Bildungsausschuss: Sachverständigenanhörung zum Thema „Leistungserhebungen in bayerischen Schulen“
Künstliche Intelligenz macht neue Prüfungskultur erforderlich
23. Oktober 2025
MÜNCHEN. Ausgelöst durch eine von rund 52.000 bayerischen Schülerinnen und Schülern unterstützte Petition gegen unangekündigte Tests hat die SPD-Fraktion im Bildungsausschuss eine Expertenanhörung durchgesetzt. In der Anhörung betonten fast alle Fachleute, dass Leistungsbewertung transparenter, begleitender und zeitgemäßer gestaltet werden müsse – gerade im Zeitalter von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz.
Didaktiker Dr. Christian Albrecht von der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg sprach sich dafür aus, das sogenannte 4K-Modell des Lernens an Schulen stärker zu fördern. Darunter versteht man die Förderung von Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritischem Denken. „Diese 21st-Century-Skills können auch in Zukunft nicht von einer Maschine übernommen werden“, erklärte er im Ausschuss. Bisher sei die Prüfungskultur an Schulen aber noch geprägt von Stift und Papier.
Kritik am 4K-Modell äußerte Michael Schwägerl, Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbandes. Dieses werde vor allem von Arbeitgebern vorangetrieben und diene „ökonomischen Interessen“. „Eine moderne Prüfungskultur muss Freude am Lernen und zur Leistungsbereitschaft fördern, ohne auf alte Muster wie Druck oder Zwang zu setzen.“ Dazu seien ein positives Lernklima, mehr Feedback, mündliche Prüfungsformate und digitale Tools entscheidend. „Noch nicht alles ist in die Schulordnung hineingewandert.“
Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands, wies darauf hin, dass sich der Grundschulalltag inzwischen weniger am Lehrplan orientiere, sondern danach, wie die vielen Prüfungen am sinnvollsten verteilt werden können. „Wenn man nicht im Takt ist, wird es schwierig.“ Die Lehrkräfte seien mit Lernleitern, Gamification, Lerntagebüchern, Lernjournalen, Entwicklungsgesprächen und KI-Diagnose-Tools aber up-to-date. Die Veränderungen der Leistungskultur seien indirekt Aufgabe der Politik.
Eine Befürworterin von unangekündigten Tests ist Erziehungswissenschaftlerin Professorin Manuela Pietraß von der Universität der Bundeswehr München. „Durch KI wird es wichtiger, was jemand in einer bestimmten Situation leisten kann.“ Noch hätten solche Stegreifaufgaben das Image von Bestrafung – „davon müssen wir weg“. Gleichzeitig müssen laut Pietraß die Aufgaben lebensnaher werden, als es bisher der Fall ist. Außerdem dürfe nur das gefragt werden, was vorher gelehrt wurde, das sei oft nicht der Fall.
“Exen führen zu Unruhe und Stress”
Sylvia Schnaubelt vom Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung unterstützt Schulen bei zeitgemäßen Prüfungen. Zwar könnten unangekündigte Exen dazu dienen, in kürzeren Abständen das Wissen der Schüler abzufragen. „Sie führen aber zu Unruhe und Stresssteigerung.“ Effizienter sei eine intensive Feedbackkultur: Feed-up, also was ist mein Ziel? Feedback, also wo stehen wir? Und Feed-forward, also wo kann ich mir Unterstützung holen? „Dann kann dem Leistungsgedanken ein sicherer Rahmen gegeben werden.“
Für Mathematik-Professor Bernhard Krötz an der Universität Paderborn sollten Frontalunterricht und unangekündigte Leistungsnachweise beibehalten werden. „Das ist auch eine Disziplinierungsmaßnahme, wenn die Klasse aus dem Ruder läuft.“ Ebenso müssten Schülerinnen und Schüler regelmäßig an die Tafel geholt werden, damit sie im Unterricht besser aufpassen. „Auch Noten sind manchmal auch ein Disziplinierungsinstrument.“ Selbst wenn manche Lehrkräfte cholerisch sind, wüssten Schulkinder, wie sie das zu nehmen haben.
Bildungspsychologie-Professorin Tina Seidel von der Technischen Universität München hält Beschämungen vor der Klasse für „nicht mehr zeitgemäß“. Sie lobte das bayerische Bildungssystem, auch wenn es inzwischen wegen der vielen Prüfungen „ein paar Risse“ bekommen hätte. Künftig müsse der Prüfungs- und der Unterrichtsmodus wieder mehr zusammengedacht werden und nicht nur das fachliche Wissen abgefragt werden. Dabei könnten beispielsweise regelmäßige Quizze oder digitalgestützte Hausaufgaben helfen.
CSU: “Die Petition der jungen Menschen liegt uns sehr am Herzen”
In der anschließenden Aussprache betonte Peter Tomaschko (CSU), dass ihm die Petition der jungen Menschen sehr am Herzen liege. Es sei schon ein großer Druck, wenn Schülerinnen und Schüler an einem Tag eine Schulaufgabe schreiben und am selben Tag in einem anderen Fach abgefragt werden. „Wir brauchen für Schulen konkrete Anweisungen.“
Dr. Martin Brunnhuber (FREIE WÄHLER) unterstrich, dass es wichtig sei, dass Schüler sich auf das Handeln der Lehrkräfte verlassen können. „Statt Druck aufzubauen, müssen sie versuchen, jungen Menschen die Angst zu nehmen.“ Zitternd vor der Tafel zu stehen, sei das Gegenteil davon. „Statt den Blick in die Vergangenheit zu richten, sollte lieber die Zusammenarbeit gefördert werden.“
Markus Walbrunn (AfD) betonte, dass viele junge Menschen wegen der schulischen Ausbildung im Studium Schwierigkeiten hätten. Er fragte, wie Leistungserhebung ohne Druck, mit Feedback und spielerischen Elementen wie Gamification praktisch umgesetzt werden kann. Sein Fraktionskollege Oskar Atzinger ergänzte, Schule dürfe Spaß machen, Schüler sollten aber „nützliche Mitglieder für die Volkswirtschaft“ werden.
Grüne: Lebensnaherer Unterricht
Froh über die durch die Petition ausgelöste Anhörung war die stellvertretende Ausschussvorsitzende Gabriele Triebel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). „Schulen müssen sich durch KI verstärkt auf eine neue Prüfungskultur einstellen.“ Sie plädierte daher auch dafür, stärker auf das 4K-Modell zu setzen. Zudem würden aktuell rund 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler laut Umfragen nicht wissen, wozu sie das schulische Wissen im späteren Leben brauchen.
Dr. Simone Strohmayr (SPD) verwies auf den Wandel in der Lernkultur durch KI und Digitalisierung. Natürlich sei viel erreicht worden. Andererseits habe ihr die von 52.000 Schülerinnen und Schülern unterschriebene Petition schon zu denken gegeben. „Unangekündigte Leistungsnachweise dürfen keine Strafe sein“, hätten die Sachverständigen gesagt. „Warum schaffen wir sie dann nicht ab?“
/ David Lohmann