Demokratie unter Druck

Gemeinsame Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Bildung und Kultus, im Ausschuss für Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration und im Ausschuss für Arbeit und Soziales, Jugend und Familie

MÜNCHEN.    In der Anhörung zur „Demokratiebildung in Bayern“ diskutierten drei Landtagsausschüsse mit sieben Experten über neue Möglichkeiten, die Wertevermittlung zu stärken.

Die Vorsitzende des Ausschusses „Bildung und Kultus“, Dr. Ute Eiling-Hütig (CSU), begrüßte die Anwesenden zur gemeinsamen Sitzung der drei Landtagsausschüsse „Bildung und Kultus“, „Arbeit und Soziales, Jugend und Familie“ sowie „Verfassung, Recht, Parlamentsfragen und Integration“. Doris Rauscher (SPD), Vorsitzende des Sozialausschusses, freute sich auf „wichtige, interessante und lehrreiche Stunden“. Petra Guttenberger (CSU), Vorsitzende des Verfassungsausschusses, betonte, „uns allen ist Demokratie wichtig und darum freue ich mich auf interessante Impulse“, wie man der Jugend demokratische Werte vermitteln könne.

Nicht vom Himmel gefallen

Dr. Thomas Dickert, Präsident des Oberlandesgerichts Nürnberg, zitierte den früheren Weimarer Reichskanzler Friedrich Ebert (SPD): „Demokratie braucht Demokraten.“ Jede Generation, so Dickert, müsse Demokratie neu erlernen und einüben, auch wenn dies „manchmal mühsam, anstrengend, langweilig und immer zeitaufwändig“ sei. Aber genau so würden die „besten Lösungen gefunden“. Die Demokratie sei laut Grundgesetz eine „pluralistische, liberale, parlamentarische Demokratie“ mit der Volkssouveränität des Artikel 20 GG. Weiter gehörten laut Bundesverfassungsgericht auch Meinungs- und Pressefreiheit, freie und gleiche Wahlen, die Geltung der Menschenrechte und der fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzipien, Gleichheit vor dem Gesetz, soziale Gerechtigkeit, Gewaltenteilung und unabhängige Gerichte zur Demokratie dazu. „Demokratie und Rechtsstaat bedingen und ergänzen sich gegenseitig“, erklärte Dickert. Demokratiebildung sei darum immer auch Rechtsstaatsbildung. Populisten und Autokraten verstünden dagegen unter Volkssouveränität die Umsetzung des „Volkswillens“ durch die Regierung.

Eva Feldmann-Wojtachnia, Leiterin der Forschungsgruppe Jugend und Europa, Centrum für angewandte Politikforschung CAP, Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), warnte: „Die Zeiten sind ernst.“ Bei der Demokratie müsse neben der Staatsform ein partizipatorischer Begriff im Vordergrund stehen. Wichtig sei, neben dem Gestalten und Verhandeln auch Werte und Ideale zu haben. Demokratie sei ein „sehr gutes Verfahren, um Entscheidungen zu treffen“. Schlüsselfaktoren, um junge Menschen zu erreichen, sei die persönliche Begegnung mit der Demokratie, damit diese nicht als „etwas Abstraktes“ aufgefasst werde und die Verbundenheit mit ihr steige. Dazu brauche es konkrete Angebote aus der Politik und den Institutionen. Professor Dr. Markus Gloe, Direktor des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft, Lehreinheit Politische Bildung und Didaktik der Sozialkunde an der LMU München, betonte: „Demokratiebildung ist eine Querschnittsaufgabe.“ Demokraten fielen „nicht vom Himmel“. Demokratische Haltung, Urteilskraft und Verantwortung müssten gelernt, gelebt und im Bildungsprozess gefördert werden. „Unsere Demokratie steht unter Druck, durch Extremismus, Desinformation und gesellschaftliche Polarisierung.“ In dieser Lage allein auf Kernkompetenzen wie Deutsch oder Mathematik zu setzen, greife zu kurz, sie müssten auch Diskursfähigkeit, Urteilsvermögen und Perspektivwechsel vermitteln. „Unsere Antwort auf die Bedrohungen muss groß, systematisch und mutig sein.“

Der Wert von Wettbewerb und Streit

Rupert Grübl, Direktor der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit (BLZ), ergänzte den Begriff der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie um die direkte Bürgerbeteiligung - gerade in Bayern durch Volks- und Bürgerbegehren. Aus der Individualität jedes Menschen resultierten unterschiedliche Meinungen, weshalb es den einen „Volkswillen“ gar nicht gebe. In einer pluralistischen Gesellschaft müssten alle Perspektiven vertreten und Minderheiten geschützt werden. Grübl zitierte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU): „Demokratie ist eine Gabe, aber immer auch eine Aufgabe“, an der man permanent arbeiten müsse. Zentrale Herausforderung der politischen Bildung sei, wie man die Menschen ansprechen könne. Die Landeszentrale habe mit ihren Angeboten in Bayern rund eine Million Menschen erreicht, im Umkehrschluss aber zwölf Millionen Menschen nicht. Hier sei die „aufsuchende politische Bildung“ gefordert, man müsse „zu den Leuten gehen“. Ahmad Mansour, Gründer und Geschäftsführer von MIND prevention, der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention gGmbH, schilderte, wie man zuerst in JVAs zur Extremismusprävention tätig geworden sei, später in Willkommensklassen für Zuwanderer. Man versuche dort, demokratische Werte „auf Augenhöhe“ zu vermitteln und nicht zu belehren. „Demokratie ist für mich nicht Konsens und Harmonie“, betonte Mansour, was im Gegensatz zum derzeit vorherrschenden Harmoniestreben stehe. „Demokratie ist ein Wettbewerb der Ideen, ist Streit, ist Diskurskultur, ist Aushalten, dass andere Menschen anderer Meinung sind.“ Allerdings gebe es dafür Spielregeln. Die Demokratie sei weltweit unter Druck. Daran seien auch die Sozialen Medien schuld, die bestenfalls einen Teil der Wahrheit anbieten, weil dort Polarisieren und Verkürzen belohnt werde. Ein in „Moralisch und Unmoralisch“ verengter Diskurs sei gefährlich. „Dann suchen die Menschen nach anderen Wegen, ihre Sprachlosigkeit loszuwerden.“

