„E“ wie einfach. Nachhaltige Häuser bezahlbar bauen
Fachgespräch im Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr
28. Juni 2022
MÜNCHEN. Die Kosten fürs Bauen steigen, die Nachfrage nach günstigem Wohnraum ist unverändert hoch. Wie sich Bauen einfacher, günstiger und dennoch nachhaltig und klimafreundlich gestalten lässt, um bezahlbare Wohnungen zu schaffen, darüber diskutierte der Bauausschuss mit Fachleuten aus der Branche.
Große Anerkennung erntete dabei eine Initiative der Bayerischen Architektenkammer, die Kostensenkungen im Bau zum Ziel hat. Stadtplaner, Ingenieure, Juristen und Architekten nahmen im Fachgespräch des Ausschusses für Wohnen, Bau und Verkehr Stellung zu der Idee, eine Gebäudeklasse „E“ einzuführen. „E“ steht dabei für „einfach oder Experiment“.
Um nachhaltige Gebäude einfach und bezahlbar zu bauen schlug Architekt und Stadtplaner Florian Dilg vor, bei der technischen Ausrüstung selbst Ziele festlegen zu können. Es sollte erlaubt sein, die Normen zu verlassen. Als Beispiele nannte Dilg hohe Schallschutzanforderungen, die zu einem Mehr an Materialverbrauch führten. Das sei nicht nur Geldverschwendung, sondern ziehe auch steigende CO2-Emmissionen nach sich. Nach Dilgs Ansicht macht die Kennzeichnung mit dem Typ „E“ den Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich, dass es sich um Gebäude mit reduzierter Einhaltung von Normen handelt. Der Vorteil sei die „Freiheit für Innovation und umweltbewusstes Bauen“.
Mit „Diät“ aus dem „Speckmantel“ der Normen befreien
Ebenso wie Dilg sah auch der Präsident der Bayerischen Ingenieurkammer-Bau ein großes Portfolio an Einsparmöglichkeiten. So müssten beispielsweise Leitungen nicht immer zwingend unter Putz verlegt werden, sagte Professor Norbert Gebbeken. Er forderte zum einen Rechtssicherheit für Planerinnen und Planer, zum anderen auch eine Festlegung, welche Sicherheitsaspekte nicht verhandelbar sind.
Professorin Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, von der die Idee stammt, zeichnete ein beunruhigendes Bild von der Lage der Bauwirtschaft. Haack verwies auf kriegsbedingte Lieferengpässe und eine galoppierende Steigerung der Roh- und Baustoffpreise. Mit einem scharfen Blick für Metaphern sprach sie von einem engen Korsett an Normen, die aber für die Bauwerksicherheit nicht zwingend erforderlich seien. Die Professorin regte eine „Diät“ an, um sich aus dem „Speckmantel“ der Normen zu befreien. Der Gebäudetyp „E“ kann nach ihrer Einschätzung ein wirkungsvoller Beitrag sein, die erforderlichen Wohnungsbauziele ohne Abstriche bei der Nachhaltigkeit zu erreichen.
Neuer Gebäudetyp eröffnet neue Perspektiven
Vorbehaltlose Unterstützung dazu kam von Florian Nagler, Professor an der Technischen Universität München (TUM). Es sei weltfremd, Bauvorschriften entschlacken zu wollen. „Der Vorschlag des Gebäudetyps „E“ durchschlägt den gordischen Knoten und eröffnet völlig neue Perspektiven und Möglichkeiten.“ Nagler berichtete von einem geförderten Projekt der Forschungsgruppe „Einfach bauen“ an der TUM. Mit dem Bau von drei Forschungshäusern in Bad Aibling sollte ein Weg aufgezeigt werden, wie Bauen heute alternativ und einfacher gedacht und durchgeführt werden kann. Der Professor machte aber auch deutlich: „Wir hätten diese Häuser unter normalen Planungsbedingungen niemals bauen können.“ Der Innovationsschub aus diesem Projekt sei aber nötig und werde nun evaluiert.
