Die Ergebnisse
Politik und Demokratie stehen vor vielfältigen und komplexen Herausforderungen – inneren und äußeren. Spätestens mit Beginn der 2020er Jahre ist das Krisenmanagement zu einer Art Daueraufgabe der Politik geworden. Die liberale Demokratie ist dabei in besonderem Maße gefordert. Sie muss sich im Alltag durch Leistung immer wieder aufs Neue beweisen.
Vor diesem Hintergrund beleuchtet der Demokratiereport Bayern jährlich das Verhältnis von Bürgern und Demokratie im Freistaat: Wie steht es um die Unterstützung der Bevölkerung für die Demokratie in den aktuell krisenhaften Zeiten? Welche Gefährdungen sehen die Bürgerinnen und Bürger? Welche Akzeptanz finden partizipative Protestformen zur Durchsetzung politischer Forderungen? Wie werden direktdemokratische Beteiligungsformen als Ergänzung der repräsentativen Demokratie bewertet? Wie wird die Qualität der Debattenkultur eingeschätzt?
Der Demokratiereport Bayern versucht, auf diese und andere Fragen Antworten zu geben. Die Datengrundlage hierfür liefert eine repräsentative Bevölkerungsbefragung in Bayern unter 1.012 Wahlberechtigten, die infratest dimap im Freistaat im Auftrag des Bayerischen Landtags vom 09. September bis 01. Oktober 2024 telefonisch und online durchgeführt hat.
Die Ergebnisse geben Anlass zur Zuversicht. Entgegen vieler öffentlicher Diagnosen über die Krise der Demokratie verweisen die Befunde des Demokratiereports Bayern 2024 auf eine sehr stabile Unterstützung für die Demokratie im Freistaat. Ungeachtet aller Krisendiagnosen sehen die Bürgerinnen und Bürgern in Bayern keine bestandsgefährdenden Herausforderungen für die Demokratie. Praktisch alle bayerischen Wahlberechtigten wollen in einem demokratischen Land leben. Die Demokratie als Staatsidee wird von kaum jemanden in Frage gestellt. Die überwältigende Mehrheit der Bayern will an den Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene in der gegenwärtigen Form festhalten oder diese sogar ausweiten. Der Demokratiereport Bayern 2024 macht auch deutlich: Die gelebte Praxis der Demokratie und die Meinungsfreiheit werden in Bayern deutlich positiver bewertet als im Bund. Die Akzeptanz unkonventioneller Protestformen ist im Freistaat sehr begrenzt, politisch motivierte Gewalt bleibt bei einer überwältigenden Mehrheit geächtet. In Summe zeigen sich die Bürgerinnen und Bürger des Freistaats angesichts der aktuellen Herausforderungen bemerkenswert unaufgeregt und von der Demokratie überzeugt.
Dennoch ist das Bild nicht ungetrübt. Zunächst sehen die Wahlberechtigten selbst zumindest latente Gefahren für die bayerische Demokratie, und zwar insbesondere in Entwicklungen am äußeren rechten Rand des Parteiensystems bzw. in einem rechten politischen Extremismus. Zudem äußern zahlreiche Bayern Unzufriedenheit mit der Demokratiepraxis auf Bundesebene. Gewalt als politisches Mittel gegen Politiker findet bei sehr wenigen Zustimmung – aber auch das geringste Verständnis ist hier sehr bedenklich. Das Gefühl die eigene Meinung nicht frei äußern zu können, nimmt auch in Bayern zu, wenn auch auf insgesamt deutlich niedrigerem Niveau als im Bund.
Außerdem deuten sich massive Umbrüche für die politische Meinungsbildung in Bezug auf die Mediennutzung an. Klassische Massenmedien verlieren im Generationenwechsel für das politische Informationsverhalten an Bedeutung. Soziale Medien werden bei den jüngeren Wahlberechtigten bestimmend. Dass sie demokratiegefährdende Tendenzen in sich tragen, stellen auch die jüngeren Bürgerinnen und Bürger fest.
Haltungen zur Demokratie
In Bayern findet sich kaum jemand, für den es unbedeutend ist, in einem demokratischen Land zu leben. Für 83 Prozent der Wahlberechtigten ist es sehr wichtig, demokratisch regiert zu werden, für weitere 13 Prozent wichtig. Nur eine kleine Minderheit lehnt die Demokratie als Staatsidee grundsätzlich ab. Neun von zehn Bürgerinnen und Bürgern (93 Prozent) bezeichnen sie als gute, lediglich 4 Prozent als weniger gute Regierungsform.
