Gedenkakt 80 Jahre Flucht und Vertreibung und 75 Jahre Verständigung am 29. Oktober 2025 im Landtag
Es gilt das gesprochene Wort.
Anrede
Nur zwei Zahlen:
- Bis 1950 kamen mehr als 2 Millionen Menschen
als Heimatvertriebene und Flüchtlinge nach Bayern. - Und seit 1950 kamen aus dem Osten
rund 640.000 Aussiedler und Spätaussiedler hierher.
Ohne sie, die damals zu uns kamen,
wären wir hier im Saal,
wären auch die Zuschauerinnen und Zuschauer des BR,
wären die Bayerinnen und Bayern heute deutlich weniger.
Viele wären gar nicht da - Welch ein Verlust:
Ich kann und ich will mir das nicht vorstellen.
Es ist die Botschaft für den heutigen Tag:
Wir sind eins.
Wir gehören zusammen!
Meine Damen und Herren,
heute sind wir zum Gedenkakt zusammengekommen.
Wir sprechen über: Flucht und Vertreibung vor 80 Jahren – aber vor allem über: 75 Jahre Verständigung.
Wir sprechen über
- das Schicksal der Heimatvertriebenen,
- über das Schicksal der Aussiedlerinnen und Aussiedler,
- über das Schicksal der Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler.
Dieses Schicksal hat Familien geprägt – bis heute.
Es hat Generationen geprägt und
es hat unser Land geprägt.
Für mich steht es fest:
Das Gespräch darüber ist wichtig:
- Wichtig für unser Selbstverständnis.
- Wichtig für unser friedliches Zusammenleben.
- Und deshalb ist es wichtig für den Bayerischen Landtag!
Ich habe die jüngste Initiative der Fraktionen sehr begrüßt:
- Zunächst die parlamentarische Befassung im Juli.
- Das einstimmige Votum für den Antrag.
- Und schließlich der würdige Rahmen,
den wir heute geben dürfen.
Und darauf beschränkt es sich ja nicht:
Ich weiß, dass sich die Fraktionen in großer Regelmäßigkeit
- „Flucht und Vertreibung“ als Thema annehmen,
- im Gespräch bleiben, zuhören, ernstnehmen,
- politische Schlüsse ziehen.
Der Landtag ist hier Ort der Debatte und Ort der Entscheidung.
Ich bin stolz auf den Bayerischen Landtag.
Ich sage danke. Es ist Ihr Applaus!
Und es ist gut, dass die Fraktionen und die Staatsregierung hier Hand in Hand arbeiten.
Du, liebe Petra Loibl, bist nicht nur abstrakt „beauftragt“.
Du hast Dir das Schicksal von Hunderttausenden zur Herzenssache gemacht und bringst die Menschen zusammen.
Gemeinsam mit Ulrike Scharf,
unserer Schirmherrschaftsministerin der Sudetendeutschen,
sorgt Ihr im ständigen Einsatz dafür,
dass sich Menschen gesehen fühlen von der Politik –
ja, auch tatsächlich gesehen werden von der Politik.
Ihr kämpft für Wertschätzung –
ich danke Euch sehr für Eure engagierten Dienste!
Und sehr geehrter Herr Staatsminister, lieber Florian Herrmann,
Du bist heute hier und betonst damit, dass es nicht
um vermeintliche Minderheitenthemen geht.
Sondern, dass
- die Fragen um Flucht und Vertreibung,
- die Fragen nach dem Erhalt des Brauchtums,
- die Fragen nach dem Erhalt der Kulturgüter
für uns in Bayern ganz zentral sind.
Du unterstreichst:
Legislative und Exekutive ist es ein gemeinsames Anliegen.
Es ist ein Gemeinschaftswerk.
Wir stehen dazu:
Es ist unverzichtbarer Bestandteil für unsere Staatlichkeit!
Meine Damen und Herren,
das Gemeinschaftswerk aus der Politik wäre nichts ohne die Verbände, ohne die Vereine, lieber Christian Knauer,
und ohne die vielen, vielen Menschen in Bayern,
- die aus ihrer ursprünglichen Heimat vertrieben wurden,
- die Aussiedler und Spätaussiedler sind.
