„Übergriffe auf Mandatsträger sind ein Alarmsignal“
Bericht von Justizminister Georg Eisenreich (CSU) im Innenausschuss über die Zunahme von Hass und Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker in Bayern

10. Juli 2024
MÜNCHEN. Spätestens seit den Kommunalwahlen 2020 in Bayern sind Anfeindungen gegen Amtsträgerinnern und Amtsträger zum Massenphänomen geworden. Allein letztes Jahr wurden über 1350 Straftaten registriert – die Hälfte davon im Internet. Darauf hat das Justizministerium mit einem Online-Melderegister, personellen Maßnahmen und Hate-Speech-Beauftragten reagiert. Was Justizminister Georg Eisenreich (CSU) in Zukunft plant, um den Schutz von ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger zu verbessern, erklärte er im Innenausschuss des Landtags.
Die Zahl der Übergriffe auf Politikerinnen und Politiker im Freistaat reißt nicht ab. Im Jahr 2023 hat es laut Kriminalpolizeilichem Meldedienst in Bayern 1354 Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger gegeben. „Das ist für uns ein Alarmsignal“, sagte Justizminister Georg Eisenreich bei der Verkündung der Zahlen im Innenausschuss des Landtags. Die Angriffe seien nicht nur ein Zeichen von Verrohung und Enthemmung, sondern auch eine Kampfansage an den Rechtsstaat und die Demokratie im Allgemeinen. „Der Staat muss entschlossen dagegen vorgehen, Politikerinnen und Politiker und deren Familien zu schützen.“ Sonst kandidiere bald keiner mehr.
Laut Eisenreich beginnt Hass und Hetze meistens in der vermeintlichen Anonymität des Internets. Rund die Hälfte der Straftaten wurde online begangen. Sie hätten aber auch oft Folgen in der realen Welt. Erinnert sei an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. „Daher haben wir schon seit vielen Jahren die Online- und die Offline-Kriminalität im Blick“, betonte der Justizminister. Bereits seit dem Jahr 2020 gebe es sowohl vom Innen- als auch vom Justizministerium ein niederschwelliges Schutzkonzept für Betroffene. Dies dient auch dazu, die Delikte zu erfassen, um von staatlicher Seite einen Überblick zu erhalten.
Betroffene können sich an den Hate-Speech-Beauftragten und die Sonderdezernate wenden
Ein wesentlicher Baustein dafür ist im Bereich der Justiz das Online-Meldeverfahren für Straftaten. Dieses wurde für die kommunale Ebene entwickelt, kann inzwischen allerdings auch von bayerischen Abgeordneten des Landtags, Bundestags und des Europaparlaments genutzt werden. Betroffene können dort per Screenshot potenzielle Hassrede an den zentralen Hate-Speech-Beauftragten bei der Generalstaatsanwaltschaft München melden. „Da es sich inzwischen um ein Massenphänomen handelt, gibt es auch bei allen anderen 22 örtlichen Staatsanwaltschaften in Bayern Sonderdezernate“, erklärte Eisenreich.
Bis zum Stichtag 15. Juni 2024 haben sich 190 Amts- und Mandatsträger bei der Online-Meldestelle registriert. Seitdem seien 203 sogenannte Prüfbitten eingeleitet und 167 Ermittlungsverfahren durchgeführt worden. Die Differenz erklärte Eisenreich damit, dass im Bereich der Beleidigungsdelikte nicht alles, was unangemessen oder widerlich ist, gleich eine Straftat darstelle. In 44 der Fälle kam es zu Verurteilungen mit Geld- oder Bewährungsstrafen. Dies zeige, dass das Konzept wirke, betonte der Justizminister. „Hass im Netz kann Folgen im realen Leben haben.“
Wer Beratungsbedarf hat oder weniger netzaffin ist, kann sich auch direkt an die 22 regionalen Staatsanwaltschaften wenden. „Uns ist wichtig, dass die Mandatsträgerinnen und Mandatsträger für spezielle Phänomene auch einen persönlichen Ansprechpartner haben“, hob Eisenreich hervor. Das Justizministerium stehe in regelmäßigem Austausch mit den kommunalen Spitzenverbänden, die eine Liste mit den jeweiligen Fachleuten hätten. „Wenn man da anruft, wissen sie, wer zuständig ist.“ Sie könnten beispielsweise bei Fragen zu einer strafrechtlichen Ersteinschätzung helfen. Gerade bei übler Nachrede oder Verleumdung sei nicht immer klar, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
Der Schutz von Ehrenamtlichen soll verbessert werden
Um den Schutz vor Hass und Hetze weiter zu erleichtern, verzichtet die Staatsregierung bei Straftaten in diesem Bereich auf den Privatklageweg, stattdessen übernimmt die Staatsanwaltschaft. Zudem hat das Justizministerium die Zuständigkeiten des Hate-Speech-Beauftragten und der Sonderdezernate erweitert. Durch eine erfolgreiche Bundesratsinitiative Bayerns, die aktuell im Bundestag beraten wird, sollen außerdem künftig Straftaten, die sich gegen ehrenamtliche Politiker und allgemein gegen Ehrenamtliche richten, schärfer bestraft werden. Bereits vom Bund übernommen wurde ein Gesetzentwurf, der den Schutz von kommunalen Mandatsträgern bei Beleidigungen stärkt.
