Ilse Aigner bei der "Langen Nacht der Demokratie"

Podiumsdiskussion mit der Landtagspräsidentin und dem Münchner Oberbürgermeister

Freitag, 02. Oktober 2020

Als Schirmherrin für die bayernweite „Lange Nacht der Demokratie“ stellte sich Landtagspräsidentin Ilse Aigner während einer Podiumsdiskussion gemeinsam mit Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter den drängendsten Fragen der Zeit. Wie agieren rechte Parteien in den Parlamenten und wie erhalten die etablierten Parteien ihren demokratischen Konsens? Welche Mittel helfen gegen die Provokationen der Rechten? Und wie verstärkt Corona die antidemokratischen Symptome? Die zwei Politiker befanden: Das wichtigste Instrument ist Ehrlichkeit.

Eine finanzielle Gefahr für die Demokratie ist die Corona-Pandemie noch nicht im Übermaß, stellten Ilse Aigner und Dieter Reiter gleich zu Beginn der Veranstaltung im „Freiraum“ im Werksviertel Mitte fest, auch wenn Moderator Alex Rühle, Feuilleton-Redakteur der Süddeutschen Zeitung, Zahlen nannte. Eine Milliarde Euro Gewerbesteuerverlust soll München zum Beispiel erlitten haben. Die wirtschaftlichen Ausfälle seien zumindest 2020 noch durch Ausgleichszahlungen des Bundes abgemildert worden, erklärten die Diskutanten. Zudem habe man für die Zukunft geplante Investitionen, etwa in IT-Technologien, vorgezogen, erklärte Aigner. Die Zukunft der bayerischen Export-Wirtschaft, sollte die Pandemie noch lange andauern, stehe freilich stark in Frage, stellte die Präsidentin fest.

Als weitaus gefährlicher diagnostizierten Aigner und Reiter die aktuelle Unzufriedenheit der Bürger aufgrund der Corona-Pandemie und die daraus resultierende scheinbare Anschlussfähigkeit von rechten Gruppierungen an die Gesellschaft. „Es gibt viele Menschen, die Angst haben und die nicht einverstanden sind mit den Entscheidungen von ‚denen da oben‘“, erklärte die Landtagspräsidentin. „Dennoch muss man sich überlegen, mit wem man zusammen auf die Straße geht. Die Reichskriegsflaggen sind bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen schließlich deutlich zu sehen!“ Die Vernetzungsmöglichkeiten der Sozialen Medien täten in den letzten Jahren zudem ein Übriges, um all jene, die Verlustängste hätten, als Ansprechpartner für rechte Gruppen verfügbar zu machen. Auch Dieter Reiter konstatierte: „Die Rechten spielen alle gegeneinander aus, jetzt eben Corona-Maßnahmen-Gegner gegen das Gesetz. Die Politik muss ihre Handlungen umso schlüssiger darlegen. Wenn über Widersprüche diskutiert wird, und zum Beispiel das Robert-Koch-Institut und das Landesgesundheitsamt unterschiedliche Zahlen zur Infektionslage nennen, ist das nicht hilfreich.“

Unabhängig von Corona berichteten die Politiker – leider ohne Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau, die ihre geplante Teilnahme an der Diskussion absagen musste – auch aus der Arbeit ihrer Parlamente. In diesen müssen sie immer wieder auf die AfD reagieren. „Das Muster bei uns im Landtag ist durchgängig Provokation und Abgrenzung gegenüber den ‚Altparteien‘, wie die AfD die anderen Fraktionen nennt“, berichtete Aigner. „Einmal musste zum Beispiel unser Vizepräsident Alexander Hold einschreiten, als ein AfD-Mitglied aus Protest gegen die Maskenpflicht mit einer Gasmaske auftauchte. Es ist eine ständige Zwickmühle für die Parteien und auch für die Presse: Wie viel Aufmerksamkeit gibt man diesen Provokationen von rechts? Dabei verschwimmen manchmal die eigenen, pointierten Positionen der übrigen Parteien.“

Allerdings seien die AfD-Fraktionen im Stadtrat einerseits recht klein („Wir lassen sie nicht wirklich zu Wort kommen“, beschrieb Reiter), andererseits im Landtag Medienberichten zufolge zerstritten. Die Fraktionsführung habe nur noch acht von 22 Mitgliedern hinter sich, zwei seien schon ausgetreten, zitierte Aigner entsprechende Meldungen.

Ein gutes Mittel gegen die Gefahr von rechts sei der demokratische Konsens der Anderen, konstatierten die Politiker. Dieser Konsens über Menschenrechte und das Grundgesetz, die beide „nicht verhandelbar sind“, so Reiter, sei glücklicherweise grundsätzlich immer vorhanden und stehe auch nie in Frage. Die Grenzen dessen, was die Demokratie aushalten muss, loten Ilse Aigner und die Landtagsabgeordneten indes neuerdings mit einem einfachen Hilfsmittel aus: dem Videobeweis. Anhand von Filmaufnahmen wird bei strittigen Redebeiträgen im Nachhinein noch einmal in Ruhe analysiert und erörtert, wer was gesagt hat und ob das Anliegen vielleicht doch berechtigt war. „Wobei natürlich gilt, dass verbale Angriffe, Rassismus, Beleidigungen und alles, was sich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt, inakzeptabel ist“, bekräftigte Aigner.

Unverzichtbar für die Glaubwürdigkeit der etablierten Parteien, und somit das beste Mittel zum Erhalt der Demokratie, sei hingegen Ehrlichkeit und die Fähigkeit, Irrtümer zuzugeben, befanden die Diskussionsteilnehmer. „Neue Erkenntnisse verwenden, Entscheidungen revidieren – das muss die Politik! Man muss dazulernen können und das auch zeigen“, sagte die Landtagspräsidentin. „Wenn Politiker öfter Fehler zugeben würden, wie jüngst zum Beispiel Jens Spahn, würde das Politik verständlicher machen“, führte auch Dieter Reiter an. Der Presse, deren Glaubwürdigkeit gerade ebenso diskutiert wird wie die der Politik, gab Aigner den Rat, sich auf Fakten zu konzentrieren und Meinungsartikel stärker abzugrenzen.

Auch Themen wie die Wohnungsnot in München und die geplante Studie über Rechtsextremismus in der Polizei stellte Moderator Rühle, der Aigner und Reiter übrigens locker duzte, zur Debatte. So gelang – trotz Corona-Maßnahmen im Zuschauerraum und mit anschließenden in Folie verpackten „Abstandshäppchen“ beim Stehempfang – ein umfassendes Gespräch über alle Aspekte der Gefahren für die Demokratie. Die politische Sommerpause ist damit definitiv vorbei.

Isabel Winklbauer

 

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