Wirtschaftsausschuss: Expertenanhörung zum Ausbau von Gaskraftwerken in Bayern

28.11.2019
– Von Miriam Zerbel –

Im Jahr 2022 geht das letzte bayerische Atomkraftwerk vom Netz. Woher kommt künftig der Strom? Braucht der Freistaat als Ersatz neue Gaskraftwerke? Einen Tag nach der Regierungserklärung von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FREIE WÄHLER) zur Energiepolitik in Bayern, erörterte eine Expertenrunde im Energieausschuss diese Fragen. Die Antworten fielen auffallend einheitlich aus.

Die Anhörung der Fachleute von Stadtwerken, Verbänden und Netzbetreibern war zwar schon vor acht Monaten beantragt worden, erhielt aber durch die Regierungserklärung zusätzlich Aktualität. Im Ausschuss für Wirtschaft, Landesentwicklung, Energie, Medien und Digitalisierung hatten die Fraktionen 41 Fragen erarbeitet, die die Fachleute in einer vierstündigen Anhörung zu beantworten versuchten. Dabei ging es im Kern darum, ob durch den Ausstieg aus der Kohle sowie der Kernenergie eine Stromlücke entsteht und wie die Versorgung mit Strom gewährleistet werden kann.

Gaskraftwerke als Reserve

Als Ziel stand der Runde eine Stromversorgung vor Augen, die sowohl sicher, als auch bezahlbar ist. An einem Ausbau der erneuerbaren Energien führe kein Weg vorbei, war die übereinstimmende Einschätzung der Spezialisten. „Der Ausbau von Fotovoltaik und Windenergie ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch sinnvoll“, sagte Dr. Florian Bieberbach. Der Vorsitzende der Geschäftsführung bei den Münchner Stadtwerken forderte darüberhinaus die Leitungsnetze auszubauen. Stromverbrauch und -erzeugung sind in Deutschland unterschiedlich verteilt: Im Süden wird mehr verbraucht, im Norden mehr erzeugt. Leitungen zum Ausgleich dazwischen fehlen.

Laut Andreas Ring von den Ulmer Stadtwerken sind die Gaskraftwerke nur nötig, um einen drohenden Stromausfall für wenige hundert Stunden im Jahr zu verhindern.
Einigkeit herrschte in der Runde der Experten, dass Gaskraftwerke als Reserve nötig sind. “Als Alternative zum Netzausbau sind Gaskraftwerke nicht sinnvoll, das rechnet sich nicht“, so Bieberbach. Lediglich ergänzend, als Reserve-Kraftwerke zur Deckung der Residuallast sei das eine Option. Diese Residuallast ist eine Art Restbedarf, also die Differenz zwischen der eingespeisten Leistung aus nicht regelbaren Energiequellen wie Wind oder Fotovoltaik und der Leistung, die tatsächlich benötigt wird. Das kommt vor allem bei der „kalten, dunklen Flaute“ zum Tragen, einer winterlichen Wetterlage mit Nebel, die es erneuerbaren Energien schwer macht.

Kapazitätslücke schließen

Einigkeit bestand in der Prognose, dass der Strombedarf künftig steigen wird. Besondere Aufmerksamkeit richtete sich auf die Versorgungssicherheit im Winter 2022/23. Nach Angaben der Experten liegt die Kapazitätslücke in Bayern ab 2023, nach dem Ausstieg aus Kohle und Atomkraft, zwischen 1.200 und 4.000 Megawatt. Der Ausschussvorsitzende Sandro Kirchner (CSU) wollte wissen, wie diese Lücke nicht nur rein rechnerisch, sondern real geschlossen werden könne.

Die Fachleute wiesen daraufhin, dass neue Gaskraftwerke nicht umgehend zur Verfügung stehen. Neben der Dauer des Genehmigungsverfahrens kam scharfe Kritik an der Praxis der Ausschreibungen für neue Anlagen zu Systemstabilisierung, die wirtschaftlich nicht vertretbar seien. „Wir stehen unter Zeitdruck“, erklärte Lothar Schreiber Geschäftsführer von ENGIE Kraftwerk Zolling.

Energie-Importe nötig

Für stromintensive Unternehmen seien wettbewerbsfähige Strompreise ein wichtiger Faktor. Darauf machte Dr. Erk Thorsten Heyen von Wacker Chemie aufmerksam. Der Senior Vice President des Chemiekonzerns monierte zudem, es gebe zu geringe Windkraftkapazitäten. Gaskraftwerke seien nicht geeignet, die Versorgung mit preiswertem Strom zu sichern. Heyen appellierte an die Politik, den Blick nicht auf Bayern zu verengen, sondern die Versorgungsfrage überregional zu betrachten und in eine europäische Sichtweise zu integrieren. Schützenhilfe erhielt er von Christof Timpe vom Freiburger Öko-Institut. „Energiewirtschaftlich ist es sinnvoll, sich vom Gedanken an eine autarke bayerische Stromerzeugung zu verabschieden“, sagte Timpe. Demnach sind vermehrte Stromimporte ein Teil der Lösung.
 
Ein Stromnetzausbau sei bis 2023 nicht zu schaffen, so die Einschätzung von Dr. Norbert Azuma-Dicke vom Branchenverband Zukunft Erdgas. Das Freiburger Öko-Institut sieht dagegen die Versorgung gesichert. Im Auftrag der Landtagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat das Institut ein Gutachten erstellt, wonach neue Gaskraftwerke nicht nötig sind, wenn die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien ausgebaut und das Stromübertragungsnetz verstärkt wird. 

Politik soll Energiewende erklären


Eine Speicherung von Strom aus erneuerbaren Energien in Form von synthetisch erzeugtem Gas hält Timpe vom Öko-Institut wegen hoher Umwandlungsverluste nur dann für sinnvoll, wenn es keine effizienteren Alternativen gibt. Auch der Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie lässt sich nach Ansicht der Experten nicht mehr zurückdrehen. Planungen zu Rück- und Abbau seien dazu schon viel zu weit vorangeschritten. Aufgabe der Politik müsse es sein, die Energiewende der Öffentlichkeit überzeugend zu erklären und für Akzeptanz zu sorgen, so die Experten. Jetzt müssten die Weichen gestellt werden.


 
 

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