Verleihung des Bürgerpreises des Bayerischen Landtags im Maximilianeum

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Von Zoran Gojic



Wie wichtig, aktuell und notwendig demokratisches Engagement ist, das wurde gleich zu Beginn der Verleihung des Bürgerpreises klar: Im Senatssaal des Bayerischen Landtags informierte Moderator Udo Wachtveitl das Publikum darüber, dass einer der Polizisten, die am Vortag von einem sogenannten „Reichsbürger" angeschossen worden waren, in den Morgenstunden seinen Verletzungen erlegen ist. „Reichsbürger" lehnen den Staat, die Demokratie und die Zivilgesellschaft ab. Es sei also auch in Zukunft entscheidend, dass sich Menschen für Toleranz, Demokratie und Meinungsfreiheit einsetzen

all die Werte also, die eine freiheitliche Gesellschaft ausmachen, sagte Wachtveitl.  

„Wir zeichnen heute Menschen aus, die nicht nur reden, sondern sich für die Demokratie einsetzen. Und das brauchen wir.“ Mit diesen zwei Sätzen brachte Münchens Alt-Oberbürgermeister Dr. Hans-Jochen Vogel prägnant Sinn und Zweck des Bürgerpreises auf den Punkt. Im Senatssaal des Maximilianeums wurde ehrenamtliches Engagement in Bayern ausgezeichnet. Anlässlich des 70. Jahrestages der Bayerischen Verfassung lautete das Motto: „70 Jahre in guter Verfassung. Wir leben und gestalten Demokratie!“. Welche Bedeutung die Verfassung hat, gerade in unserer Zeit, das stellte Ehrengast Hans-Jochen Vogel im Gespräch mit Udo Wachtveitl klar: „Vieles von dem, was zu Recht am deutschen Grundgesetz geschätzt wird, stand vorher schon in der Verfassung Bayerns. Vorweg der Satz 'Die Würde des Menschen ist unantastbar'. Ebenso übrigens das Recht auf politisches Asyl“, erklärte Vogel.


„Jeder ist für Demokratie mitverantwortlich“



Wie aktuell die Verfassung des Freistaats ist, vermittelte Vogel mit dem Zitat des zweiten Absatzes des Artikel 161: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ Über diesen Satz könnte sich die Politik gerade heute durchaus einmal Gedanken machen, sagte der 90-jährige Alt-OB, der beim Gespräch über die Grundwerte einer Gesellschaft mitreißende Leidenschaft entwickelte

ganz gegen sein öffentliches Image als kontrollierter Aktenleser. Auch die immer beliebtere Schelte der Parteien erregte Vogel sichtbar. Wenn man sich ansehe, wie sich Deutschland seit 1945 entwickelt habe, liege das auch am Beitrag der demokratischen Parteien. „1945 haben wir uns nicht vorstellen können, wie weit wir es bringen könnten.“ Als Zeitzeuge des schwärzesten Kapitels in der deutschen Geschichte mahnte Vogel die jüngsten Erfolge von Rechtspopulisten als Warnung und Herausforderung ernst zu nehmen: „Nie wieder. Nicht noch einmal. Wir haben gelernt: Jeder Einzelne ist für die Demokratie mitverantwortlich.“

„Wir können Demokratie!“

Viele der Preisträger schlossen sich dem Appell von Vogel an. Es gebe Angriffe auf Menschen, die sich für Frieden und Toleranz engagieren, die von Beschimpfungen bis zu persönlichen Drohungen reichen würden. Auch die Verrohung der Sprache im öffentlichen Raum wurde mehrfach beklagt. „Rechtspopulismus bereitet Rechtsextremismus den Weg“, sagte Jürgen Schödel, der Vorsitzende der Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus. „Binden Sie die Zivilgesellschaft in den Kampf gegen Feinde der Demokratie ein“, forderte Schoedel von der Politik. Dem schloss sich Stephan Doll, Vorsitzender der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, an. Es sei gut und richtig, dass die Staatsregierung an einem Handlungskonzept gegen Rechtsextremismus weiter arbeite, aber es sei notwendig, zivilgesellschaftliche Initiativen dabei strukturell und finanziell zu fördern. „Wir können Demokratie. Und wir können dabei helfen, Angriffe gegen die Demokratie abzuwehren", betonte Doll. Udo Wachtveitl ging mit gutem Beispiel voran und stiftete spontan sein Moderationshonorar für die Allianz gegen Rechtsextremismus.

Seit dem Jahr 2000 zeichnet der Bayerische Landtag mit seinem Bürgerpreis jährlich vorbildliches bürgerschaftliches Engagement in Bayern aus. Unter dem Vorsitz von Landtagspräsidentin Barbara Stamm hat die Jury aus 72 Bewerbungen die Preisträger für den ersten, zwei zweite sowie zwei dritte Preise ausgewählt und einen Sonderpreis vergeben. Auf die Preisträger verteilen sich insgesamt 50.000 Euro. Das Preisgeld wurde im Vergleich zum Vorjahr um 20.000 Euro aufgestockt.

