"Kriegsende – 80 Jahre danach: Wo waren wir damals – wo stehen wir heute?"
Junge Erwachsene diskutieren mit Abgeordneten und Experten im Rahmen der "Jungen Reihe"
10. November 2025
MÜNCHEN. Rund 140 junge Menschen aus fünf verschiedenen Schulen in Bayern haben mit Abgeordneten des Bayerischen Landtags sowie Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Medizin, Wirtschaft und staatlichen Einrichtungen über Gefahren und den Schutz unserer Demokratie diskutiert. Wie hat sich unsere Gesellschaft seit Kriegsende entwickelt und welche Bedrohungen sind hinzugekommen? Demokratiegefährdung, Angst vor Krieg, Deepfakes, Einsamkeit, Extremismus – in verschiedenen Workshops erarbeiteten die Jugendlichen Lösungsansätze zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen, um trotz der Probleme positiv in die Zukunft blicken zu können.
“Vielleicht habt Ihr, liebe Schülerinnen und Schüler, Euch gedacht: 80 Jahre Kriegsende – das ist lange her. Doch es ist so wichtig, auf das Kriegsende und die letzten 80 Jahre zurückzublicken, denn der 8. Mai 1945 steht für das Ende des unvorstellbaren Grauens des Zweiten Weltkriegs und des menschenverachtenden Systems der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft – wir wurden befreit! Und heute geht es ganz entscheidend darum: Wie können wir frei bleiben”, so Landtagspräsidentin Ilse Aigner in ihrer Eröffnungsrede der “Jungen Reihe”.
Diese Frage sei von besonderer Bedeutung auf der großen Bühne der Weltpolitik, wenn man ins östliche Europa schaue. “Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine richtet sich auch gegen uns, gegen unsere westlichen Werte von Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung!”. Und die Frage der Bewahrung unserer Werte sei auch im kleineren Rahmen wichtig, wenn es um das gute Miteinander in unserer Gesellschaft gehe: “Populismus und Radikalismus nehmen zu – dominieren weite Bereiche der öffentlichen Debatte, vor allem im digitalen Raum. Die Feinde der Demokratie wollen verunsichern, Misstrauen sähen und spalten”, so die Präsidentin weiter.
“Jeder Mensch ist Botschafterin und Botschafter der Demokratie”
“Erinnern ist kein Selbstzweck und nicht rückwärtsgewandt.” Erinnerung sei laut Ilse Aigner der Fahrplan in die Zukunft und es ginge immer darum, sicherzustellen, dass sich Geschichte nicht wiederholt, und darum, die Freiheit zu schützen. Die Präsidentin appellierte an die jungen Menschen: “Ich bitte Euch, überzeugt diejenigen, die meinen, unsere Demokratie käme ohne sie aus. Die Möglichkeiten, für unsere Demokratie einzustehen, sind vielfältig. Jede Bürgerin, jeder Bürger ist Botschafterin und Botschafter der Demokratie. Jede und jeder ist gefragt. Deshalb, liebe Schülerinnen und Schüler, haben wir Euch heute in den Landtag eingeladen. Wir wollen Eure Stimme hören. Demokratie lebt vom Mitreden und Mitmachen!”
“Demokratie braucht Vertrauen und das Akzeptieren von Maßnahmen”
Bevor die Jugendlichen dem Appell der Präsidentin folgten und sich einbrachten, führte Prof. Dr. Hedwig Richter, Professorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität der Bundeswehr München, in ihrem Impulsvortrag “Aus den Trümmern in die Freiheit – Deutschlands Weg in die Demokratie" durch die Demokratiegeschichte. Laut Richter sei die Demokratie in Deutschland trotz ihrer langen Tradition immer wieder von Irritationen geprägt gewesen – sei es durch ein Volksmisstrauen nach Ende des Krieges oder ökologischen Veränderungen seit der Industrialisierung. Sie wies darauf hin, dass Demokratie auch kippen könne, so wie der Nationalsozialismus aus einer Demokratie heraus entstanden sei. Dass dies trotz der Irritationen in den letzten 80 Jahren nicht passiert sei, führte sie darauf zurück, dass die Bürgerinnen und Bürger mit der Politik zufrieden gewesen seien und die Demokratie sie deshalb überzeugt habe. Damit die Demokratie weiterhin bestehen bleibe, appellierte Richter sehr deutlich insbesondere an die Politik, sich weniger nach Umfragen zu richten. sondern vielmehr eigene Überzeugungen umzusetzen. Es brauche, so Richter, "Vertrauen und das Akzeptieren von Maßnahmen. Überzeugungen müssen von der Politik erklärt und umgesetzt werden.”
Kraft des Zusammenhalts – damals und heute
Um Zufriedenheit, Vertrauen und Verbundenheit ging es auch in der anschließenden Gesprächsrunde. In dieser tauschten sich der ehemalige Landtagspräsident Johann Böhm, Lucia Besser, Bayerische Landesschülersprecherin für Realschulen, und Prof. Dr. Hedwig Richter mit Moderatorin Livia Kerp zum Thema “Kraft des Zusammenhalts – damals und heute” aus. War das Wir-Gefühl nach Ende des Krieges stärker als heute, ist die Gesellschaft inzwischen mehr und mehr gespalten? “Die Bereitschaft des Zusammenhalts in der Nachkriegszeit war da, denn die Vergangenheit verbindet. Wir hatten das Gefühl, schlechter kann es nicht werden, nur noch besser. Man wusste, wir müssen zusammenhalten”, erinnerte sich Johann Böhm, der zu Kriegsende sieben Jahre alt war.
