Fünf Jahre Volksbegehren Artenvielfalt – "Rettet die Bienen!"

Zwischenbilanz und Ausblick

15. Juli 2024

MÜNCHEN.     Mehr als 1,7 Millionen Menschen haben vor fünf Jahren das Volksbegehren Artenvielfalt – "Rettet die Bienen!" unterstützt. Nun diskutierten auf Einladung des Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags, Ludwig Hartmann (BÜNDNIS 90 /DIE GRÜNEN), Fachleute und Mitglieder der Staatsregierung über Erfolge und Misserfolge.

Es war das erfolgreichste Volksbegehren in der Geschichte Bayerns. Ziel war, die Artenvielfalt in Fauna und Flora zu erhalten sowie die Lebensräume zu verbessern. Den Vorschlag der Initiatoren, ÖDP, GRÜNE und Umweltschutzverbände, das Bayerische Naturschutzgesetz zu ändern, nahm der Landtag 2019 an, ohne dass es zu einem Volksentscheid kam. Zuvor waren alle relevanten Akteure, wie Naturschützer, Land- und Forstwirte, Kommunen, staatliche Behörden, betroffene Verbände und Vereine unter der Leitung des kürzlich verstobenen ehemaligen Landtagspräsidenten Alois Glück am "Runden Tisch" zusammengekommen, um kontrovers, aber konstruktiv an einer Lösung zu arbeiten. Seit dem 1. August 2019 gelten die Regelungen des Volksbegehrens und des Begleitgesetzes.

Was hat sich seitdem getan?

Die Forderung, den Artenschwund zu stoppen und die Artenvielfalt zu erhalten, sei von der Politik gehört worden, sagte Vizepräsident Ludwig Hartmann in seiner Begrüßung im Senatssaal des Maximilianeums. Unter dem Motto „Annehmen – Verbessern – Versöhnen“ sei Artenschutz zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt geworden. Er mahnte aber auch, die Augen vor der weiter zurückgehenden Zahl der Arten nicht zu verschließen.

"Der Artenschutz ist ein regionales, ein lokales Thema", so Hartmann. "Wir in Bayern sind verantwortlich für die Tiere und Pflanzen, die hier bei uns ihren Lebensraum haben, die hier heimisch sind – und heimisch bleiben sollen. Für diese Tiere tragen wir die Verantwortung – niemand sonst!" Dass den Menschen das klar sei, habe das Volksbegehren "Rettet die Bienen!" vor fünf Jahren belegt. Für Hartmann eine Sternstunde der Demokratie.

Tempo reduziert, Trend aber nicht gestoppt

Der Vizepräsident des Bayerischen Landtags nutzte die Zwischenbilanz zum Volksbegehren, um ganz allgemein für die direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu werben. "Die Besonderheit in unserer Bayerischen Verfassung, die dem Volk die Möglichkeit eröffnet, unmittelbar gesetzgebend tätig zu werden, hat ihre Berechtigung."

Hartmann rief dazu auf, beim Artenschutz nicht nachzulassen. Die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Tier- und Pflanzenarten seien in den vergangenen Jahren länger geworden. "In Bayern konnten wir zwar das Tempo reduzieren, aber den Trend konnten wir noch nicht stoppen."

32 Indikatoren in Studie überprüfen Fortgang

In seinem Impulsvortrag zog Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV) Bilanz. Was ist aus dem Volksbegehren geworden, fragte Schäffer und fasste eine Studie des Agrarbiologen Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen zusammen, die der Professor im Auftrag des LBV erstellt hatte. Anhand von 32 Indikatoren hatte Lenz untersucht, ob es gelungen ist, die Ziele des Volksbegehrens zu erreichen. Das Fazit der Lenz-Studie erläuterte Schäffer so: Neun Indikatoren sind demzufolge im grünen Bereich, sechs im gelben, was bedeutet, Ziele teilweise erreicht, sechs aber auch im roten, also Ziele verfehlt. Obgleich weitere fünf Indikatoren die Ziele erreichten, stehe eine Qualitätsprüfung noch aus. Für die Auswertung der restlichen Indikatoren fehlten noch Daten.

