Im Gesundheitsausschuss: Sachverständige zum geplanten Pflegegesetz

Fachleute diskutieren über Registrierung, bessere Bedarfsplanung und Organisationsform

19. März 2024

MÜNCHEN.    Wie viele Pflegende gibt es? Welche Ausbildung haben sie? Wie alt sind sie und wie mobil? Diese Fragen sollen unter anderem durch die Registrierung von Pflegekräften beantwortet werden, die eine Änderung des bisherigen Pflegegesetzes regeln soll. Ob das mit dem vorgelegten Gesetzentwurf gelingen kann, besprachen Fachleute mit Abgeordneten im Gesundheitsausschuss.

Die zehn Expertinnen und Experten waren sich bei der Anhörung zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Pflegendenvereinigungsgesetzes (PfleVG) im Ausschuss für Gesundheit, Pflege und Prävention zwar einig über das Ziel, aber nicht über den Weg dorthin. Im Blick ist die drohende Versorgungslücke in der Pflege, die mithilfe des Gesetzes bekämpft werden soll.

Ebenso wie der Bayerische Landespflegerat und die Landesdekanekonferenz Pflegewissenschaft hat die Vereinigung der Pflegenden in Bayern, VdPB, an einem Eckpunktepapier mitgearbeitet, dass die Grundlage des Gesetzentwurfs aus dem Gesundheitsministerium ist. Demnach soll die Pflegevereinigung eine Berufs- und Weiterbildungsordnung erarbeiten. Zudem müssten sich die Pflegekräfte bei der VdPB registrieren lassen. Die Diskussion der Fachleute drehte sich im Gesundheitsausschuss vor allem um die Frage, wie diese Registrierung durchgesetzt werden könnte. Die VdPB sieht sich als Stimme der Pflegeberufe im Freistaat. Deren Präsident Georg Sigl-Lehner weist darauf hin, dass sich diese Berufsgruppe auch erst mit dann neuen Strukturen vertraut machen müsste. Von geschätzt 135.000 Pflegekräften im Land sind bislang lediglich rund 4.000 Mitglied in der 2017 gegründeten VdPB.

Warnung vor Abwehrhaltung durch Druck

Vor einer "Reaktanzneigung" warnte auch Prof. Dr. Thomas Klie vom Zentrum für zivilgesellschaftliche Entwicklung in Freiburg. Gemeint ist, man solle es vermeiden, eine Abwehrhaltung der Pflegekräfte zu provozieren, nämlich durch zu viel Druck, sich registrieren zu lassen. Deshalb müsse die Registrierung freiwillig sein. Der Jurist verwies darauf, dass sich die Berufsgruppe in anderen Bundesländern einer Zwangsmitgliedschaft in Pflegekammern häufig mit großer Mehrheit widersetzt hat. Dennoch ist laut Klie die "Sicherstellung der gesundheitlichen Versorgung" eine staatliche Aufgabe mit Verfassungsrang, "die nicht ohne eigenständige und eigenverantwortliche Pflege möglich ist". Weiter erklärte Klie: "In der Corona-Pandemie konnten wir nicht sagen, wie viele Intensivpflegefachkräfte es in Bayern oder insgesamt in Deutschland gab". Bei der Umsetzung der Registrierungspflicht komme es vor allem darauf an, den Nutzen deutlich zu machen. Der Professor setzt auf eine freiwillige Registrierung in einem Stufenmodell: Zunächst könnte das Pflegepersonal bei Weiterbildungen registriert werden, dann die Absolventen von Universitäten und Hochschulen und schließlich die anderen Pflegefachkräfte.

Seinem juristischen Fachkollegen, Prof. Dr. Peter Baumeister, ist eine Registrierungspflicht ein "Dorn im Auge".  Der Professor für Recht der Sozialen Arbeit an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Stuttgart warnte zudem davor, mit Sanktionen wie dem Entzug der Berufszulassung zu drohen. "Das halte ich für starken Tobak." Vielmehr müsse man die betreffenden Pflegefachpersonen für den Sinn der Registrierung gewinnen. Dazu brauche es einen langen Atem.

Auch Diplom-Theologin Andrea Windisch von der Fakultät für Angewandte Gesundheits- und Sozialwissenschaften der Technischen Hochschule Rosenheim sieht in der Registrierungspflicht eine Sonderlast, die den Pflegekräften aufgelegt wird. Der Gesetzentwurf verlange ihnen viele Pflichten ab, ohne Rechte zu gewähren: "Inwieweit das die Berufsattraktivität steigert, sei dahingestellt."

Welche Organisationsform ist der richtige Weg?