Heute gebe es laut Lucia Besser auch ein Zusammengehörigkeitsgefühl, aber nur in Krisen, zum Beispiel bei Hochwasser. “Die Gesellschaft ist immer mehr gespaltet, es entwickelt sich zum Negativen”, so die Sicht der Bayerischen Landesschülersprecherin. Doch statistisch gab Prof. Dr. Hedwig Richter hier Entwarnung: “Dass die Menschen früher solidarischer waren, sagen alle Generationen. Dass es heute schlechter ist, geben die Umfragen nicht her. Zum Beispiel hat die Pandemie gezeigt, dass die Menschen nach wie vor solidarisch sind.” Auch der frühere Landtagspräsident appellierte an die junge Generation, positiver in die Zukunft zu schauen: “Es werden so viele schlechte Nachrichten verbreitet, aber wir müssen uns wieder das Gute vor Augen halten – es gibt mehr Gutes als Schlechtes!”
Schutz für Demokratie und Gesellschaft
Jetzt waren die Jugendlichen am Zug: Ideen zur Abwehr von Gefährdungen von Demokratien konnten sie nun im Workshop entwickeln – ebenso wie zu den Themen “Angst vor Krieg in Europa”, “Deepfakes”, “Einsamkeit” und “Jugendliche im Fokus von Extremisten” parallel mit entsprechenden Expertinnen und Experten auf diesen Themenfeldern. Unterstützt wurden sie dabei vom Team des Centrums für angewandte Politikforschung (CAP). I. Vizepräsident Tobias Reiß (CSU) sowie zahlreiche Abgeordneten aller Fraktionen diskutierten mit den jungen Menschen über ihre Bedenken und Lösungsansätze.
“Junge Reihe”: die Workshops im Überblick
-
Demokratie stirbt nicht im Dunkeln, sondern im grellen Licht moderner Öffentlichkeiten. Ihr Zerfall droht durch ein Schwinden von Vertrauen, Streitkultur und Zusammenhalt. Soziale Medien treiben diese Dynamik: Ein erheblicher Teil öffentlicher Debatten hat sich auf digitale Plattformen verlagert, deren Logiken besonders negative und zugespitzte Inhalte begünstigen. Diese Dynamik trifft auf ökonomisch und kulturell verunsicherte Gesellschaften. Der Ton verschiebt sich: Konfrontation wird normalisiert, demokratische Streitkultur verliert an Boden. Vertrauen in Politik und klassische Medien sinkt, feindselige Polarisierung nimmt zu. Im Workshop fragen wir: Welche besonderen Herausforderungen entstehen für Demokratie heute und wie können wir selbst zu einem demokratischen Miteinander beitragen?
Johannes Steup M.A., Wissenschaftlicher Leiter „Politischer Wettbewerb“ im Projekt SPARTA, Institut für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München
Roland Weigert (FREIE WÄHLER), Vorsitzender des Ausschusses für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport
zusammen mit den innenpolitischen Sprecherinnen und Sprechern der weiteren Fraktionen
Holger Dremel (CSU), Richard Graupner (AfD), Florian Siekmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), Christiane Feichtmeier (SPD)
Moderation: Luis Sanktjohanser, Teamer vom Centrum für angewandte Politikforschung (CAP), LMU München
Konkrete Wünsche an Schule und Politik
Ihre Ideen aus den Workshops brachten die Jugendlichen dann vor großer Runde – allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern, den Expertinnen und Experten und den Abgeordneten – vor. Als dringende Herausforderungen identifizierten die jungen Gäste unter anderem ein stärkeres Vorgehen gegen Extremismus, Diskriminierung sowie die Verbreitung von Hass und Hetze, zum Beispiel durch KI generierte Inhalte sogenannte Deepfakes. Sie forderten von der Politik, diesbezüglich schärfere Gesetze zu beschließen und bei Verstößen Bußgelder zu verhängen. Auch an die Schulen hatten die Jugendlichen konkrete Forderungen: Sie wünschten sich, von den Bildungseinrichtungen in Form von Hilfsangeboten und Diskussionsrunden stärker sensibilisiert zu werden, sowohl was die Gefährdungen für die Demokratie als auch Extremismus, Einsamkeit durch Mobbing und Rassismus oder auch Fake News betrifft.
Doch sie betonten auch, dass jede und jeder einzelne dazu beitragen könne, dass die Demokratie geschützt bleibt und sich die Zukunft positiver entwickelt: eine eigene Meinung bilden, andere Ansichten akzeptieren, Verantwortung übernehmen, sich informieren und sich selbst einbringen.
Bei der "Jungen Reihe" kommen seit 2019 junge Erwachsene in den Bayerischen Landtag, um mit den Abgeordneten der verschiedenen Fraktionen zu einem bestimmten gesellschaftlich relevanten Thema ins Gespräch zu kommen. In der abgelaufenen Legislaturperiode ging es neben der Europa- und Bundestagswahl auch um die Sozialen Medien und konstruktiven Patriotismus.
/ LC