Fachgespräch zum Thema: Parkinson in der Landwirtschaft
Wie ist die Situation in Bayern, und was kann der Freistaat für seine Bäuerinnen und Bauern bei Prävention und Unterstützung noch tun?
MÜNCHEN. Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel kann bei Landwirten und ihren Beschäftigten das Risiko erhöhen, an Parkinson zu erkranken. Die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau rechnet in Bayern nach Abschluss der Prüfung aller Verdachtsfälle mit bis zu 8000 anerkannten Betroffenen. Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus informierte sich in einem Fachgespräch über die Situation.
Landwirte können bei der unsachgemäßen Ausbringung chemischer Pflanzenschutzmittel an Parkinson erkranken. „Es gibt viele Studien, die zeigen, dass es einen klaren Zusammenhang gibt zwischen der Exposition und Parkinson“, erklärte die Tübinger Professorin für Arbeits- und Sozialmedizin, Monika A. Rieger, bei einem Fachgespräch im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus. Sie sprach von einem „hohen Risiko“, die Krankheit häufiger und früher zu bekommen, wenn Personen den in der Landwirtschaft eingesetzten Pflanzenschutzmittel unzureichend geschützt in hoher Konzentration ausgesetzt sind. Der Ärztliche Sachverständigenrat für Berufskrankheiten habe Parkinson bei Landwirten deshalb 2023 unter bestimmten Voraussetzungen als Berufskrankheit anerkannt. Für die individuelle Anerkennung brauche es aber eine an mehrere Kriterien geknüpfte Einzelfallprüfung, betonte Rieger.
Parkinson ist nicht heilbar
Die Notwendigkeit einer Einzelfallprüfung hob auch Dr. Christian Lechner, Chefarzt für Neurologie am Helios Amper-Klinikum in Dachau mit dem Spezialgebiet Parkinson, hervor. „Nicht jede Bewegungsstörung ist Parkinson“, stellte er fest. Es gebe mehrere Unterarten einer Parkinson-Erkrankung, nur das so genannte „primäre Parkinson“, unter dem etwa 70 Prozent der Erkrankten litten, sei mit Pflanzenschutzmitteln in Verbindung zu bringen. Dieses äußere sich vor allem zu unkontrollierbares Zittern oder Muskellähmungen. Auslöser sei eine durch die Mittel ausgelöste Verminderung der Dopaminproduktion im Gehirn, die irreversibel sei. Aufgenommen werden könnten die Stoffe über die Haut, die Atemwege, die Mund- und Nasenschleimhäute sowie über den Verdauungstrakt.
Steigendes Pflegefallrisiko
Nach den Worten von Martin Empl, Vorstandsvorsitzender des Arbeitgeberverbands für die Land- & Forstwirtschaft in Bayern e.V. sowie der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), sind besonders im Bereich des Obst-, Garten- und Ackerbaus Tätige betroffen. Bei der SVLFG seien aktuell rund 3000 potenzielle Verdachtsfälle anhängig, in etwa einem Drittel davon sei die Prüfung abgeschlossen. Die Anerkennungsquote liege bei knapp 80 Prozent. Er gehe nach Abarbeitung aller bereits bekannten und vermutlich noch folgenden Verdachtsfälle mit einer Gesamtzahl von 6000 bis 8000 Anerkennungen als landwirtschaftliche Berufskrankheit aus, sagte Empl. Jeder Fall bedeute für die Versicherung jährliche Kosten von rund 30 000 Euro. Eine zusätzliche Belastung für Versicherer und Angehörige entstehe dadurch, dass an Parkinson erkrankte Menschen früher oder später zum Pflegefall würden, führte Empl weiter aus. Trotz des erwiesenen Zusammenhangs zwischen der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln und Parkinson-Erkrankungen liege nach den der SVLFG bisher vorliegenden Daten der Anteil der in der Landwirtschaft Betroffenen nicht höher als in der Gesamtbevölkerung.
Prävention und Schutzmaßnahmen wichtig
Einig waren sich die Experten, dass eine Reduzierung der Fallzahlen nur durch konsequente Präventionsmaßnahmen zu erreichen sei. Als oberstes Gebot nannte Rieger die insgesamt deutliche Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Dies sei auch deshalb von Bedeutung, weil die Stoffe über Wind- oder Wasserverfrachtung auch abseits der Felder in die Umwelt gelangten und dort auf eine ungeschützte Bevölkerung träfen. „Es gibt Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Pestiziden in Luft und Trinkwasser und dem Erkranken an Parkinson“, erklärte Rieger.
Als zweiten Punkt nannte sie technische Schutzmaßnahmen vor allem für Landwirte. Dazu gehörten zum Beispiel geschlossene und klimatisierte Traktorkabinen. Beim Nachfüllen der Substanzen oder deren kleinräumiger Ausbringung über Handspritzen sei Schutzkleidung und Atemschutz empfohlen. An den Freistaat und seine Agrar- und Gesundheitsbehörden appellierte Rieger, die Kommunikation bezüglich Gefahren und Schutzmaßnahmen zu verbessern sowie Landwirte beim technischen Schutz stärker zu unterstützen. Lechner sprach sich zudem für die bessere Schulung von Arbeitsmedizinern aus, um deren Kompetenz in der Früherkennung und im Umgang mit Parkinson zu verbessern.
Problembewusstsein gewachsen
Nach Einschätzung Empls hat sich die Prävention in vergangenen Jahren schon deutlich verbessert, die Gefährdungslage habe sich durch technischen Fortschritt und verbesserte Pflanzenschutzmittel entspannt. Durch Aufklärungskampagnen auch der Versicherer sei das Problembewusstsein unter den Landwirten gestiegen, die Bereitschaft für Schutzmaßnahmen sei gewachsen. Kritik übte Empl an den geltenden Regeln für die Anerkennung von Parkinson als landwirtschaftliche Berufskrankheit. Manche Kriterien seien praxisfern oder zu unspezifisch. Konkret nannte Empl die Vorgabe, dass Betroffene nachweisen müssten, Pflanzenschutzmitteln während der vergangenen Jahre mindestens 100 Tage ausgesetzt gewesen zu sein. Dass es dabei keine Rolle spiele, ob man nur kurz eine Handspritze betätigt habe oder den ganzen Tag sein Feld besprüht habe, sei aus Sicht eines Versicherers unverständlich.
/ Jürgen Umlauft