Kein alter Hut: Vertriebenenpolitik

"Und wenn es nur der böhmische Kloß ist, der Fußspuren in der Familiengeschichte hinterläßt", sagte Frank Altrichter, Teilnehmer des ersten Jugendforum im Bayerischen Landtag. Drei Generationen tauschten sich dort über die eigene Familiengeschichte aus.

10. März 2020

Karl Freller, 1. Vizepräsident des Bayerischen Landtages (CSU), lobte anlässlich des Jugendforums der Geschäftsstelle der Beauftragten der für Aussiedler und Vertriebene im Bayerischen Landtag, das Engagement der jungen Menschen, sich mit ihrer eigenen Geschichte, aber auch mit der Kultur der angrenzenden Länder zu befassen. „Dazu gehört neben der Sprache natürlich auch, die Spezialitäten zu essen und auch die Tracht zu pflegen“, sagte er. „Vertriebenenpolitik – wen interessiert das überhaupt?“, fragte Sylvia Stiersdorfer, Beauftragte der Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, zu Beginn der Veranstaltung. Vor allem junge Leute reagierten oft genervt, wenn Oma und Opa von Flucht und Vertreibung erzählen. „Ich selbst habe sudetendeutsche Wurzeln: mein Papa war damals sieben Jahre alt, als er vertrieben wurde. Es ist wichtig, dass man sich damit beschäftigt, zum Beispiel alte Tänze weiterzugeben. Das ist kein alter Hut, sondern wird immer ein Teil unseres Lebens sein. Deshalb seid ihr als Brückenbauer gefordert, unser kulturelles Erbe zu stärken“, appelliert Stiersdorfer an die jungen Teilnehmer.

Eigene Familiengeschichte im Blick

Über die eigene Familiengeschichte und wie der Austausch zwischen der jungen Generation gelingt, darüber diskutierten die Teilnehmer des ersten Jugendforums im Bayerischen Landtag. „Ich bin als Franke in Coburg auf die Welt gekommen, aber dann habe ich entdeckt: da schlägt noch ein zweites Herz in mir“, sagte Frank Altrichter. Damit beschrieb er die Wurzeln seiner Familiengeschichte. Den fremden Dialekt der Großeltern registrierte er schon früh, doch was dahinter steckt, das wurde ihm erst viel später bewusst. „Das Fremdartige hat meine Neugier geweckt“, erinnerte er sich.

Matthias Melcher beispielsweise steht seit  einem freiwilligen sozialen Jahr in der Slowakei in engem Austausch mit Menschen aus Mittel- und Osteuropa. „Nur wegen des günstigen Bieres nach Prag zu fahren reicht nicht. Zum Beispiel geben Initiativen wie das Botschafter Bayern Programm die Chance, das andere Land und vor allem die Sprache kennenzulernen. Dabei ist es schade, dass den Osten vielen Menschen gar nicht auf dem Schirm haben. Auch ich habe in der zehnten Klasse erst einmal einen Schüleraustausch in die USA unternommen“, sagte er. Um Tschechien und Polen mehr in das Bewusstsein zu bringen, sei vor allem wichtig, die Sprache zu lernen. Da pflichtete ihm Altrichter bei: „An den Schulen gibt es noch viel zu wenige Angebote für Tschechisch oder Polnisch. Die Programme, die es für britische und französischsprachige Länder in Schulen gibt, sollte es auch für ostdeutsche Länder geben.“

Interesse für die Küche

Andreas Otto Weber, Geschichtsprofessor in Erlangen, beschrieb den erzwungenen Heimatverlust einiger Familien als Teil der DNA. „Sie, als Teilnehmer dieses Forums, haben sich entschieden Fragen zu stellen, wie beispielsweise die Geschichte auch mit aktuellen Ereignissen zusammenhängt. Nur wer weiß, woher man kommt, kann auch bestimmten, wohin man geht“, sagte er. Für Maria Pfundstein (1949 geboren) zählen zwei Dinge zu den wichtigsten Elementen der Erinnerungskultur: Zu wissen, aus welchem Dorf die eigenen Großeltern stammen und die Küche. „Ich habe dazu Familien besucht und Rezepte gesammelt. Über 250 Hefte mit Anleitungen zu Gulasch, Würsten und Kuchen sind schon an Familien verschenkt worden“, sagte sie stolz.

Treffen statt posten

Worüber sich die Teilnehmer des Forums einig sind: Nichts kann den persönlichen Kontakt über Ländergrenzen hinweg ersetzen, als sich regelmäßig zu treffen. Foren wie diese bieten die Gelegenheit dazu, Kontakte zu knüpfen, aus denen auch Freundschaften wachsen können. Vor allem helfen diese Netzwerke, Extremismus einzudämmen. Karl Freller, Vizepräsident des Bayerischen Landtages (CSU), lobte das Engagement der jungen Menschen, sich mit ihrer eigenen Geschichte, aber auch mit der Kultur der angrenzenden Länder zu befassen. „Die Pflege der angestammten Tracht, Musik und Tänze ist ebenso eine Bereicherung für Bayern wie die Speisenzubereitung nach traditionellen Rezepten“, sagte er.

Anja Schuchardt

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