„Die Demokratie muss immer wieder neu legitimiert werden, in jeder Generation“, forderte Professor Dr. Stefan Rappenglück, Vorsitzender des Landesverbands Bayern der Deutschen Vereinigung für politische Bildung. Derzeit gebe es aber zunehmend polarisierte Debatten, auch an Schulen oder Hochschulen, „befeuert durch Soziale Medien und Echokammern“. Das Vertrauen in die Demokratie sinke, das Gefühl der politischen Machtlosigkeit wachse und die Komplexität der heutigen Politik überfordere. „Menschen sind dadurch für vereinfachende und demokratiegefährdende Positionen empfänglicher geworden.“ Die Schule erreiche alle Bevölkerungsgruppen sehr früh – allerdings könne auch schon im Kindergarten angesetzt werden. Rappenglück mahnte: „Demokratiebildung braucht verlässliche Strukturen und Ressourcen.“ Philipp Seitz, Präsident des Bayerischen Jugendrings (BJR), nannte Zahlen: Junge Menschen stellten mit 22 Millionen ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung. Aber 78 Prozent sagten, sie fühlten sich von der Politik nicht wahrgenommen. „Wenn man als junger Mensch den Eindruck hat, das man gehört wird, dann festigt das auch das demokratische Interesse.“ Wer wie er selbst erlebt habe, dass in seiner Kommune Nachtbusse und Trinkwasserbrunnen eingeführt werden, für die man sich stark gemacht habe, der entferne sich nicht von der Demokratie. Selbst etwas zu bewirken, mit „Kreativität und Leidenschaft“, sei entscheidend. „Wir müssen Demokratie gezielt zu den jungen Menschen bringen und sie greif- und erlebbar machen.“ Demokratie schütze Rechte, garantiere Beteiligung und ermögliche Freiheit.

Wie stärkt man die Demokratie?

In den Fragerunden der Abgeordneten wollte Benjamin Adjei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) wissen, wie man die Sozialen Medien nutzen könne, um die Demokratie zu stärken. Petra Guttenberger (CSU) erbat nähere Informationen dazu, wie man der jüngeren Altersgruppe die demokratischen Werte vermitteln könne. Wo die Grenze zwischen Indoktrination und der Erziehung zum selbständigen mündigen Bürger verlaufe, fragte Markus Walbrunn (AfD). Dr. Martin Brunnhuber (FREIE WÄHLER) erkundigte sich danach, wie die einzelnen Maßnahmen der Demokratiebildung evaluiert werden. Wie man der Delegitimierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks oder staatlicher Akteure entgegenwirken könne, fragte Horst Arnold (SPD).

Die Experten nannten mehrere konkrete Projekte und Aktionen, wie man Menschen für die Demokratie interessieren könne. Darunter war der Besuch beim Bürgermeister, der seine Arbeit auf einer verständlichen, niedrigschwelligen Ebene erklären könne. In Schulen könne man konkrete Projekte für Nachhaltigkeit umsetzen, in Kommunen die Stadtteilentwicklung. Generell müsse man Projekte finden, wo man dafür und nicht nur dagegen sein kann. Auch sei die Verzahnung von schulischer Bildung und außerschulischer Aktivität wichtig, etwa beim Gaming. Role Models könnten als Vorbilder dienen oder Politiker neue Debattenorte wie Cafés aufsuchen. Das Projekt „Mach Dein Handy nicht zur Waffe“, das mit einem Influencer zusammenarbeite, sei auf andere Bereiche übertragbar, so Thomas Dickert. Teen-Courts, die konkrete Straftaten jugendlicher Täter verhandeln, würden auch zur Selbstwirksamkeit beitragen. Medien- und Werteerziehung müssten eine größere Rolle in den Schulen spielen, echte Begegnungsformate wie Klassenfahrten gefördert werden, ebenso Debattenclubs wie in England, „wo Argumente im Mittelpunkt stehen“. Die Landeszentrale hat einen Werte-Reisekoffer für Schulen entwickelt, der für Kitas soll folgen.

Grundsätzlich solle jeder Politiker in Sozialen Netzwerken „digitale Sozialarbeit“ betreiben, um den Einfluss von Populisten und feindlich gesinnten Staaten zu reduzieren. Auch ein eigenes Budget für kommunale Jugendparlamente sowie Jungbürgerversammlungen oder Landtagsbesuche vor Ort wurden genannt. Wenn dann noch über die Umsetzung der Wünsche der Jugendlichen informiert werde, gebe es auch eine Form der Evaluierung. Für eine solche Wirksamkeitsprüfung brauche es aber auch Forschungsförderung. Ahmad Mansour betonte, öffentlich-rechtliche Medien müssten vor allem ihre „linke Einseitigkeit verringern“ und ausgewogener berichten. Dr. Dickert wies darauf hin, dass die Justiz nicht indoktriniere, sondern vermittele, wie die Verfahren funktionieren. Mansour betonte abschließend: „Demokratie findet vor allem in der Familie statt, wo man zuhört und respektvoll Argumente austauscht.“ Eva Feldmann-Wojtachnia mahnte: „Wir müssen Demokratie leben und nicht verkaufen.“

/ Andreas von Delhaes-Guenther

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