Festakt anlässlich 80 Jahre Kriegsende und Befreiung am 08.05.2025 im Kongress am Park in Augsburg

Mit einem bewegenden Festakt haben die Friedensstadt Augsburg und der Bayerische Landtag gemeinsam an den 8. Mai 1945 erinnert – als Tag, der das Ende von Diktatur und Faschismus markierte und den Weg zu einer demokratischen Grundordnung sowie zu einer europäischen Wertegemeinschaft ebnete. 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Anrede

 

An diesem 8. Mai möchte ich an keinem anderen Ort sein – als hier in Augsburg. 

In der Stadt, die so viele Feiertage hat wie keine andere in Deutschland. 

 

Weil Sie hier den Frieden feiern – 
nicht seit 80 Jahren, sondern seit 375 Jahren. 

Sie stehen hier in Augsburg für 

  • die Überwindung von Unterdrückung,
  • für Versöhnung und Befriedung,
  • für Freiheitlichkeit und
  • für die positive, progressive und prosperierende Entwicklung, die aus Frieden und Freiheit entsteht.

Ich bin dankbar, heute hier zu sein!

 

Vor 80 Jahren ging es den Alliierten, 
die unser Land und den Kontinent von den Nationalsozialisten befreiten, 
nicht in erster Linie darum, Frieden zu schaffen. 

Das ist es, was heute viele, besonders mit Blick auf die Ukraine, übersehen. 

Der Pazifismus hätte die Nazis nicht besiegt. 

 

 

Vor 80 Jahren ging es um einen Überlebens-Kampf.

  • Es ging um die Zukunft der Welt.
  • Um die Zukunft, ja um
  • die weitere Existenz von Menschlichkeit. 

 

Der Krieg, den Nazideutschland 
vom Zaun brach und dem es selbst zum Opfer fiel, 
hat schreckliches Leid verursacht.

Leid, das in vielen Familien noch sehr präsent ist.

 

Und doch spüren wir heute vor allem Erleichterung, 

  • dass die Wehrmacht vor 80 Jahren bedingungslos kapitulierte
  • und dass die US-Soldaten 
    uns hier in Bayern befreit haben, 
    aus der Diktatur des Nationalsozialismus
    und dem freien Fall in den Abgrund.

 

Ja, natürlich sage ich heute: „befreit“.

Noch vor 40 Jahren herrschte darüber kein Konsens. 

Aber heute können und wollen wir diesen Tag uneingeschränkt als das begreifen, was er war:

Der 8. Mai 1945 war ein Tag der Befreiung! 

 

Meine Damen und Herren,

lieber Herr Generalkonsul Dr. Miller,

dank der US-Amerikaner haben wir in Bayern die Chance 
und die Verantwortung erhalten,

auf den Trümmern eines in jeder Hinsicht zerstörten 
und zerstörerischen Landes,

eingebunden in eine internationale Staaten- und Wertegemeinschaft,

eine freiheitliche Demokratie zu errichten.

Einen Sozial- und Rechtsstaat, 
in der die Würde des Menschen unantastbar ist.

  • Das ist uns gelungen.
  • Das dürfen wir feiern.
  • Und darauf dürfen wir heute auch stolz sein!

Zugleich mischen sich bittere Gefühle in den 80. Jahrestag sowie in die Gedenkveranstaltungen anlässlich der Befreiung der Konzentrationslager.

An vielen Tatorten in Bayern haben wir über die letzten Wochen der Opfer der ungeheuerlichen Gräuel gedacht. 

Aber wir spüren es: 

Das entschiedene „Nie wieder!“ – diese hehre Formel der Erinnerungskultur – dieser rote Faden, der sich über die Jahrzehnte durch unzählige Gedenkveranstaltungen zieht, ist mit der Zeit dünner geworden. 

Und jetzt, wenn wir ehrlich sind: 

Ist er gerissen. 

  • An der Grenze Europas herrscht Krieg. 
    Putin hat mit seinem Angriff 
    auf die freie, souveräne, in die EU strebende Ukraine die Friedensordnung und die Sicherheitsarchitektur 
    der Nachkriegszeit zerstört. 
  • Seine Invasion ist ein wahnhafter imperialistischer Gewaltakt – gegen die Ukraine 
    und ebenso: gegen Freiheit und Demokratie in Europa.

