ist, dass sie sich selbst abwählen kann. Die Stätten der Vernichtung sind deshalb wichtige Mahnmale“, bemerkte er. Und fügte, mit Augenmerk auf „Fatherlandscape“ an: „Nur der lernende Blick zurück hindert uns daran, wieder dieselben Fehler zu machen.“

 

/ Isabel Winklbauer

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