"Yes we care. Soziale Berufe konsequent stärken!"

Aktuelle Stunde auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

15. April 2021

MÜNCHEN.     In Zeiten von Corona ist der Druck auf die rund 200.0000 Pflegekräfte in Bayerns Kliniken, Altenheimen und ambulanten Pflegediensten erheblich gestiegen. Doch auch schon vor der Pandemie machten der zunehmende Fachkräftemangel und die oftmals schwierigen Arbeitsbedingungen den Beschäftigten in den sozialen Berufen zu schaffen. Dies war Thema bei der Aktuellen Stunde im Bayerischen Landtag zum Thema „Yes we care. Soziale Berufe konsequent stärken!“.

Zu Beginn der Debatte hob Andreas Krahl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) die besondere Bedeutung einer Beschäftigung im Gesundheitswesen hervor. So betonte Krahl, dass die dort Beschäftigten den Menschen in allen Lebensphasen – von der Geburt bis hin zum Sterbebett – Halt gäben. Damit bemesse sich auch die Lebensqualität in einer Gesellschaft an der Qualität der Pflege. Deshalb brauche die Pflege „echte Profis“. Jene Berufsgruppen, die „die Gesellschaft Tag für Tag am Laufen halten“, müssten endlich die nötige Aufmerksamkeit und konsequente Unterstützung erhalten, forderte Kahl. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels in der Pflege sei es besonders problematisch, dass aktuell 27 % aller Auszubildenden bereits vor ihrem Abschluss dem Pflegeberuf den Rücken kehren. Es gelte deshalb, Missständen in der Ausbildung konsequent entgegenzutreten. Dass beispielsweise Schülerinnen und Schüler in den Pflegeberufen bereits ab Tag eins als Vollkräfte im Dienstplan eingeplant seien, führe zu deren völligen Überforderung. Stattdessen brauche es in Bayern endlich eine zentrale Anleitung für die Praxis, für deren Umsetzung der Freistaat auch finanziell Verantwortung übernehmen müsse, betonte Krahl.

Thomas Huber (CSU) fokussierte sich in seinen Ausführungen auf die Kinder- und Jugendhilfe. Gerade die frühkindlichen Bildungsprozesse hätten sowohl für die persönliche Entwicklung als auch für den weiteren Bildungsweg der Kindern eine herausragende Bedeutung und müssten im Fokus aller politischen Bemühungen stehen. Es stehe außer Frage, dass die Attraktivität der sozialen Berufe eng mit dem Thema Vergütung verknüpft sei. Es sei deshalb erfreulich, dass die Tarifparteien momentan konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung diskutierten, so Huber.

Ulrich Singer (AfD) führte aus, dass sich die Beschäftigten in der Pflege und in den Sozialberufen seit Jahren in einer Arbeitssituation befänden, die „auf Dauer weder physisch noch psychisch zu bewältigen“ sei. Bereits im Jahre 2019 hätten Experten Alarm geschlagen und darauf hingewiesen, dass in Bayern etwa 5.000 Pflegekräfte fehlten. Gehandelt habe die Politik trotzdem nicht. Vielmehr habe sich der Fachkräftemangel im Sozialbereich nur noch weiter verschärft. Singer zufolge brauche es jetzt eine „echte Anerkennung durch eine angemessene Bezahlung“ sowie eine höhere gesellschaftliche Wertschätzung der sozialen Berufe und eine massive Entbürokratisierung. Darüber hinaus forderte Singer bessere Arbeitszeiten sowie planbare Fortbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. Zudem bedürfe der praktizierte Schichtbetrieb in den Pflegeberufen eines höheren Ausgleichs in Form von Geldleistungen und Freizeitausgleich. Schlussendlich gelte es, die Work-Life-Balance im Sozialbereich zu verbessern. Denn gerade bei den Pflegeberufen träten oft Depressionen und Burn-outs auf, die dazu führten, dass gut ausgebildete Menschen in ihrem Beruf ausfielen oder keine Freude mehr daran hätten, so Singer.