Schäffer griff einzelne Beispiele der Studie heraus. So war bei der Ausweisung von Naturwäldern die Zielvorgabe bis 2023 ein Anteil von zehn Prozent. Nach Einschätzung der Staatsregierung wurde das Ziel erreicht, obwohl laut Lenz-Studie die Regierung auch Latschensträucher zu den Naturwäldern gerechnet hat. Beim Streuobstpakt mit dem Ziel, Streuobstbäume zu erhalten und zusätzlich eine Million Bäume zu pflanzen, sei man auf einem guten Weg, ebenso wie beim Grünland. Um eine ökologische Verbesserung zu erreichen, sollen zehn Prozent dieser Fläche erst nach dem 15. Juni gemäht werden. Ebenfalls komme man gut voran bei den Gewässerrandstreifen, ein mindestens fünf Meter breiter Streifen entlang der Gewässer, der nicht acker- oder gartenbaulich genutzt werden darf. Dafür musste zunächst aufwändig kartiert werden, was in den meisten Landkreisen nun abgeschlossen sei.

Wichtiger als alles andere: Ausbau des Biotopverbunds

Anders sieht es beim Ökolandbau aus. Hier sei der Zuwachs zu gering, um das Ziel 30 Prozent bis 2030 zu erreichen. Wichtiger als alle anderen Maßnahmen zusammen ist, nach den Worten von Schäffer, der Aufbau eines Biotopverbunds. Bis 2030 sollen auf 15 Prozent des Offenlandes im Freistaat ein Biotopverbund etabliert werden. Aktuell erreicht seien rund zehn Prozent.

Die angestrebte Halbierung der Pestizide bis 2028 sei machbar. Allerdings müsse nicht nur auf die Reduktion der Pestizidmenge geschaut werden, sondern auch deren Wirksamkeit bzw. Giftigkeit. Mehr Mut machte Schäffer vor allem Kommunen bei der Schaffung von Blühstreifen auf öffentlichen Flächen wie Wegen und Straßenrändern. Darüber hinaus könne jeder und jede auf Privatgrund zu mehr Artenreichtum beitragen. 
In einem bildhaften Vergleich mit einer Bergtour auf den Watzmann sagte Schäffer: "Bei der Bergtour, auf die wir uns vor fünf Jahren gemacht haben, sind wir jetzt am Watzmannhaus angekommen. Das hat viel Kraft gekostet, wir können stolz sein, aber das wäre nicht passiert ohne das Begehren. Das wirklich schwierige Stück bis zum Gipfel, das liegt noch vor uns."

Volksbegehren als Start eines Gesellschaftsvertrags

In der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Eva Lell, Leiterin der Redaktion Landwirtschaft und Umwelt beim Bayerischen Rundfunk, sprachen die Teilnehmer über Erfolge und Misserfolge.

Für Thorsten Glauber (FREIE WÄHLER), Staatsminister für Umwelt und Verbraucherschutz, hat das Volksbegehren eine gesellschaftliche Diskussion eingeleitet, die notwendig war. "Der Auftrag ist jetzt, beieinander zu bleiben. Jeder, der das Volksbegehren unterschrieben hat, hat einen Staatsvertrag für die kommenden Generationen geschlossen: Wir als Gesellschaft geben Geld für die, die diese besondere Kulturlandschaft in Bayern bewirtschaften. Dieser Langzeitvertrag muss gelebt und gestaltet werden."

Aus wissenschaftlicher Sicht lobte Professor Roman Lenz von der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen die geplante Halbierung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln. Lenz mahnte aber zugleich: "Ich glaube, man unterschätzt immer noch die Giftigkeit für die gesamte Biodiversität. Pestizide sind schlimmer als viele Leute denken."

Nicht sparen beim Naturschutz

Angesprochen auf die Finanzierung der Regelungen versicherte Michaela Kaniber (CSU), Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus: "Ich glaube, jeder ist sich bewusst, dass es jetzt wirklich um unsere Lebensgrundlagen geht. Wir können ehrlicherweise nicht sparen, weder beim Klimaschutz noch beim Naturschutz." Hier hakte die Beauftragte des Volksbegehrens und ÖDP-Landesvorsitzende, Agnes Becker, ein. "Es geht beim Erhalt der Lebensgrundlagen Luft, Wasser, Bodenfruchtbarkeit, Klimaschutz etc. nicht nur mit Freiwilligkeit", so Becker. "In vielen Punkten ist Freiwilligkeit Fahrlässigkeit. Wir haben bei den Steuern gesetzliche Regelungen, warum sollen wir gerade beim Schutz der Lebensgrundlagen nicht auch das Ordnungsrecht nehmen."

Für Vizepräsident Hartmann ist das Fazit der Zwischenbilanz klar: "Das Thema hat nicht an Wichtigkeit verloren."

/ Miriam Zerbel

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