Sie prägten und prägen weiterhin die Identität Bayerns!
Die Sudetendeutschen sind der vierte Stamm Bayerns.
Bayern hat die Schirmherrschaft über die Sudetendeutsche Volksgruppe seit 1954.
Und Bayern hat die Patenschaft über die Landsmannschaft Ostpreußen seit 1978 übernommen.
Aber ich will sie ausdrücklich alle nennen:
- die Deutschen aus Russland,
- die Schlesier und die Oberschlesier,
- die Donauschwaben, die Banater Schwaben und
die Sathmarer Schwaben - die Siebenbürger Sachsen,
- die Ungarndeutschen,
- die Karpatendeutschen aus der Slowakei und der Ukraine,
- die Pommern,
- die Deutschbalten und
- den Bund der Danziger.
Sie alle gehören hier dazu. Wir erneuern unsere Bekenntnisse: aus der Vergangenheit für die Zukunft!
Die politischen Entscheidungen folgen einer Linie, die ungebrochen ist und die wir Stück für Stück verstärken:
- etwa mit dem Haus des Deutschen Ostens in München,
- dem Sudetendeutschen Museum,
- dem Haus der Heimat in Nürnberg,
- dem Egerland-Museum in Marktredwitz,
- dem Isergebirgsmuseum in Kaufbeuren-Neugablonz,
- dem Ostpreußischen Kulturzentrum in Ellingen und
- dem Kulturwerk Schlesien in Würzburg
Wir haben
- das Kulturzentrum für die Deutschen aus Russland und
- Kulturzentren für Donauschwaben, Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen.
Und wir investieren in die Forschung
- mit der Forschungsstelle „Kultur und Erinnerung“ beim Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg
- mit dem Institut für deutsche Kultur und Geschichte in Südosteuropas an der LMU in München
- mit dem Bukowina-Institut in Augsburg und dem
- Collegium Carolinum in München
Wir tun das, weil diese Menschen,
ihre Kultur, ihr Brauchtum, ihre Geschichte
uns bereichern.
Es ist der Reichtum unserer Kultur in Bayern:
Wir bekennen uns zur Einheit und leben sie in Vielfalt!
Zu wissen, wo man herkommt, hilft sehr,
um zu wissen, wo man hinwill.
Deshalb vergessen wir nicht:
- Nicht das unfassbare, monströse Unrecht der Nationalsozialisten.
Und nicht, was danach geschah:
Etwa in Böhmen und Mähren im Mai 1945 –
die ethnischen Säuberungen,
der Brünner Todesmarsch und
das Massaker von Aussig.
Das Leid der Sudetendeutschen.
Furchtbar.
- Menschen auf der Flucht,
- vertrieben, enteignet und der Heimat beraubt.
- Rechtlos und vogelfrei.
Viele, viele haben ihr Leben verloren.
Es waren Verbrechen gegen die Menschlichkeit
und wir gedenken der Opfer!
Zugleich feiern wir, was Menschen die nichts mehr hatten –
nur das, was sie selbst tragen konnten -
dann in Bayern aufgebaut haben.
Mit Mut, mit Können, mit Gestaltungskraft.
Ich nenne die Städte:
- Neutraubling,
- Traunreut,
- Neugablonz,
- Waldkraiburg und
- Geretsried.
Aufgebaut aus dem Nichts.
Belebt mit eigener Kraft.
Integriert mit Anstand.
Nicht verbittert, nicht zurückgezogen, nicht aufgegeben.
Und über all die Arbeit hinaus, über das Erwirtschaften,
hat man die eigene Herkunft nicht vergessen.
Man hat sie tief im Herzen erhalten.
Und man hat sich aus Liebe zur Heimat und zum Frieden
zur Versöhnung entschieden
mit den Menschen in den Ländern des östlichen Europas.
Die Fraktionen im Landtag haben es in ihrem Antrag auf den Punkt gebracht - Zitat:
„Mit der am 5. August 1950 verkündeten Charta
haben es die deutschen Heimatvertriebenen gewagt,
den Kreislauf von Rache und Vergeltung zu unterbrechen
und im Geiste gemeinsamer europäischer Werte
einen Neuanfang zu wagen.“
Dem schließe ich mich an:
Damals bekannte man sich zu dem Haus Europa
als einem Ort,
„in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.“
Welch ein großer Einsatz für Frieden und Verständigung:
in Bayern, in Deutschland, in Europa!
