Neues Brailleschrift-Kunstwerk eingeweiht

Installation mit Konvertierung ausgewählter Artikel der Bayerischen Verfassung in Blindenschrift

4. Oktober 2022

MÜNCHEN.       Landtagspräsidentin Ilse Aigner hat gemeinsam mit Mitgliedern des Präsidiums und in Anwesenheit des Künstlers in einer Feierstunde im Maximilianeum ein neues Brailleschrift-Kunstwerk der Öffentlichkeit übergeben. Die Installation „Der blinde Vorleser“ von Künstler Adi Hoesle ist nun dauerhaft im 1. Stock im Altbau des Maximilianeums angebracht. Auf der Installation ist die Konvertierung von ausgewählten Artikeln der Bayerischen Verfassung (Artikel 100, 102, 118, 118a, 119) in Blindenschrift zu sehen. Der künstlerische Direktor im Haus der Kunst in München, Dr. Andrea Lissoni, bot eine Einführung in das Werk.

In der Installation werden die Brailleschriftpunkte mittels kleiner Kunststoffgehirne dargestellt. Die verschiedenen Wahrnehmungsebenen der Brailleschrift-Installation eröffnen für Sehende und für Blinde die Möglichkeit, die Verfassung auf der Metaebene des Ästhetischen und der Schönheit rezipieren zu können. Das Werk soll Bindeglied zwischen Menschen mit und Menschen ohne Behinderung sein. Die Installation wurde im Rahmen eines Kunstwettbewerbs zum 75. Jahrestag der Bayerischen Verfassung geschaffen. Die Anregung zu ihrer Anschaffung durch den Landtag gab Vizepräsident Thomas Gehring (BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN).

Landtagspräsidentin Ilse Aigner betonte in ihrer Ansprache: „Die durch das Kunstwerk - buchstäblich mit Herz und Hirn - greifbar gemachten Grundrechtsartikel sind von zentraler Bedeutung. Sie sind für eine mit-menschliche Gesellschaft unerlässlich. Jede Demokratin und jeder Demokrat ist ihnen verpflichtet. Jede Parlamentarierin, jeder Parlamentarier erst recht. Dieses Hohe Haus – es atmet den Geist unserer Verfassung. Und doch schadet es nicht, diese zentralen Werte, Rechte und Pflichten groß und unübersehbar, für jedermann lesbar, an die Wand zu bringen. Als eine Erinnerung, die wir eigentlich nicht brauchen sollten und die doch, gerade in dieser Form, guttut. Weil wir es ja – leider – jeden Tag erleben, dass unsere Werte weder überall noch gar von jedem gelebt werden, dass Hass und Hetze für viele Alltag sind. Und dass Chancengleichheit, Barrierefreiheit und Inklusion sehr oft hehre Vorhaben sind, aber noch nicht ausreichend oft Realität. Daran erinnert dieses Kunstwerk – „der blinde Vorleser“. Er liest uns ins Gewissen.“

Dr. Andrea Lissoni, künstlerischer Direktor im Haus der Kunst, äußerte seine Freude darüber, im Landtag zu sein – und ausgerechnet Kunst der Grund dafür sei. Er zeigte sich in seiner Betrachtung des neuen Kunstwerks beeindruckt: „Es ist eigentlich das Schwerste für einen Künstler, ein Kunstwerk zu konzipieren, das bleibt! […] Die Installation bietet die Möglichkeit, sich Zeit zu nehmen, etwas langsamer zu laufen und eine Beziehung aufzubauen. Das ist es, was Kunst ist. Es ist nicht nur eine wichtige Arbeit, sondern eine Arbeit, die bescheiden auftritt, sich nicht aufdrängt, sondern auf der Ebene der Menschen ist.“

Der Künstler Adi Hoesle sagte: „Es erfüllt mich mit Stolz und es ist eine große Ehre für mich, als Künstler hier im Maximilianeum, im Bayerischen Landtag, im Maschinenraum unserer Demokratie ein Kunstwerk realisieren zu dürfen, das nun zum festen Bestandteil dieses Hauses gehört und in diesem so wichtigen Ort für eine Demokratie verankert ist. […] Die Dimension und Qualität einer Demokratie zeigt sich im Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern, mit den Ausgegrenzten, mit Menschen mit Behinderungen, mit Gleichberechtigung und Antirassismus, mit den Artikeln 100, 102, 118, 118a und 119 unserer Bayerischen Verfassung. Um dieser Notwendigkeit Nachdruck zu verleihen, habe ich gleichsam einen Rollentausch vorgenommen, denn die Sehenden werden hier blind für das Lesen des Inhalts und die Blinden werden zu sehenden Expertinnen und Experten im Verständnis des Werkes.“

Der Künstler Adalbert Hoesle wurde 1959 geboren. Er absolvierte sein Studium der Malerei von 1988-89 an der Akademie der Bildenden Künste München (bei Prof. Reipka) und im Anschluss daran bis 1993 an der Freien Kunstakademie Nürtingen (bei Friedrich Wessbecher / ABR Stuttgart). 1998 gründete er die Arbeitsgemeinschaft Retrograde Strategien.

Bei Retrograden Strategien sind die Prozesse und Strukturen der Kunstproduktion und der Kunstrezeption Gegenstand des Forschens. Die Produktionsdynamik wird mit Hilfe von rück-bildenden (retrograden) Maßnahmen differenziert.

Adalbert Hoesle lebt und arbeitet in Babenhausen bei Memmingen und ist in zahlreichen nationalen und internationalen Privat- und Museumssammlungen vertreten.

/ PR

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