„Jüdische Studierende sollen sich wieder sicher fühlen“

Anhörung zu Antisemitismus an bayerischen und außerbayerischen Hochschulen im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst

23. Oktober 2024

MÜNCHEN.        Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben antisemitische Vorfälle und Proteste an Hochschulen stark zugenommen. Allein an bayerischen Hochschulen gab es seitdem rund 30 Vorfälle. Auf Initiative der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diskutierten daher im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst neun Sachverständige, wie Antisemitismus an Hochschulen besser bekämpft werden kann.

„Jüdische Studierende fühlen sich an bayerischen Hochschulen nicht mehr sicher“, erklärte Ron Dekel vom Verband jüdischer Studenten in Bayern. In nahezu allen Universitätsstädten gebe es propalästinensische Protestcamps. Er verstecke daher auf dem Weg zur Vorlesung seine Kette mit dem Davidstern. Viele Kommilitoninnen und Kommilitonen trauten sich gar nicht mehr in die Hochschulgebäude. Dekel begrüßte zwar den neuen bayerischen Fünf-Punkte-Aktionsplan gegen Antisemitismus an Hochschulen, viele Vorschläge seien jedoch zu unkonkret. „Auch Exmatrikulationen müssen als Ultima Ratio möglich sein.“

Der zunehmende Antisemitismus an Hochschulen ist in ganz Deutschland ein Problem – vor allem in Berlin. Aber auch in Hamburg kam es bei Diskussionsveranstaltungen zu Übergriffen, berichtete Stefan Hensel, Beauftragter für jüdisches Leben und die Bekämpfung und Prävention von Antisemitismus bei der Stadt Hamburg. In der jüdischen Gemeinde in Hamburg berichten 77 Prozent der Befragten von antisemitischen Vorfällen – oft in Bildungseinrichtungen. „Noch alarmierender ist aber, dass die Anzeigerate nur bei 19 Prozent liegt“, unterstrich er. Er fordert Sensibilisierungsschulungen für Hochschulangehörige, bessere Sanktionsmöglichkeiten, mehr Anlaufstellen und Schutzräume.

Nicht nur jüdische Studierende hätten Angst, auch jüdische Lehrende, erläuterte Shila Erlbaum vom Zentralrat der Juden in Deutschland. 41 Prozent berichten von Cybermobbing, 64 Prozent von verbalen Angriffen im akademischen Kontext und 14 Prozent von Sachbeschädigungen beziehungsweise physischen Drohungen. 13 Prozent seien daher auf Online-Vorlesungen umgestiegen. Erlbaum verlangt, dass etwa WhatsApp-Gruppen nicht als außeruniversitär betrachtet, sondern antisemitische Äußerungen darin verfolgt werden. Ebenso müsse an Hochschulen mehr über Israel gelehrt, Austauschprogramme gestärkt und zusätzliche Anlaufstellen geschaffen werden.

Antisemitismusbekämpfung kostet Geld

Prof. Dr. Stefan Leible, Präsident der Universität Bayreuth und Vorsitzender von Universität Bayern e.V., dem Zusammenschluss der Universitäten, verurteilte die Besetzung von Universitätsgebäuden. „Das ist ein Angriff auf Israel und die Wissenschaft.“ Gleichzeitig betonte er, dass Hochschulen keine Brandherde für Antisemitismus seien, sondern Orte für dessen Bekämpfung. Leible verwies zudem auf eine neue Resolution gegen Antisemitismus und den Ausbau neuer Partnerschaften mit Israel. „Dafür brauchen wir aber Unterstützung von der Politik – nicht nur rhetorisch, sondern auch bei den Haushaltsmitteln.“

Um Zustände wie in den USA zu vermeiden, hat die Präsidentin der Universität Augsburg, Prof. Dr. Sabine Doering-Manteuffel, nach dem 7. Oktober 2023 sofort konkrete Maßnahmen ergriffen. „Wir haben deutlich gemacht, dass wir eine Nulltoleranzhaltung zu Antisemitismus haben und jeden Vorfall zur Anzeige bringen.“ Entsprechend habe es außer einer Gedenkstätte für die getöteten Kinder im Gazastreifen, die mehrmals von der Polizei geräumt wurde, nur wenige antisemitische Vorfälle gegeben. Seit Februar dieses Jahres gebe es auch einen Antisemitismusbeauftragten, „einen Kenner der jüdischen Kultur“, versicherte sie.

Auch an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) habe man reagiert, beteuert Prof. Dr. Markus Maier, Leiter der Lehr- und Forschungseinheit Allgemeine Psychologie II und Beauftragter für Antidiskriminierung an der LMU. So gebe es eine offizielle Beschwerdestelle, die mit der Rechtsabteilung verbunden ist. Eine Konfliktberatung, bei der der Fokus auf Mediation und Schlichtung liegt. Sowie eine externe Beratung, die unabhängig ist, obwohl sie von der LMU finanziert wird. Insgesamt war laut Maier die Zahl der antisemitischen Vorfälle 2023 an der LMU nur sehr gering.