Einst war Europa getrennt durch den Eisernen Vorhang.
Heute ist Europa im Großen geeint:
steht zusammen in der Europäischen Union.
Elf Länder des östlichen Europas sind der EU beigetreten.
Wir sind gleichermaßen verpflichtet
- auf die Förderung des Friedens,
- auf Freiheit, Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit und
- neben anderen - auf die Achtung der kulturellen Vielfalt.
Die Heimatvertriebenen,
die Aussiedler und Spätaussiedler
waren immer Brückenbauer zwischen den Völkern.
Sie haben ihren Beitrag geleistet
zu einem historisch einmaligen Siegeszug
von Frieden, Freiheit und Demokratie.
Wann, wenn nicht heute, wird deutlich,
welch herausragende Errungenschaft das ist?
Meine Damen und Herren,
Geschichte wiederholt sich nicht – oder doch?
Wir sprechen über 80 Jahre Flucht und Vertreibung –
und manch einer mag meinen:
Das ist lange her.
Aber Wladimir Putin hat die dunkelsten Kapitel europäischer Geschichte fortgeschrieben.
- Krieg in Europa.
- Terror gegen die Zivilbevölkerung in der Ukraine.
- Umsiedlungen, Vertreibung und Entführung.
Es ist die ganze Bandbreite brutalster Unmenschlichkeit!
Wieder…..
Ich war in Kiew.
Ich war in Butscha.
Ich habe mit Ukrainerinnen und Ukrainern gesprochen:
Manche stark wie Vitali Klitschko.
Andere schwach, schwer gezeichnet und hart getroffen.
Diese Menschen wanken, aber sie fallen nicht.
Der Generalkonsul der Ukraine ist heute unter uns.
Bitte nehmen Sie mit:
Ich habe allergrößten Respekt vor diesen Menschen!
Die Staaten des östlichen Europas
fühlen sich bedroht und sie werden bedroht.
- Russische Kampfjets im estnischen und litauischen Luftraum.
- Russische Drohen im rumänischen Luftraum.
- Russisch-belarussische Manöver an der Grenze zu Polen.
- Beeinflussung der Parlamentswahl in Moldau.
Die Liste ist lang und noch länger und sie führt
über die hybriden Angriffe auch bei uns in Deutschland
zu der Erkenntnis:
Putins Russland ist eine Bedrohung für Europa!
Wir brauchen dazu eine Haltung,
die in politische Taten mündet.
Und mündet in Zustimmung zu politischen Taten.
Es nützt nichts, allein auf das Gute zu hoffen.
Ich weiß, dass die vielen Krisen der vergangenen Jahre Gewissheiten genommen und
neue Fragen aufgeworfen haben.
Menschen sind verunsichert.
- Hoffnung ist verloren gegangen.
- Sie ziehen sich zurück.
- Sie sehnen sich zurück in friedlichere Zeiten.
- Und sie wünschen sich
einfache Antworten und schnelle Erfolge.
Mit Projektionsflächen auch in der politischen Landschaft.
Doch da, meine Damen und Herren,
geht die Wirklichkeit nicht mit:
Putin dienerisch entgegenzukommen, ist der falsche Weg.
Ja, wir müssen nach Frieden streben.
Aber: indem wir Freiheit und Selbstbestimmung verteidigen!
80 Jahre Flucht und Vertreibung,
75 Jahre Versöhnung.
Ich hätte mir in der Gegenwart andere Vorzeichen für das Gedenken gewünscht.
Aber wir sollten uns ermutigen lassen von unserer Geschichte:
Heimatvertriebene, Aussiedler und Spätaussiedler
haben gezeigt,
- dass man mit Eigeninitiative,
mit Leistungsbereitschaft und
mit Zuversicht viel zum Positiven bewegen kann. - Dass jeder für sich
im unmittelbaren Umfeld etwas aufbauen kann. - Und dass alle zusammen Großes schaffen können!
Und ja – sie haben damit Bayern geprägt.
Heute schauen wir darauf voller Stolz.
Wir sind eins.
Wir gehören zusammen!