    Es ist eine klare Drohung gegen uns! 

  • Der globale Kampf der Systeme wird hybrid geführt – mit größter Intensität.
  • Alte Gewissheiten zerrinnen zwischen den Fingern.
  • Weltweit erstarken radikale, autokratische Kräfte.
  • Die alten Dämonen – 
    Nationalismus, Faschismus, Extremismus, Rassismus, Terrorismus – sie leben auf. 
    Sie entfachen ungeahnte neue Kraft.
  • Besonders schmerzhaft und schändlich ist der massive Anstieg von Antisemitismus – Judenhass 
    – auch und ausgerechnet in unserem Land. 

Das Versprechen „nie wieder!“ ist gebrochen! 

 

Meine Damen und Herren, 

  • mir wird schwer ums Herz, wenn ich sehe, 
    wie wenig weit die Abschreckung 
    des katastrophalen 20. Jahrhunderts getragen hat.
  • Wie pandemisch die Seuchen der Menschheit – Größenwahn, Grausamkeit, 
    Hass und Verachtung – 
    heute noch um sich greifen. 

 

Wie sehr hatten wir gehofft, 
dass die Geschichte, die Erinnerung, Impfstoff sein könnte.

Dass wir dadurch immunisiert wären, 
die Verfehlungen und Verbrechen der Vergangenheit 
zu wiederholen. 

Wir haben uns getäuscht! 

 

Und doch, gerade weil 
unsere Gegenwart Anleihen an die Geschichte nimmt, 
muss unsere Erinnerung stark sein. Ich bin mir sicher:

  • Die nicht von Beginn an vorhandene, 
    dann aber doch stetig gewachsene kollektive Einsicht,
  • die Bereitschaft zu Lernen,
  • unser historisches Bewusstsein, 

ist das Fundament unserer Demokratie! 

Die tragenden Pfeiler dieses Fundaments waren und sind insbesondere Überlebende des Holocaust. 

  • Begegnungen wie mit Abba Naor oder 
    Charlotte Knobloch sind nicht allein lehrreich.
  • Sie sind von unbegreiflicher menschlichen Tiefe, unvergesslich, unvergleichlich – unersetzlich.
  • Es sind die Zeitzeugen, 
    auch die Kriegsgeneration in der eigenen Familie, 
    die uns die Schrecken der Vergangenheit präsent gehalten haben. 

 

Und auch war es diese Generation, 
waren die großen Staatsmänner in der Politik, 
die in besonderer Weise in und für Deutschland Verantwortung übernommen hat: 

  • Franz Josef Strauß,
  • Helmut Kohl, auch ein
  • Helmut Schmidt.

Die uns jungen Politikerinnen und Politikern 
den Weg gewiesen haben 
– im vollen Bewusstsein 
der Schuld von gestern und 
der Verantwortung im Heute. 

 

Die Feinde der Erinnerung, 
die Feinde der Demokratie, 
sie wissen, dass mit dem unabwendbaren Versiegen 
dieser wertvollsten Quelle der Erinnerung 
vermeintlich ihre große Chance gekommen ist. 

 

So ist es kein Zufall, dass 
der Kampf um die Erinnerungskultur, 
die Deutungshoheit, 
die Einordnung der NS-Verbrechen 
so vehement und ungeniert betrieben wird: 

  • Stichwort „Schuld-Kult“,
  • Stichwort „Vogelschiss“.

 

Jetzt gilt es zu widerstehen, 
meine Damen und Herren.

Jetzt gilt es zu widersprechen,

  • wenn sich eine Mentalität des Vergessens und Verdrängens oder gar des Relativierens breitmacht;
  • wenn gar eine Mehrheit in Deutschland einen Schlussstrich ziehen will. 

 

Als eine Hüterin der Demokratie in Bayern 
will ich es hier in aller Deutlichkeit sagen: 

Für mich ist die Erinnerung an 

  • die Nazi-Diktatur,
  • die Shoa
  • und den Vernichtungskrieg in deutschem Namen 

der Kern vom Kern 

  • unserer freiheitlichen Grundwerte,
  • unseres demokratischen Selbstverständnisses
  • und unserer liberalen Gesellschaft. 

 

Ich bin sicher: 

Wenn die Kraft, sich zu erinnern, schwindet, 
schwindet die Kraft, unsere Demokratie zu verteidigen! 

