„Starke Jugend! Starke Demokratie!“: Austausch zwischen Praxisakteuren aus Bildung, Jugendarbeit und Politik

Wie kann die Demokratie in Bayern gestärkt werden?

MÜNCHEN.  Normalerweise wird Politik im Bayerischen Landtag im Plenarsaal gemacht. Doch bei der Veranstaltung „Starke Jugend! Starke Demokratie!“ diskutierten auf Einladung on Landtagsvizepräsident Tobias Reiß junge Menschen, Lehrkräfte und Fachleute aus der Jugendarbeit mit politischen Entscheidungsträgern im Senatssaal über Demokratiebildung. Ziel war es, bewährte Konzepte weiterzudenken, gemeinsam neue Wege zu erarbeiten und insgesamt die Demokratie in Bayern zu stärken.

„Wir wollen Menschen aus der Praxis zusammenbringen, die etwas zu sagen haben und Profis in ihrem Bereich sind“, erklärte der Initiator der Veranstaltung und Landtags‑Vizepräsident, Tobias Reiß (CSU), zu Beginn. Der Landtag als „Herz der Demokratie“ sei der perfekte Ort, um ihnen zuzuhören und auf Augenhöhe mit ihnen zu diskutieren. „Je stärker wir uns mit der Jugend beschäftigen, desto stärker wird in Zukunft unsere Demokratie“, zeigte er sich überzeugt. Nicht ohne Grund seien im Landtag pro Jahr auch rund 12 000 Schülerinnen und Schüler zu Gast.

Um noch mehr Jugendliche zu erreichen, gingen die Abgeordneten aber auch regelmäßig an Schulen, ergänzte Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU). Das sei aktuell wichtiger denn je: „Wir merken, dass in Deutschland etwas ins Wanken gerät.“ Institutionen würden zunehmend infrage gestellt und gerade junge Menschen informierten sich vor allem über soziale Medien. „Dort ist jeder ein Sender – mit mehr oder weniger richtigen Nachrichten.“ Das würde bewusst eingesetzt, um den Glauben an die Demokratie zu unterminieren.

Leider mit Erfolg. Das zeigten die Ergebnisse der Shell‑Jugendstudie, wie der Professor für politische Bildung an der Katholischen Universität (KU) Eichstätt‑Ingolstadt, Rico Behrens, in seinem Impulsreferat „Demokratiebildung geht uns alle an!“ erklärte. 57 Prozent der jungen Menschen zweifeln laut der Auswertung an der Kompetenz des Staates, 44 Prozent wünschten sich eine ordnende „starke Hand“ und 18 Prozent glaubten, dass Konflikte nur mit Gewalt gelöst werden könnten. „Die Ergebnisse zeigen eine klar autoritäre Einstellung“, resümierte er.

Viele junge Menschen haben die Sehnsucht nach einer „starken Hand“

Als Ursachen dafür nennt Behrens vier Gründe: Die sich vergrößernde Kluft zwischen Arm und Reich: „Das ist ein günstiges Milieu für antidemokratische Einstellungen.“ Die politische Kommunikation: „Wie in der Politik gesprochen wird, ist für junge Menschen ein Vorbild.“ Drittens der Wunsch nach Abgrenzung und viertens negative Erfahrungen in Erziehung und Schule. „Nach oben beugt man sich und nach unten tritt man“, fasst es der Politikwissenschaftler zusammen.

„Wir müssen uns daher mächtig ins Zeug legen“, betont Behrens. Er empfiehlt insbesondere, jungen Menschen das politische System in Deutschland verständlicher zu erklären sowie sie über ihre Rechte und Teilhabemöglichkeiten aufzuklären. „Das ist im hierarchisch ausgerichteten Schulsystem nicht immer einfach“, erklärte der Politikwissenschaftler. Dafür brauche es Räume, in denen Jugendliche die Demokratie in der Praxis erlernen könnten. Beispielhaft nennt er Schüler‑ und Jugendparlamente, Kunst‑ und Sportvereine sowie kirchliche Einrichtungen.

Mit diesen Worten im Hinterkopf begann die Arbeit an den insgesamt acht Tischen. Jeder der rund XX Teilnehmerinnen und Teilnehmern konnte sich zu Beginn sein Schwerpunktthema aussuchen. Zur Auswahl standen die Auswirkungen auf die Demokratie durch die Verfassungsviertelstunde, die Leistungskultur, Bildungschancen, Berufsorientierung, Wertebildung, zivilgesellschaftliches Engagement, soziale Medien beziehungsweise künstliche Intelligenz und natürlich die Bildung im Schulalltag.