Antisemitismus gab es schon vor dem 7. Oktober 2023

Mirjam Lübke, Historikerin und freie Journalistin, untersucht Antisemitismus in sozialen Medien. „Der 7. Oktober war zwar ein großer Bruch, aber Antisemitismus gab es schon davor und er ist weitgehend akzeptiert“, mahnte sie. Oft unter dem Deckmantel der Kunst- und Wissenschaftsfreiheit. Auch gebe es im Netz viele Fake News über angebliche Verbrechen der israelischen Armee. „Da braucht man sich nicht wundern, wenn Studierende sich auf die Seite der Palästinenser oder der Hamas stellen.“ Lübke plädierte dafür, Antisemitismus nicht nur bei aktuellen Ereignissen zu bekämpfen. Die jüdische Gemeinde in Deutschland schrumpfe, viele säßen bereits auf gepackten Koffern.

Ahmad Mansour, Geschäftsführer der Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention, nannte den 7. Oktober „das größte Pogrom an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die Bilder seien von den Tätern bewusst verbreitet worden, um das Sicherheitsgefühl jüdischer Menschen weltweit zu schwächen. Auch die Manipulation der westlichen Welt sei Teil der Strategie. „Was wir an den Universitäten sehen, ist geplant“, hob er hervor. Es handle sich nicht um Einzelfälle, sondern um gut koordinierte Netzwerke. Künftig müssten sich wieder die Menschen an Hochschulen sicher fühlen, die Haltung zeigen – nicht die Antisemiten.

„Es gibt einen Schulterschluss von Wissenschaftlern in Deutschland und Bayern mit absolut antisemitischen Einstellungen“, erklärte Prof. Dr. Susanne Schröter, Gründerin und Leiterin des „Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam“ an der Goethe-Universität Frankfurt. Gerade aus Kunst und Kultur käme ein offener Brief nach dem anderen, in denen Lehrende Israel das Existenzrecht absprächen und sich als BDS-Anhänger outeten. Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) ist eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will.

CSU: „Die Übergriffe gefährden die Wissenschaftsfreiheit“

Prof. Dr. Winfried Bausback (CSU) nannte in der anschließenden Fragerunde drei grundlegende Punkte für unsere freie Gesellschaft und die Hochschullandschaft: die Absage an Antisemitismus, den Schutz jüdischer Menschen und die Anerkennung des Existenzrechts Israels. „Wenn Veranstaltungen angegriffen werden und der freie Diskurs verhindert wird, gefährdet das die Wissenschaftsfreiheit“, klagte er. Bausback pochte darauf, das akademische Milieu genauer auf seine Anfälligkeit für Extremismus zu untersuchen.

Der Ausschussvorsitzende Prof. Dr. Michael Piazolo (FREIE WÄHLER) sprach von einer besorgniserregenden Entwicklung, wenn unter dem Deckmantel der Wissenschaftsfreiheit antisemitische Diskussionen geführt werden. „Es gehört zur deutschen und bayerischen Staatsräson, dass wir unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger bestmöglich schützen.“ Piazolo sicherte für seine Fraktion zu, im Nachgang der Anhörung die Möglichkeit der Exmatrikulation bei antisemitischen Vorfällen zu prüfen.

Benjamin Nolte (AfD) verlangte, erstens genauer bei den Hochschulleitungen nachzuforschen, ob sie sich der Verantwortung bei der Antisemitismusbekämpfung bewusst sind und ob sie die Situation im Griff haben. Zweitens müsse auch das Lehrpersonal und die Lehrinhalte besser auf Antisemitismus überprüft werden.

Grüne: Konkrete Maßnahmen statt Worthülsen

Für Verena Osgyan (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ist zentral, dass jüdische Studierende keine Angst mehr haben dürfen. „Möglicherweise werden jetzt Dinge nach außen getragen, die schon lange verankert waren.“ Unabhängig davon dürfe Antisemitismus keinen Platz an Bayerns Hochschulen haben. „Dieses Zeichen wollten wir mit der von uns beantragten Anhörung setzen!“ Dazu brauche es aber konkrete Maßnahmen und nicht nur Worthülsen.

Katja Weitzel (SPD) hofft, durch die Anhörung das von den Fachleuten kritisierte „laute Schweigen der Mehrheit“ aufbrechen zu können. Sie forderte, Antisemitismus in WhatsApp-Gruppen zu sanktionieren, die Antisemitismusbeauftragten besser auszustatten und in Bayern eine verfasste Studierendenschaft einzuführen, damit die Protestbewegungen besser kanalisiert werden können.

/ David Lohmann

 

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