Große Unterstützung für die Demokratie als solche bedeutet jedoch nicht, dass die gelebte Praxis uneingeschränkt positiv bewertet wird. Dennoch überwiegt auch hier ein positives Urteil. Knapp sechs von zehn Bayern (57 Prozent) sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden, 41 Prozent sehen dies kritischer. Deutlich positiver wird die Demokratie in Bayern bewertet: Drei von vier Wahlberechtigten (76 Prozent) empfinden sie als gut funktionierend, nur 23 Prozent äußern sich skeptisch.
Aus der Kombination aus allgemeiner Haltung und praktischer Bewertung der Demokratie lassen sich vier Typen identifizieren: zufriedene und kritische Demokraten, Entfremdete und Gleichgültige. Zufriedene und kritische Demokraten schätzen die Demokratie, unterscheiden sich aber in der Praxisbewertung. Entfremdete und Gleichgültige zeigen eine kritische Grundhaltung, wobei erstere unzufrieden mit der Praxis sind und letztere wohlwollender urteilen. In Bayern dominieren die Zufriedenen (73 Prozent) und Kritischen (19 Prozent). Personen mit höherer Formalbildung sind häufiger zufriedene Demokraten.
Institutionenvertrauen
Die grundsätzlich hohe Zufriedenheit mit dem gegenwärtigen Funktionieren der Demokratie in Bayern legt nahe, dass die Bürgerinnen und Bürger den zentralen Institutionen im Freistaat sichtbares Vertrauen entgegenbringen. Neutrale und regulative Institutionen wie die Polizei (87 Prozent), kommunale Verwaltungen (72 Prozent) und die Justiz (69 Prozent) genießen hohes Vertrauen. Es fällt aber auf, dass je politischer eine Institution wahrgenommen wird, desto geringer das entgegengebrachte Vertrauen ist. So vertrauen dem Bayerischen Landtag 60 Prozent der Befragten, während 50 Prozent der Staatsregierung Vertrauen entgegenbringen. Den politischen Parteien wird das geringste Vertrauen entgegengebracht – nur 34 Prozent der Bürgerinnen und Bürger halten sie für vertrauenswürdig. Zufriedene Demokraten zeigen dabei insgesamt mehr Vertrauen in die Institutionen als kritische Demokraten.
Wahrgenommene Demokratiegefährdungen
Ungeachtet aller derzeitigen Herausforderungen sieht eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Bayern (61 Prozent) die Demokratie in Bayern als nicht gefährdet an. 34 Prozent der Befragten sehen dagegen starke oder sehr starke Gefahrenmomente. Auf die frei gestellte Frage nach den größten Gefahren für die Demokratie in Bayern, antworten 24 Prozent, dass die Positionen der AfD eine Gefahr darstellten. Weitere 16 Prozent nennen die Migration, 14 Prozent politischen Extremismus von rechts und 6 Prozent politischen Extremismus von rechts wie links als potenzielle Gefährdungen.
Akzeptanz von Beteiligungs-, Protestformen und politischer Gewalt
Protestformen außerhalb des rechtlichen Rahmens finden in Bayern nur begrenzte Unterstützung. 27 Prozent der Wahlberechtigten halten nicht genehmigte Demonstrationen zur Durchsetzung politischer Ziele für gerechtfertigt, 16 Prozent befürworten die Besetzung von Fabriken oder öffentlichen Einrichtungen, lediglich 13 Prozent sehen Straßenblockaden als legitim an.
Besonders deutlich ist die Ächtung von Gewalt: 95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger lehnen Gewalt gegen Menschen ab, und fast geschlossen (98 Prozent) wird Gewalt gegen Einsatzkräfte verurteilt. Auch wenn Gewalt gegen Personen klar geächtet wird, fällt auf, dass 8 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass Politiker es verdient hätten, wenn Wut auch einmal in Gewalt gegen sie umschlage. Dabei fällt auf: Je höher das formale Bildungsniveau ist, desto klarer ist auch die Ablehnung.
Bewertung direktdemokratischer kommunaler Arrangements
Direktdemokratische Verfahren auf kommunaler Ebene genießen in Bayern breite Unterstützung. Fast neun von zehn Bayern wollen die Bürgergebegehren und Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene nicht angetastet wissen oder sogar ausweiten. Nur eine kleine Minderheit von 6 Prozent der Befragten fordert einen Rückbau dieser Möglichkeiten. Besonders auffällig ist die Differenz zwischen zufriedenen und kritischen Demokraten: 61 Prozent der Zufriedenen bewerten die bestehenden Beteiligungsmöglichkeiten positiv, während 64 Prozent der kritischen Demokraten sie für nicht ausreichend halten. Erweiterte Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeiten könnten eine Strategie sein, um das Vertrauen kritisch eingestellter Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zurückzugewinnen und zu stärken.