Die Verfassungsviertelstunde sollte ausgeweitet werden

Am Tisch von Kultusministerin Stolz wurde gleich zu Beginn lebhaft, aber sachlich über die Verfassungsviertelstunde debattiert. Viele wünschten sich, dass die 15‑minütige Diskussion zu Schulbeginn ausgedehnt wird. „Immer wenn sich auch die ruhigeren Schüler trauen, sich zu melden, muss ich aus Zeitgründen abbrechen“, sagte eine Lehrerin. Einig waren sich alle, dass die Schulkinder richtig aufleben, wenn sie ihre Meinung sagen dürfen. „Das kommt im Schulalltag sonst viel zu kurz“, hieß es.

Am Tisch von Ute Eillig‑Hütting (CSU) ging es um Medienscouts und Tutoren. Ein Teilnehmer forderte, die Lehrerausbildung zu verbessern. Viele Lehrkräfte seien sonst mit der Technik und den sozialen Medien beim Einstieg ins Berufsleben überfordert. Ein anderer sprach sich dafür aus, die Rolle einfach umzudrehen und die Kinder zur Lehrkraft zu machen: „Alles, was ich gelernt habe, haben mir die Kids beigebracht“, sagte er. Sie seien nun mal fitter in diesem Bereich.

Dr. Christof Prechtl, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft, engagierte sich lebhaft in der Diskussion an seinem Tisch. Ein Teilnehmer kritisierte: „Viele Auszubildende fühlen sich nicht wertgeschätzt.“ Prechtl betonte, dass der Job unabhängig von der Bezahlung nicht nur Beruf, sondern auch Berufung sei. Besonders wichtig war ihm die Sprachförderung für Nachwuchskräfte: „Wenn das nicht funktioniert, funktioniert auch keine Berufsorientierung und dadurch keine Partizipationsmöglichkeiten.“

 

Mehr Zeit, um talentierte Schulkinder zu fördern

An einem anderen Tisch sprach Gerd Schönfelder, der erfolgreichste Athlet in der Geschichte der Winter-Paralympics, über Leistungsdruck. „Wenn ich eine Top-Leistung erbringe, gibt mir das eine unwahrscheinliche Bestätigung, für die ich auch gerne leide.“ Ein Lehrer bestätigte das für seine Schülerinnen und Schüler. „Aber ich habe auch welche, von denen ich weiß, dass sie es erst in ein paar Wochen schaffen“, sagte er. Nur habe er diese Zeit im Lehrplan nicht. „Da muss sich die Schule wie etwa an Universitäten mehr öffnen“, forderte er. „Dann klappt das.“

Dr. Petra Hiebl, Leiterin des Zentrums für Lehrerinnen- und Lehrerbildung an der KU Eichstätt‑Ingolstadt, wünschte sich als Ergebnis ihrer Diskussionsrunde zum Thema Bildungsarbeit, dass die gemeinsame Schulzeit über die vierte Klasse hinaus verlängert wird. „Dadurch bleibt mehr Zeit für Aushandlungsprozesse und um seine Stärken zu finden.“ Für Thomas Unger, Abteilungsdirektor für den Bereich Schulen der Regierung der Oberpfalz, war beim Thema Demokratiebildung eine „echte Feedbackkultur“ wichtig. „Denn zur Demokratie gehört auch, dass man nicht immer zufrieden ist.“ Deshalb sei es wichtig zu erläutern, warum die Mehrheit so denkt. 

Die verbleibenden zwei Gruppen kamen zu dem Ergebnis, dass die Schulen mehr Freiräume bräuchten. Dazu gehörten einerseits mehr Stunden, Personal und Lehrkräfte, sagte der Rektor der Mittelschule Erlangen‑Eichendorffschule, Helmut Klemm. Zum anderen aber auch mehr Flexibilisierung, damit Schulen bei Bedarf vom Lehrplan abweichen dürfen. „Jede Schule hat unterschiedliche Bedarfe“, erklärte Behrens. 

Die Ergebnisse sollen verschriftlicht werden

„Danke, dass Sie mitunter den Finger in die Wunde gelegt haben“, sagte Vizepräsident Reiß, der auch Mitglied des Bildungsausschusses ist, zum Abschluss. Besonders hängengeblieben sei ihm der Aspekt, dass sich Abgeordnete in der Öffentlichkeit oft genau anders verhalten, als es heute gefordert wurde. „Das muss unsere neue Benchmark sein.“ Er versprach, die vielen Ideen aufzunehmen – wenn das Finanzministerium nicht einen Strich durch die Rechnung mache. „Aber“, betonte er: „Nur ein Rad, das quietscht, wird auch geölt.“ Die Ergebnisse sollen in einem kleinen Heft festgehalten werden.

/ David Lohmann

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