 

Bei all den Gedenkveranstaltungen 
stelle ich mir immer wieder eine Frage: 

Wann war der Moment, als es zu spät war? 

 

Die Publizistin Marina Weisband sprach am 6. April zum Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald – ich zitiere: 

„Und wann beginnt es? 
Faschismus wird nicht erkannt, 
weil wir insgeheim damit rechnen, 
dass sich am Ende der Demokratie irgendwie die Filmmusik verändert. 
Der Himmel sich bedrohlich grau zuzieht. 
Dass Banner ausgerollt werden. 
Aber das passiert nicht. 
Wenn der Faschismus kommt, 
scheint noch immer die Sonne. 
Die Vögel singen. 
Sie gehen zur Arbeit. 
Alles ist normal. 
Nur Trans-Menschen verlieren ihre Rechte. 
Und Asylsuchende. 
Und Immigranten. 
Und Behinderte. 
Und Muslime. 
Und Juden. 
Und linke Journalisten. 
Und dann andere Journalisten. 
Und ich. 
Und Sie. 
Und niemandem ist mehr klar, 
wann es eigentlich zu spät wurde.“ 
– Zitat Ende.

 

 

Unser Grundgesetz hat in seinem ersten Artikel eigentlich unmissverständlich festgelegt, wann es beginnt: 

  • Es beginnt, wenn die Würde des einzelnen Menschen angetastet wird.
  • Es beginnt, wenn sich der Gedanke in ein Gemeinwesen einschleicht, dass es Menschen gibt, die mehr oder weniger Wert sind als andere.
  • Es beginnt, wenn sich Unversöhnlichkeit breitmacht, Hohn und Spott, Verachtung gegen Minderheiten, demokratische Institutionen, Verfassungsorgane.
  • Es beginnt, wenn man vergisst, wie es anfängt! 

 

Meine Damen und Herren,

wo also stehen wir in diesem Jahr der 80. Jahrestage, 
an diesem Europatag? 

  • Wir stehen auf einer Welt, die aus den Fugen ist.
    In der die Demokratien weniger und die Machtverhältnisse neu verteilt werden – 
    mit Chaos, Brutalität und völlig offenem Ausgang.
  • Wir stehen auf einem Kontinent, 
    auf den der Krieg zurückgekehrt ist – 
    da ein Tyrann sich aufschwang, 
    die Grenzen gewaltsam zu verschieben.
  • Wir stehen in einem Land, in dem eine Partei,
    • die der Verfassungsschutz jetzt als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einstuft,
    • die stärkste Opposition im Bundestag und
    • die stärkste Fraktion im Thüringer Landtag ist.
  • Ja, trotz des holprigen Starts 
    setze ich jetzt große Hoffnungen 
    in den politischen und gesellschaftlichen Wandel 
    mit der neuen Regierung. 
    Sie muss 
    – umso mehr nach diesem Dämpfer zu Beginn – 
    eine Demonstration der Konstruktivität und Stärke 
    der demokratischen Mitte sein.
  • Und ich bitte uns alle, 
    der allgemeinen Erregung und Empörung entgegenzuwirken
    und zum Erfolg unseres Landes beizutragen – 
    als eine zupackende, couragierte Zivilgesellschaft und durch die Befriedung der öffentlichen Debatten.
  • Also wo stehen wir? 
    Wir stehen auch hier, 
    in der Friedensstadt Augsburg.
  • Und wir haben hier gleich eine Frau stehen: 
    Düzen Tekkal 
    – die uns ein Vorbild sein sollte, 
    für Haltung und Idealismus, 
    klare Kante und das Bauen von Brücken. 
    Sie vereint das alles. 
    Eine geeignetere Festrednerin kann ich mir nicht vorstellen! 

 

Meine Damen und Herren,

80 Jahre nach 
dem Ende des Zweiten Weltkriegs auf unserem Kontinent und der Befreiung der Konzentrationslager, 
sind wir als Demokratinnen und Demokraten so herausgefordert wie lange nicht. 

 

Es ist ungewiss, auf welche Seite sich die Wage 
an diesem Punkt der Geschichte neigen wird.

Legen wir also all unser Gewicht in die Schale, 
um sie auf die Seite 

  • der Freiheit und
  • der Demokratie und
  • der Menschlichkeit zu bewegen!

Vielen Dank!

 

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