Dass bezahlbares Wohnen zu einer gewaltigen Herausforderung geworden ist, betonte auch Reinhard Zingler, Berater des Fachausschusses Technik des Verbandes bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW Bayern). „Das Problem ist die Fülle der anerkannten Regeln der Technik.“ Zingler sprach von mehr als 3.000 Normen, die zu berücksichtigen seien. In diesem Regelungsdickicht und in der komplexen Technisierung sieht er den Grund für das Ausbremsen der bayerischen Wohnungswirtschaft.
Im Auftrag der an der Teilnahme am Fachgespräch verhinderten Expertin Gerda Peter, Geschäftsführerin der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München, verwies Zingler auf deren positive Erfahrungen mit dem Gebäudetyp „E“. Ziel der Projekte sei immer gewesen, Standards zu hinterfragen und einfacher sowie kostengünstiger zu bauen. Häufig gebe es beispielsweise bei Mietern Probleme mit der Handhabung komplizierter Technik. Insgesamt sei es nun erforderlich, vom Experiment in die Breite zu kommen.
Einig waren sich alle Experten, dass es Vorgaben gibt, die nicht verhandelbar sind. Dazu zählten sie den Brandschutz, die Stand- und Verkehrssicherheit.
Aktuell noch: Faktische Bindung an DIN-Normen
Aus juristischer Perspektive verdeutlichte Dr. A. Olrik Vogel, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, dass die anerkannten Regeln der Technik zwar zivilrechtlich disponibel seien, es aber faktisch eine Bindung an DIN-Normen gebe. Vogel sprach sich zunächst für eine mehrjährige Erprobungs- und Evaluierungsphase aus. Dann müsse die Einführung des Gebäudetyps „E“ im Freistaat bundesrechtlich in Zivilrecht transferiert werden.
Im Fachgespräch, das auf Anregung der FDP zustande gekommen war, reagierten die Abgeordneten aller Fraktionen sehr aufgeschlossen auf die Ideen zum kostengünstigen Bauen. Jürgen Baumgärtner von der CSU zeigte sich überzeugt von der Initiative und sagte: „Das sollten wir machen.“ Der Ausschuss-Vorsitzende Sebastian Körber (FDP), selbst Architekt, hakte nach, was nun an konkreten Schritten nötig sei. Fachanwalt Vogel empfahl zunächst ein zweigleisiges Vorgehen. Zum einen müssten Minimalstandards für Brandschutz, Standsicherheit und Schallschutz definiert und der zusätzliche Gebäudetyp in die Landesbauordnung aufgenommen werden. Darüberhinaus sei aber auch eine zivilrechtliche Öffnungsklausel auf Bundesebene nötig.
Einfache Gebäudeklasse „E“ als Innovationstreiber
Die Abgeordnete Ursula Sowa (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) versprach, die CSU beim Wort zu nehmen und regte an, in der Diskussion um den geplanten Konzertsaal in München in diese Richtung zu denken. Hans Friedl (FREIE WÄHLER) schloss sich grundsätzlich der Einschätzung des CSU-Kollegen an, fragte aber auch nach den Konsequenzen beim Verkauf einer Immobilie des Gebäudetyps „E“. Die Präsidentin der Architektenkammer sah das optimistisch. Sie bezeichnete die Bauweise nicht als minderwertig, sondern als Innovationstreiber.
Der AfD-Abgeordnete Uli Henkel schlug daraufhin vor, die einfache Gebäudeklasse „E“ als Standard einzuführen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Eine Erwartung, die Architekt Dilg stoppte. Eine solch rigorose Änderung der Bauordnung, so prophezeite er, werde in unserer Lebenszeit nicht stattfinden. Dilg plädierte vielmehr für ein Labeln des Typs „E“.
Inwiefern eine Erprobung im kommunalen Wohnungsbau möglich sei, fragte die Sozialdemokratin Natascha Kohnen. Laut Stadtplaner Dilg durchaus eine Möglichkeit. Wichtig sei, dass der Bauherr sachkundig sei, weil bei den Profis der Verbraucherschutz nicht greife. TUM-Professor Nagler schlug vor, die staatlichen Bauämter einzubeziehen. VdW-Berater Zingler schloss: „Einfaches Bauen wird zunächst experimentelles Bauen sein, mit einem wachsenden Katalog an Beispielen.“
/ Miriam Zerbel