Der Vorsitzende des Innenausschusses, Roland Weigert (FREIE WÄHLER), dankte Eisenreich für seinen Bericht. Viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister seien durch das Hochwasser in Bayern sowieso schon am Limit. „Wenn sie sich dann auch noch saublöde Sprüche anhören müssen, von denen manche meinen, das sei eine Beiläufigkeit, geht das an die Substanz.“ Durch die einfacheren Anzeigemöglichkeiten werde der Schutz der haupt- und ehrenamtlichen Mandatsträger verbessert. „Die Angriffe sind ein Angriff auf das Gemeinwesen – egal aus welcher Ecke sie kommen.“
Alfred Grob (CSU) lobte ebenfalls die einfacheren Anzeigemöglichkeiten – egal ob online oder offline, bei der Justiz oder der Polizei. „Die Wege funktionieren.“ Das sei gerade bei kleineren Kommunen wichtig, die nicht die finanziellen Mittel für zusätzliches Personal für die Bekämpfung von Hass und Hetze hätten. „Sie müssen besonders geschützt werden.“ Er hob hervor, dass die Verurteilungsstatistik der bayerischen Justiz bei Beleidigung und Verleumdung überproportional höher sei als im Durchschnitt.
Grüne und AfD sind besonders von Anfeindungen betroffen
„Im Ziel sind wir uns einig“, betonte Richard Graupner (AfD). Die massiv angestiegenen Angriffe auf Mandatsträger seien nicht hinnehmbar. Bei der politisch motivierten Kriminalität habe es letztes Jahr 250 Delikte gegen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, 116 gegen die AfD und 85 gegen die CSU gegeben. Bei der politischen motivierten Gewaltkriminalität sei aber in 21 von 23 Fällen die AfD betroffen gewesen. „Wir sind hier in keinem Wettbewerb, wer das größte Opfer ist, aber das fällt ins Auge“, meinte der Abgeordnete.
Max Deisenhofer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bereiteten die gestiegenen Übergriffe in Bayern Sorgen. Er wunderte sich allerdings angesichts der rund 40.000 Amts- und Mandatsträgern im Freistaat über die recht geringe Zahl von 190 Nutzerinnen und Nutzern der Online-Meldestelle der Justiz. „Ist der Prozess möglicherweise doch zu aufwendig?“, fragte er. Eisenreich verwies darauf, dass sich viele Betroffene persönlich an die regionalen Staatsanwaltschaften wenden würden. Konkrete Zahlen nannte er nicht.
Die SPD-Fraktion begrüßte die Maßnahmen des Justizministeriums. „Aus eigener Erfahrung weiß ich: Es braucht bei Anfeindungen und Beleidigungen ein dickes Fell“, unterstrich die Polizistin Christiane Feichtmeier (SPD). Inzwischen hätten viele kommunale Kolleginnen und Kollegen „Schiss“, Veranstaltungen durchzuführen. Vor allem, weil auf Flyern und Webseiten immer eine Adresse stehen muss. Eisenreich riet, die Anschrift des lokalen Kreisverbands zu wählen. „Aber natürlich“, räumte er einschränkend ein, „weiß in kleinen Gemeinden sowieso jeder, wo jemand wohnt.“
/ David Lohmann