Landtagspräsidentin Barbara Stamm sieht in dem diesjährigen Motto die Chance zur Besinnung auf die wesentlichen Werte unserer Gesellschaft, die in Bayerns Verfassung festgeschrieben sind: „Frieden, Freiheit und Demokratie erscheinen uns heute beinahe selbstverständlich. Aber die Werte der Verfassung müssen auch gelebt werden, und dafür setzen sich zahlreiche Gruppierungen und Bündnisse in Bayern ehrenamtlich ein. Das ist auch bei den vielen hervorragenden Bewerbungen zum diesjährigen Bürgerpreis sichtbar geworden.“

Stimmen der Jury zum Bürgerpreis 2016

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Die Preisträger sind:

1. Preis: Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, Nürnberg/ Mittelfranken (15 000 Euro)
Die Allianz gegen Rechtsextremismus ist eine bundesweit einzigartige Netzwerkorganisation. Sie vereint zivilgesellschaftliche Organisationen und Gebietskörperschaften in der Arbeit gegen Rechtsextremismus und für die im Grundgesetz verankerten gesellschaftlichen Werte. Insgesamt sind 315 Organisationen Mitglied in der Allianz. Die Tätigkeit erstreckt sich auf das gesamte Gebiet der Metropolregion, sowohl auf den urbanen als auch auf den ländlichen Raum. Ziele sind die Stärkung des Widerstands gegen rechtsextremistische Aktivitäten, die Förderung der Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, der Erfahrungsaustausch und die Organisation von regionalen und überregionalen Aktionen gegen Rechtsextremismus. Beispielhafte Aktionen sind etwa: Aktionen bei rechtspopulistischen/-extremen Aufmärschen, Bildungsprojekte/-veranstaltungen für Multiplikatoren sowie Langzeitprojekte, z.B. eine „Gastro-Initiative“, bei der Gastronomen und Brauereien über rechtsextreme Gruppen informiert und über rechtliche Möglichkeiten zur Verhinderung von entsprechenden Veranstaltungen aufgeklärt werden.

2. Preis: Schul- und Jugendarbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., München/ Oberbayern (10 000 Euro)
Der Verein betreibt seit langem eine völkerverständigende und friedenspädagogische Jugendarbeit, in dem er Jugendliche aus der ganzen Welt zusammenbringt und aktiv Erinnerungskultur betreibt. Die Jugendlichen kommen in so genannten internationalen „Camps“ zusammen, die der Landesverband Bayern organisiert und setzten sich dort unter anderem mit den Themen Krieg und Gewaltherrschaft auseinander. Um die Erinnerung an die Kriegstoten lebendig zu halten, beschäftigen sich die Jugendlichen in den Camps auch intensiv mit Materialien (Fotos, Briefe etc.) über die Toten. Eine weitere Aktion des Jugendarbeitskreises Bayern ist die gemeinsame Arbeit auf Kriegsgräberstätten, wo die Jugendlichen unter anderem Grabsteine beschriften.

2. Preis: Völkerverständigung Deutschland / Frankreich; Musical „Mademoiselle Marie“ des Vereins Cadolzburger Burgfestspiele, Cadolzburg/ Mittelfranken (10 000 Euro)
Bereits 2015 brachte der Verein Cadolzburger Burgfestspiele unter großem ehrenamtlichen Einsatz das Musical-Stück „Mademoiselle Marie“ zur Aufführung, das das deutsch-französische Verhältnis thematisiert. Mit insgesamt 24 Vorstellungen wurden rund 14.000 Besucherinnen und Besucher erreicht. Im Rahmen des deutsch-französischen Friedensfestes in Oradour-sur-Glane – einem Ort, an dem die SS im Zweiten Weltkrieg ein schreckliches Verbrechen verübte – soll das Musical erneut und bei freiem Eintritt in Frankreich zur Aufführung gebracht werden.

3. Preis: Radio LORA, München/ Oberbayern (5 000 Euro)
Radio Lora ist ein unabhängiges, demokratisches und nichtkommerzielles Bürgerradio aus München. An den Sendungen arbeiten 250 Ehrenamtliche und über 40 Vereine und Initiativen. Das Radio bietet den verschiedensten gesellschaftlichen Organisationen eine Plattform und hat eigens zwei Redaktionen für Menschen mit Behinderung und drei Redaktionen für vielfältige sexuelle Orientierungen. Darüber hinaus ermöglicht der Radiosender eine Ausbildung für Jugendliche und Erwachsene und arbeitet mit Migrantinnen und Migranten zusammen.

3. Preis: Radio Z / R.A.D.I.O. e.V., Nürnberg/ Mittelfranken (5 000 Euro)
Wie Radio LORA ist auch Radio Z aus Nürnberg ein nichtkommerzielles und unabhängiges Radioformat, das sich alleine dem gesellschaftlichen Mehrwert verschrieben hat. Durch die ehrenamtliche Mitarbeit wird bürgerschaftliches Engagement gefördert und trägt zu demokratischer Teilhabe und Medienvielfalt bei. Bei Radio Z bekommen Minderheiten eine Stimme, zum Beispiel mit dem Projekt „Radio Ohrenblicke“, bei dem Blinde und Sehbehinderte Radiosendungen gestalten oder bei „Refugees Welcome“, bei dem Flüchtlingen eine medienpädagogische Fortbildung angeboten wird.

Sonderpreis: Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus „Wunsiedel ist bunt“, Wunsiedel/ Oberfranken (5 000 Euro)
Die Bürgerinitiative bringt die verschiedenen Akteure gegen Rechtsextremismus zusammen, vernetzt sie und stärkt dadurch ihr Engagement. So findet über die Initiative ein Austausch zu aktuellen Tendenzen und Entwicklungen der rechten Szene in der Region Wunsiedel statt. Wunsiedel ist seit der Errichtung der Grabstätte von Rudolf Heß im Jahr 1987 ein Ort für Aufmärsche Rechtsextremer, auch wenn die Grabstätte zwischenzeitig aufgelöst wurde. Die Bürgerinitiative gegen Rechtsextremismus organisiert außerdem Aktionen wie den Spendenlauf „rechts-gegen-rechts“ oder die jährlich stattfindende Protestaktion gegen die rechte Szene.


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