80 Jahre Wiedergründung der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie 40 Jahre Präsidentschaft von Charlotte Knobloch am 15. Juli 2025 im Jüdischen Zentrum am St.-Jakobs-Platz in München
Es gilt das gesprochene Wort.
Anrede
Ich gratuliere herzlich der Gemeinde zu diesem Jubiläum – und herzlichen Glückwunsch auch Ihnen,
sehr geehrte Frau Präsidentin Knobloch!
Wir feiern heute das unglaublichste Geschenk an unser Land!
Am 15. Juli 1945 gründeten
Dr. Julius Spanier,
Fritz Neuland und
rund 100 weitere Überlebende der Shoa
die jüdische Gemeinde in München wieder.
Ein Zeugnis übermenschlicher jüdischer Resilienz.
- Nachdem ihnen in Deutschland alles geraubt wurde;
- nachdem Deutsche sie verraten haben, verfolgt und schließlich fast vollständig vernichtet;
- ihre Liebsten gequält und ermordet –
nach alldem war die Wiedergründung ein kaum nachvollziehbarer Akt.
Ein Vertrauensvorschuss in eine Republik,
eine Gesellschaft – die es noch nicht gab.
Ja, für viele war die Gemeinde nur notwendige Struktur,
um schnellstmöglich ihre Ausreise abzuwickeln.
Aber einige waren ihrem Land, ihrer Muttersprache
– trotz allem – fest verbunden.
Sie wollten das Band nicht abschneiden.
Menschen wie Fritz Neuland
wollten sich nicht nehmen lassen,
dass dies dereinst ihre Heimat war –
und wieder werden könnte.
Um es klar zu sagen:
Ich kenne keinen stärkeren Patriotismus!
Sehr verehrte Frau Dr. Knobloch,
beim Festakt vor zehn Jahren haben Sie
an die damalige Stimmung der Überlebenden
- wie Ihrem Vater erinnert –
Sie spüren sie bis heute.
- Sechs Millionen Menschen ermordet.
- Allein rund 5.000 Kinder, Frauen und Männer aus München.
- Jedes winzige Glück
der jüdischen Gemeinde entrissen.
Und doch – trotz allem – nicht die Hoffnung.
Meine Damen und Herren,
1989 rief der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama das „Ende der Geschichte“ aus –
die umfassende Durchsetzung von Liberalismus und Demokratie.
An keinem anderen Ort wünschte ich mir mehr,
dass er recht gehabt hätte.
Hat er nicht.
Leider
- Die Demokratie ist weltweit unter Druck – auch bei uns.
- Liberale Gesellschaften werden geflutet
mit Hass und Hetze. - Debatten werden von Stimmungsmache und Empörung dominiert.
- Polarisierung und Spaltung sind Geschäftsmodell –
für milliardenschwere Internet-Konzerne
wie für radikale politische Kräfte.
Sie haben es sich zum Ziel gemacht,
die Nachkriegs-Ordnung, die historischen Lehren,
das freiheitlich-demokratische Wertesystem
zu untergraben und zu zerstören.
Und wie fast immer in der Geschichte
spüren die jüdischen Menschen den Druck,
die anti-humanistische Gefahr,
als erste – und besonders hart.
„Mia san auch mia.“ – sagten Sie, liebe Frau Dr. Knobloch, an diesem Tag vor zehn Jahren.
Und als Repräsentantin der Abgeordneten im Bayerischen Landtag sage ich: Ja!
Jüdisches Leben ist seit über 1.000 Jahren
wertvoller Bestandteil unserer Heimat.
Der „fünfte bayerische Stamm“
– so hat es Edmund Stoiber als Ministerpräsident einst etabliert.
Auch nach 1945 wuchsen den jüdischen Gemeinden hier wieder neue, feste Wurzeln.
Diese Synagoge ist seit bald 20 Jahren das Symbol für jüdisches Bleiben, Ankommen und Sein nach der Shoa.
Ich könnte jetzt – zu Recht –
das blühende jüdische Leben in unserem Land beschwören
und die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte aufzählen.
Zweifelsohne haben wir viel erreicht!
Aber ich fürchte, das trifft nicht den Nerv der Zeit.
Bei seiner Eröffnung dachten wir,
dieses Jüdische Zentrum könne bald ein
frei zugänglicher Raum unbeschwerter Begegnung sein.
Aber er ist es nicht.
Denn zur Wahrheit gehört auch:
Kein bayerischer Stamm wurde und wird so bedroht
wie unsere jüdischen Bürgerinnen und Bürger.
