Innen- und Verfassungsausschuss nehmen Neufassung der Polizeiaufgaben unter die Lupe

Mittwoch, 21. März 2018
– Von Jürgen Umlauft –

Bei einer Expertenanhörung von Innen- und Verfassungsausschuss haben mehrere Fachleute erhebliche Bedenken gegen die geplante Neufassung des Polizeiaufgaben- und des Verfassungsschutzgesetzes geäußert. Zahlreiche Regelungen würden zu stark in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen und womöglich verfassungswidrig sein.


So erklärte der Richter am Landgericht München I, Markus Löffelmann, die Vorverlagerung zahlreicher Eingriffsbefugnisse für die Polizei in den präventiven Bereich sei ein „gewaltsamer Paradigmenwechsel im bayerischen Polizeirecht“. Jeder bayerische Polizist habe damit im täglichen Einsatz künftig mehr Befugnisse bei der Gefahrenabwehr als das Bundeskriminalamt zur Terrorbekämpfung. Dagegen betonte der Bayreuther Rechtsprofessor Markus Möstl, polizeiliche Befugnisse müssten mit den technischen Möglichkeiten und neuen Herausforderungen für die Innere Sicherheit Schritt halten. Die Gesetzentwürfe böten dazu aus seiner Sicht „verfassungsrechtlich vertretbare Lösungen“.

Die von der Staatsregierung eingebrachten Gesetzentwürfe sollen die Sicherheitskräfte vor allem bei ihrem Kampf gegen die Gefahren des islamistischen Terrorismus unterstützen. Dazu sollen sie bereits bei einer drohenden Gefahr präventiv Datenträger beschlagnahmen sowie Personen online überwachen und vorbeugend faktisch unbegrenzt in Gewahrsam nehmen können. Außerdem sehen die Gesetze die Einführung von Bodycams an den Uniformen von Polizisten, die Video-Überwachung mit Gesichtserkennung von öffentlichen Räumen und die präventive DNA-Analyse von möglichen Verdächtigen vor. Diese soll auch die Erstellung von Personenprofilen mit Haut-, Haar- und Augenfarbe zur Erleichterung der Fahndung beinhalten.

Nach Einschätzung Möstls stellen die Vorlagen „keine bedenkliche Tendenz“ zu nicht von der Verfassung gedeckten Eingriffsmöglichkeiten der Polizei dar. Er könne auch „keinen Schritt in Richtung Überwachungsstaat“ erkennen. Sein Augsburger Kollege Josef Franz Lindner ergänzte, die vorgeschlagenen Regelungen gingen zwar sehr weit, sollen aber auch Antwort auf eine veränderte Bedrohungslage geben. „Der Gesetzgeber muss in der Lage sein, Herausforderern auf Augenhöhe zu begegnen“, sagte Lindner. In der Summe stellten die neuen Befugnisse keine Gefahr für den Rechtsstaat dar. Im Gegenteil sei der Verzicht auf die Regelungen eine Gefahr für den Rechtsstaat, erklärte der Würzburger Rechtsprofessor Kyrill-A. Schwarz.

Löffelmann sah in den Gesetzentwürfen zwar auch richtige Ansätze zur Unterstützung der Sicherheitskräfte bei der Abwehr von Kriminalität und Terrorismus, doch versuche der Gesetzgeber dabei, von der Verfassung gesetzte Grenzen zu überschreiten. „Weniger ist manchmal mehr“, mahnte Löffelmann. Auch erkannte er in einigen Punkten das Gebot zur Verhältnismäßigkeit nicht beachtet. Als Beispiel führte der frühere Bundesverwaltungsrichter Kurt Graulich die molekular-genetische Überprüfung bei Fällen an, in denen nur vermutet werde, dass eine Straftat begangen werden könnte. Von dieser „polizeilichen Wahnvermutung“ rate er dringend ab. Der bayerische Datenschutzbeauftragte Thomas Petri bezeichnete den Zugriff auf die „sprechende DNA“ als „verfassungsrechtlich hoch problematisch“.

Bedenken äußerte Graulich auch gegen die intelligente Video-Überwachung mit Gesichtserkennung. Er halte diese nur für zulässig, wenn es dafür klare Speicherregelungen gebe. Ansonsten könne sie ein erster Schritt in Richtung Totalüberwachung aller Bürger sein. Ganz klar wandte sich Graulich gegen die Zulassung von Sprengmitteln – also Handgranaten oder Maschinengewehren – bei der Polizei schon im Präventivbereich. „Das sind Kriegswaffen, die haben im zivilen polizeilichen Einsatz nichts zu suchen“, betonte Graulich. Bei Petri stieß die präventive elektronische Durchsuchung von Speichermedien auf Ablehnung. Dafür brauche es zumindest einen Richtervorbehalt, genauso wie für den Einsatz von Bodycams bei Einsätzen in Wohnräumen.

Der Münchner Rechtsanwalt Hartmut Wächtler erinnerte daran, dass die neuen Präventivbefugnisse der Polizei nicht auf die Terrorabwehr beschränkt seien. „Das betrifft nicht nur potenzielle Terroristen, sondern auch Normalbürger“, warnte er. Bei der präventiven Festnahme, die per richterlicher Verfügung unbegrenzt dauern könne, werde den Betroffenen nicht einmal ein Pflichtverteidiger gewährt. Ein Beschuldigter in Präventivhaft, der noch nichts getan habe, sei damit schlechter gestellt, als ein Verdächtiger im Strafverfahren mit konkretem Tatverdacht. „Das ist eines Rechtsstaats unwürdig“, urteilte Wächtler.

Kritische Anmerkungen kamen auch von der Opposition. Der SPD-Rechtsexperte Franz Schindler erkannte zwar an, dass geänderte Zeiten und Sicherheitslagen auch neue Antworten erforderten, doch wolle er unbedingt an der bewährten Tradition der Trennung von Aufgaben der Polizei und des Verfassungsschutzes festhalten. Die Gesetzentwürfe aber ließen die Verantwortlichkeiten verschwimmen, da der Polizei sehr viele neue Eingriffsrechte bereits vor dem Begehen einer Straftat eingeräumt würden. „Eine immer öfter verdeckt und geheim operierende Polizei trägt nicht zu mehr Sicherheit bei, sondern gefährdet die Freiheitsrechte auch von unverdächtigen Personen“, sagte Schindler.

Nach Einschätzung von Katharina Schulze (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) öffne der neue Begriff der „drohenden Gefahr“ polizeilichen Maßnahmen in allen Bereichen Tür und Tor. Die Eingriffsschwellen würden deutlich abgesenkt. Die Befugnisse wiesen „in Richtung Totalüberwachung“ von Personen, die die Polizei für gefährlich halte. In der Summe seien die Maßnahmen nicht mehr mit der Verfassung vereinbar, meinte Schulze. Eva Gottstein (FREIE WÄHLER) sah durchaus die Notwendigkeit, die Sicherheitskräfte mit neuen Befugnissen auszustatten, „man darf das aber nicht zu dem Preis machen, dass dabei lange erstrittene Freiheitsrechte den Bach hinuntergehen“. Dagegen erkannte Manfred Ländner (CSU) in den Vorlagen keine Hinweise, dass gegen unbescholtene Bürger vorgegangen werden solle. Diese hätten aber ein Anrecht darauf, vom Staat vor neuen Gefahren geschützt zu werden.

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