Sachverständigenanhörung zu den Schulangeboten für geflüchtete Kinder und Jugendliche

Enorme Anstrengungen, aber noch Luft nach oben

23. März 2023

MÜNCHEN.    Vor rund 13 Monaten begann der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Seitdem sind über 150.000 Menschen nach Bayern geflüchtet – darunter 30.000 Kinder und Jugendliche. Der Bildungsausschuss des Landtags wollte daher auf Antrag der FDP-Fraktion mit einer Sachverständigenanhörung herausfinden, wie die schulische Integration vorankommt und welche Verbesserungen sich die geladenen Fachleute wünschen.

Die Beschulung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine kommt aus Sicht der Praktiker in Bayern an vielen Schulen nur schleppend voran. Vielerorts gebe es nicht einmal Lehrkräfte, die die Sprache der Kinder sprechen. „Dadurch können wir die Fragen der Schülerinnen und Schüler nicht beantworten“, berichtete zum Beispiel Schulleiter Rainer Lacler von der Willi-Ulfig-Mittelschule in Regensburg.

Ein weiteres Problem ist die Heterogenität in den sogenannten Brückenklassen. Das betrifft das Alter, den Bildungsstand und mögliche Fluchttraumata, erklärte Schulleiter Martin Pfeifenberger vom Helene-Lange-Gymnasium in Fürth. Je größer die Bleibebereitschaft der Familie sei, desto lernwilliger seien die Kinder. Allerdings sind laut Pfeifenberger letztes Jahr auch drei Kinder aus seiner Schule gegen ihren Willen abgeschoben worden.

Positiver bewerteten die Situation die Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Mittelfranken, Regina Bürger, der Ministerialbeauftragte für die Realschulen in Mittelfranken, Michael Schmidt, und der fachliche Leiter des Staatlichen Schulamts in der Stadt Nürnberg, Thomas Reichert. Sie sprachen von einem enormen Engagement der Lehrkräfte – insbesondere bei den nach Kriegsbeginn eilig eingerichteten Willkommensgruppen.

Viele Übertritte in Regelklassen

Auch bei der Zusammenarbeit und der Verteilung auf die Schulen habe es nie Probleme gegeben. Zudem sei es in kürzester Zeit gelungen, ukrainische Lehrkräfte und ukrainisch sprechendes Personal zu finden. Viele Teilzeitlehrkräfte hätten ihre Stundenanzahl erhöht. Reichert rechnet damit, dass im nächsten Schuljahr jedes zweite ukrainische Schulkind in Regelklassen unterrichtet werden kann. Selbst die befürchteten Probleme mit russischen Schülerinnen und Schülern seien ausgeblieben.

Prof. Dr. Magdalena Michalak von der Universität Erlangen-Nürnberg wünschte sich mehr Unterstützung für geflüchtete Kinder im Grundschulbereich. „Die Kinder können noch kein Deutsch und müssen zur selben Zeit verstehen, wie Schule funktioniert.“ Gleichzeitig warnte sie davor, an weiterführenden Schulen geflüchtete Jugendliche beim Deutschunterricht zu separieren. Das würde die Integration erschweren und zu einer „Parallelkultur“ führen.

Dr. Guido Terlinden, Facharzt bei Refugio München, wunderte sich, dass in der Anhörung nur über die Schulangebote für geflüchtete Kinder aus der Ukraine gesprochen wurde. Immerhin seien 40 Prozent aller Asylbewerber minderjährig. Er forderte, vor allem geflüchtete Kinder zwischen null und fünf Jahren stärker zu fördern. „Sie saugen die deutsche Sprache auf wie ein Schwamm.“ Für die älteren brauche es aufgrund der Traumata dringend mehr psychologische Hilfsangebote.

Mehr außerschulische Integrationsangebote

In der anschließenden Debatte waren die Abgeordneten über die großen Unterschiede bei der Beschulung der geflüchteten Kinder und Jugendlichen überrascht. Margit Wild (SPD) zeigte sich in Bezug auf die Brückenklassen skeptisch, weil innerhalb der Community die Motivation fehle, Deutsch zu lernen.

Gabriele Triebel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) warnte vor einer Unterscheidung zwischen geflüchteten Kindern aus der Ukraine und aus anderen Ländern. Dies schaffe eine Zweiklassengesellschaft. Sie sprach sich dafür aus, zum Spracherwerb mehr digitale und nonformale Bildungsangebote wie zum Beispiel Skifreizeiten anzubieten.

Oskar Atzinger (AfD) war gegen die Integration von geflüchteten Kindern. Die aus muslimischen Ländern sollten in anderen muslimischen Ländern Schutz suchen, die aus der Ukraine nur auf Ukrainisch unterrichtet werden, weil sie danach wieder in ihre Heimat zurückkehren sollten.

Aktuelle Situation wissenschaftlich monitoren

Matthias Fischbach (FDP) kritisierte, dass es keine wissenschaftliche Begleitung bei der Beschulung geflüchteter Kinder gebe. Außerdem war der Abgeordnete verwundert, warum von den 30.000 ukrainischen Kindern und Jugendlichen in Bayern aktuell nur 12.000 zur Schule gehen. Schockiert war er darüber, dass unbekannt sei, wie viele ausgebildete Lehrkräfte in Brückenklassen aktiv sind.

Johann Häusler (FREIE WÄHLER) räumte zwar Defizite im Vor- und Grundschulbereich ein, lobte aber das von seiner Partei geführte Kultusministerium für die schnelle Hilfe nach Kriegsbeginn. Dadurch hätten in kürzester Zeit 1600 Lehrkräfte für Kinder aus der Ukraine zur Verfügung gestellt werden können – davon 900 mit ukrainischen Sprachkenntnissen.

Das würdigte auch Gudrun Brendel-Fischer (CSU). Die Abgeordnete wünschte sich aber mehr Kindergartenplätze mit Vorschulangeboten für geflüchtete Buben und Mädchen. Da die Kapazitäten oft erschöpft seien, müssten sie zum Teil ein- oder sogar zweimal vom Schulbeginn zurückgestellt werden, weil ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichten. „Und wenn nicht, müssen die Grundschullehrkräfte das Defizit ausbaden.“

/ David Lohmann

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