Politische Mediennutzung
Etwa die Hälfte der bayerischen Wahlberechtigten informiert sich täglich über Radio (54 Prozent) und Fernsehen (51 Prozent) über das politische Geschehen. Gedruckte Zeitungen und Zeitschriften (34 Prozent) sowie Internet-Nachrichtenwebsites (32 Prozent) werden von rund einem Drittel täglich genutzt. Soziale Netzwerke (18 Prozent) und Messenger-Dienste (13 Prozent) spielen eine wachsende Rolle, bleiben jedoch hinter klassischen Medien zurück.
Das Nutzungsverhalten der Altersgruppen zeigt eine deutliche Veränderung in der politischen Meinungsbildung zwischen den Generationen. Bei den unter 35-Jährigen haben Social Media und Radio die größte Bedeutung. Fernsehen und Printmedien liegen bei ihnen weit abgeschlagen. Die tägliche politische Mediennutzung ist bei den Jüngeren zudem weniger ausgeprägt, was auf einen möglichen generationellen Wandel hindeutet.
Folgen neuer digitaler Medienangebote
Die Bayern sehen das Angebot der digitalen sozialen Medien differenziert. Einerseits werden die niedrigschwelligen Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung und Vernetzung positiv bewertet, andererseits sehen viele Bürger in den sozialen Netzwerken auch Risiken. 84 Prozent der Befragten verbinden diese mit der Verbreitung von Falschinformationen, und 79 Prozent befürchten, dass sie zur Spaltung der Gesellschaft beitragen. Die positiven Aspekte, wie die Erleichterung der Informationsgewinnung (40 Prozent) und des Austauschs (43 Prozent), werden deutlich seltener wahrgenommen. Jüngere, die regelmäßige Nutzer von Social Media sind, bewerten diese Plattformen jedoch differenzierter und erkennen sowohl die Chancen als auch die Risiken.
Sicht auf traditionelle Medienangebote
Ungeachtet der wachsenden Bedeutung digitaler Medien werden traditionelle Medien weiterhin als relevante und vertrauenswürdige Informationsquellen wahrgenommen. Zwei Drittel der Bürgerinnen und Bürger bescheinigen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (67 Prozent) und den Tageszeitungen (65 Prozent) eine ausgewogene Berichterstattung. Private Fernseh- und Radioangebote werden differenzierter beurteilt (44 Prozent positiv, 42 Prozent negativ), während Boulevardmedien von 67 Prozent der Befragten als eher unausgewogen betrachtet werden.
Eine skeptische Grundhaltung zeigt sich allerdings bei der Gruppe kritisch eingestellten Bürger. Diese attestieren den klassischen Medien deutlich seltener eine politisch ausgewogene Berichterstattung. Nur etwa die Hälfte der kritischen Demokraten sieht in Tageszeitungen (52 Prozent) und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (47 Prozent) politisch ausgewogene Informationen. Diese Skepsis spiegelt sich auch in ihre Mediennutzung wider. Zwar nutzen sie weiterhin Fernsehen und Radio, allerdings in einem geringeren Maße als die zufriedenen Demokraten. Kritisch eingestellte Bürger bringen digitalen Kommunikationsräumen, wie Social Media, mehr Vertrauen entgegenbringen und nutzen diese häufiger für politische Informationen.
Subjektive Meinungsfreiheit und öffentliche Debattenkultur
Kernelement liberaler Demokratien ist die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Vertretung von Positionen, die nicht gesellschaftlichen oder politischen Mehrheiten entsprechen. Mit dem Aufkommen kontroverser Themen Corona, Migration oder der Klimapolitik wurde zunehmend der Vorwurf erhoben, die Meinungsfreiheit schwinde, da negative Urteile und persönliche Angriffe schneller und schärfer erfolgten.
Rund ein Drittel (34 Prozent) der Bayern teilt vollumfänglich das Gegenargument, wonach man seine Meinung frei äußern könne, auch wenn diese nicht der Mehrheitsposition entspreche. Für ein weiteres Drittel (35 Prozent) ist diese Möglichkeit zumindest in der Tendenz nach wie vor gegebenen. Demgegenüber beziehen 30 Prozent der Bayern eine kritischere Position. Sie sehen aktuell wenig (23 Prozent) oder keinen Raum (7 Prozent) für Meinungsäußerungen jenseits bestehender Mehrheitspositionen. Die Sicht auf die Debattenkultur unterscheidet sich deutlich zwischen zufriedenen und kritischen Demokraten: 80 Prozent der Zufriedenen sehen weiterhin Raum für freie Meinungsäußerung, während 56 Prozent der Kritischen dies verneinen.
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