Die Diskussion in der Experten-Anhörung, die auf Initiative der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN zustande gekommen war, drehte sich auch immer wieder um die Frage: Ist eine berufsständische Kammer mit Pflichtmitgliedschaft oder eine Vereinigung wie die VdPB der richtige Weg? Das Thema hat in der ersten Lesung des Gesetzentwurfs bereits das Plenum des Landtags beschäftigt (Video der 1. Lesung)

Einig waren sich alle Sachverständigen im Gesundheitsausschuss über das Zwischenziel, wie es Prof. Dr. Constanze Giese formulierte. Man müsse unbedingt wissen, so Giese, "wie viele Pflegefachpersonen mit welchen Qualifikationen in welchen Regionen und Kommunen des Landes und für welche Einsatzbereiche zur Verfügung stehen".

Als nicht legitimierbar nur durch den Bedarf an Daten sah die Professorin für Ethik und Anthropologie an der Katholischen Stiftungshochschule München eine Registrierungspflicht. Sie forderte, zugleich mit der Registrierung müssten die Pflegenden in den Genuss einer starken Selbstverwaltung kommen, in der sie automatisch Mitglied sind. Giese sagte: "Es kann nicht sein, dass ich jedes Mal, wenn ich den Job wechsle, mich dann wieder registriere. Aber um mitreden zu können, muss ich zusätzlich Mitglied in einem freiwilligen Verband sein."

Diese Ansicht vertritt auch der Landespflegerat. Dessen stellvertretende Vorsitzende, Dr. Marliese Biederbeck, machte darauf aufmerksam, dass in vielen anderen Berufen wie bei Apothekern oder Handwerkern eine Pflicht zur Registrierung sehr wohl möglich sei. Biederbeck forderte die Einführung einer Landespflegekammer mit Pflichtmitgliedschaft für alle Pflegekräfte als Ziel, was einer beitragsfreien, freiwilligen Mitgliedschaft in der VdPB widerspräche. "Ich glaube, dass die Politik in die Verantwortung genommen werden muss." Es gehe darum, wie langfristig die Versorgung der Bürgerinnen und Bürger gesichert werden könne, und das sei Aufgabe von Kammern.

"Was haben die Pflegenden von dem Gesetz?"

Mehr mit den Pflegenden zu reden als über sie, forderte Dr. Andrea Kuhn, vom Forschungsnetzwerk Gesundheit der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen. Bedenken äußerte Kuhn mit Blick auf die demokratische Legitimation der VdPB. Die Vereinigung könne nicht in Anspruch nehmen das Sprachrohr des Heilberufs Pflege in Bayern zu sein.

Prof. Dr. Markus Witzmann, rief jenseits der Diskussion über Kammer oder Vereinigung dazu auf, gemeinsam darüber zu sprechen, wo man das Bestmögliche für die Pflegenden herausarbeiten könne. Nach Ansicht des Professors für angewandte Sozialwissenschaften, an der Hochschule München sollte nach fünf Jahren dann Bilanz gezogen werden, wie es gelungen ist, die Pflege als Ganzes zu stärken.
"Der Weg ist das Ziel", unterstrich auch Anita Hausen, Professorin für Versorgungsforschung und Versorgungskonzepte an der Katholischen Stiftungshochschule München. Zentrale und noch nicht ganz beantwortete Frage sei: "Was haben die Pflegenden von dem Gesetz?"

Den Blick auf internationale Erfahrungen weitete Rainer Michael Ammende, Leiter der München Klinik Akademie. Im Ausland sei man stolz auf die Kammern. Die Diskussion, wie man die Berufsgruppe organisieren sollte, sei aber nur eine Frage von vielen. Er forderte "Butter bei die Fische" und nun endlich voranzukommen.

Mit Zwischenfragen hakten die Abgeordneten bei den Expertinnen und Experten nach. So wollte die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses Ruth Waldmann (SPD) wissen, ob die im Gesetzentwurf angedrohten Sanktionen wie der Entzug der Berufszulassung nicht im Widerspruch zur angestrebten Akzeptanz stehen. Diskussionsbedarf sah Martin Mittag (CSU) beim Datenschutz und in der Organisationsform. Der AfD-Abgeordnete Andreas Winhart fragte nach dem spezifischen Vorteil für die Pflegenden durch die Registrierung. Für die Fraktion der FREIEN WÄHLER erkundigte sich Susann Enders bei den Fachleuten, ob der Gesetzentwurf insgesamt einen Rahmen für eine unabhängige Berufsstandvertretung biete, mit dem die Pflegekräfte leben könnten. Der Vorsitzende des Ausschusses Bernhard Seidenath (CSU) und Andreas Krahl von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN stellten beide die Frage, ob es aus juristischer Sicht zulässig sei, eine Pflichtregistrierung an die VdPB zu übertragen und ob es dazu datenschutzrechtliche Bedenken gäbe.

/ Miriam Zerbel

 

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