Seit einiger Zeit brauchen sie sogar wieder mehr Schutz.
- Keine jüdische Veranstaltung ohne Sicherheitskonzept.
- Gläubige gehen an der Polizei vorbei in den Gottesdienst
- und genauso die Kinder
in Kita, Kindergarten und Schule.
Jüdische Menschen müssen ihre Identität verstecken –
in Deutschland, im Jahr 2025.
Und das ist unerträglich!
Es türmen sich immer höhere Wellen des Judenhasses auf
- von rechts,
- von links,
- aus der muslimischen Community
- und auch da,
wo man ganz wachsam und achtsam sein will,
etwa in Kunst und Kultur, sind viele eher bereit,
die Narrative von Terroristen zu teilen
als die Perspektive der jüdischen Gemeinden.
„Mia san auch mia“, Ihre Worte, liebe Frau Knobloch.
Und ich will Ihnen zurufen: ja, unbedingt!
Aber, ich weiß – schmerzlich – dass viele jüdische Menschen das nicht mehr spüren.
Und das ist mehr als ein Gefühl.
Es ist belegt.
- In der Kriminalstatistik,
- in den Zahlen antisemitischer Vorfälle
- und in erschütternden Umfragen zu Erinnerungskultur sowie zu Anfälligkeit für Judenhass.
Es ist objektiv festgehalten:
ein Armutszeugnis!
Aber wir geben nicht auf.
Die Hoffnung und das Vertrauen
- von Fritz Neuland und Julius Spanier,
- von den Überlebenden und Ihren Nachkommen,
- von den jüdischen Menschen,
die seit 80 Jahren hier wieder ihre Heimat haben,
die hier „mia“ san –
diese Hoffnung und das Vertrauen sind uns:
Verpflichtung.
Judenhass in jeder Form muss in unserem Land
geächtet und bekämpft werden.
Denn das ist der Kampf um Freiheit und Demokratie.
Wo jüdische Menschen nicht angstfrei,
nicht sicher und geborgen leben können –
da kann niemand gut leben!
Meine Damen und Herren,
wenn es darum geht, nie aufzugeben,
haben wir ein unvergleichliches Vorbild –
unsere jüdische Bavaria,
ohne die wir heute nicht hier wären:
Charlotte Knobloch.
Verehrte, liebe Frau Präsidentin,
Seit 40 Jahren stehen Sie Ihrer Gemeinde vor.
Und auch unserem Land haben Sie Richtung gegeben.
Sie sind eine Lichtgestalt
– die Grande Dame
des bayerischen, deutschen, europäischen Judentums.
Sie haben das jüdische Leben hier wieder aufgebaut,
- das Gemeindezentrum,
- die Synagoge
- und die Brücke vom Nebeneinander zum Miteinander.
Ja, Sie sind eine Mahnerin.
Aber zu oft wird übersehen, dass Sie
vor allem eine Mut-Macherin sind
- mit Ihrer Liebe zu den Menschen – trotz allem.
- mit Ihrem Vertrauen – in uns.
- mit Ihrer Zuversicht.
Den Patriotismus Ihres Vaters haben Sie verinnerlicht.
Sie wollen unser Land beschützen,
vor den Feinden unserer Verfassung –
angesichts des Trümmerfeldes,
zu dem eine Staats- und Gesellschaftsordnung
ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung
vor der Würde des Menschen geführt hat.
Sie sind Vorbild, eine Leitfigur.
Begegnen den Menschen
mit einer unvergleichlich offenen Art.
Sie können Menschen nehmen, wie sie sind.
Wer kann das noch?
Wenn Sie einen Raum betreten,
entsteht eine Atmosphäre, in der Unmögliches möglich wird.
In der Amt, Rang und Namen keine Rolle spielen,
sondern sich Menschen begegnen, auf Augenhöhe,
und sich konzentrieren –
auf den Kern menschlichen Miteinanders.
Sehr verehrte Frau Präsidentin,
Sie bleiben sich treu.
Auch bei Gegenwind.
Und, liebe Frau Knobloch,
Sie bleiben unserem Land treu.
- Obwohl das nie einfach war,
- zuerst eigentlich unmöglich
- und heute immer wieder schwer.
Sie kämpfen weiter.
Nicht für sich.
Sondern für uns.
Und es tut mir im Herzen weh,
dass Sie immer noch kämpfen müssen.
Aber ich verspreche Ihnen eines:
Sie werden nie wieder allein kämpfen!
Herzlichen Dank!