Tobias Gotthardt (FREIE WÄHLER) kritisierte, dass aktuell für viele Beschäftigte in der Pflege keine verlässlichen tarifvertraglichen Regelungen gelten würden, sondern lediglich der Branchenmindestlohn. Der bliebe aber „weit hinter dem zurück“, was die Menschen auch in Deutschland durch ihr solidarisches Klatschen auf den Balkonen unterstützt und eingefordert hätten, so Gotthardt. Entsprechend forderte Gotthardt eine angemessene Entlohnung von Pflegekräften und „zeitnah den neuen Versuch für einen allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag in der Pflege“. Wichtig sei zudem, dass die Pflege ihre Interessen in Zukunft koordiniert vertreten könne. Eine unabhängige Interessensvertretung könnte durch die Etablierung einer Pflegekammer mit verpflichtender Mitgliedschaft geschaffen werden, so Gotthardt. Damit entstünde ein Gremium, das ohne Fremdbestimmung auf Augenhöhe mit den Heilberufen für die Interessen der Pflegekräfte eintreten könne.

Doris Rauscher (SPD) hob in ihrem Debattenbeitrag die Rolle der Frauen in den sozialen und den pflegenden Berufen hervor: 75 % der Beschäftigten in den sozialen Berufen seien Frauen, in der Pflege seien es 80 %. In der frühkindlichen Bildung liege der Frauenanteil sogar bei fast 96 %. Die Frauen kämpften mit hoher Verantwortung und mit prekären und schwierigen Arbeitsbedingungen, so Rauscher: Sie leisteten „viele Überstunden und oft anstrengende Schichtarbeit“ und müssten hohe körperliche und psychische Arbeitsbelastungen ertragen. Außerdem mangle es an Weiterentwicklungsmöglichkeiten und einer fairen Bezahlung. Das alles habe auch Auswirkungen auf die Rente, weil wenig in die Altersvorsorge eingezahlt werde und weil „viele wegen der Belastung irgendwann auf Teilzeit reduzieren und dann noch weniger einzahlen“. Auch aus diesem Grunde sei Altersarmut vor allem auch ein Frauenthema, so Rauscher.

Julika Sandt (FDP) führte aus, dass „vieles, was unter das heutige Thema fällt, Aufgabe der Gewerkschaften“ sei. Jedoch müsse die Politik handeln, wenn zum Beispiel bei der Altenpflege die Besetzung einer freien Stelle im Durchschnitt 250 Tage dauere und fast drei Viertel aller offenen Stellen mehr als drei Monate unbesetzt blieben. Viele Pflegerinnen und Pfleger verließen ihren Beruf, woraufhin der Personalmangel noch größer werde und noch mehr Stress entstünde, was wiederum zur Folge habe, dass noch mehr Pflegende kündigten. Die Politik müsse nun dringend diesen Teufelskreis durchbrechen und den Pflegeberuf wieder attraktiv machen, so Sandt. Während die Gewerkschaften dafür sorgen müssten, dass hohe Löhne vereinbart werden, müsse die Politik dafür sorgen, dass diese Löhne bei den Trägern refinanziert würden.

Raimund Swoboda (fraktionslos) erklärte, dass eine richtige Wertschätzung der sozialen Berufe ihren Wert in guten Tarifverträgen manifestieren müsse. Die BfA-Statistik weise bei vollzeitbeschäftigten Fachkräften derzeit Nettogehälter von circa 2.000 bis 3.000 Euro aus. Die Folge sei, dass „Billigkräfte aus Osteuropa“ nach Deutschland kämen. Dagegen „helfe nur eine Einkommensvitaminspritze materieller Art, die den Pflegeberufe wirklich gerecht werde“, so Swoboda.

CSU-Staatsministerin Carolina Trautner (Familie, Arbeit und Soziales) stellte zum Ende der aktuellen Stunde die gesellschaftspolitische Bedeutung der Pflege heraus: Der Staat könne und müsse natürlich Impulse setzen und die Weichen stellen. Allein der Staat werde das Problem aber nicht lösen, so Trautner. Auch die Gesellschaft müsse ihre Werte hinterfragen: „Was ist wichtiger, der Wert eines Unternehmens oder der Wert von Geborgenheit und Nähe? Haben wir das letztere alle jeden Tag auch für uns persönlich als Priorität Nummer eins auf dem Schirm oder wird es für uns erst von Bedeutung, wenn wir persönlich betroffen sind, weil wir jemanden im Krankenhaus liegen haben, der Pflege braucht, weil wir ein eigenes Kind in der Kita haben, das eine hervorragende Betreuung und eine hervorragende frühkindliche Bildung braucht? Steht das jeden Tag wirklich an der Spitze unserer eigenen Überlegungen? – Ich glaube es nicht. Ich glaube, da ist Luft nach oben vorhanden, und zwar bei uns allen“, so Trautner.

/ Eva Mühlebach

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