Flüchtlingspolitik: Ministerpräsident Horst Seehofer sucht Gespräch mit Oppositionsfraktionen

Dienstag, 20. Oktober 2015
Von Jürgen Umlauft

Angesichts der sich weiter zuspitzenden Flüchtlingskrise hat Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Vorsitzenden der im Landtag vertretenen Parteien zu einem Gespräch in die Staatskanzlei eingeladen. Während einer Plenardebatte zur Einführung der an der Grenze zu Österreich geplanten Transitzonen zur Registrierung und Weiterleitung bzw. Rückführung von Flüchtlingen ergriff Seehofer überraschend das Wort und sprach sich für einen möglichst breiten Konsens bei der Bewältigung des Zustroms von Asyl- und Schutzsuchenden aus. Wichtig seien vor allem Maßnahmen zu dessen Begrenzung, um die beschlossenen Maßnahmen zur Integration bleibeberechtigter Flüchtlinge nicht zu gefährden. Diese Frage müsse der zentrale Punkt des Gesprächs sein. Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) begrüßte den Vorstoß Seehofers als „ehrliches Gesprächsangebot". Die Fraktionschefs von CSU, SPD, FREIE WÄHLER und Bündnis90/Die Grünen kündigten ihre Teilnahme an dem für kommenden Freitag geplanten Treffen an.

Siehe auch Regierungserklärung des Ministerpräsidenten zur Flüchtlingspolitik

vom 15. Oktober  (unten).



Seehofer unterbreitete sein Angebot unter dem Eindruck der schärfer werdenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Flüchtlingszustrom. Es sei daher wünschenswert, wenn alle demokratischen Kräfte zu einer gemeinsamen Lösung beitragen könnten. „Wir müssen jetzt auch über die Knackpunkte reden“, sagte er. Im Mittelpunkt müssten „wirksame und rechtsstaatliche Lösungen“ zur Steuerung und Begrenzung des Flüchtlingszustroms stehen. Seehofer nannte dazu sieben Punkte: Die Rückführung ausreisepflichtiger Personen, die gerechte Verteilung ankommender Flüchtlinge auf Deutschland und die EU, die Bekämpfung von Fluchtursachen, die Sicherung der EU-Außengrenzen, die Wiederherstellung des europäischen Asylrechts und ein geordnetes Verfahren zur Registrierung und Behandlung in Bayern ankommender Flüchtlinge.

Der Regierungschef betonte, dass das Gesprächsangebot nicht aus einer „Handlungsunfähigkeit der Regierung“ resultiere. Mit ihrer absoluten Mehrheit könne die CSU im Landtag die nötigen Entscheidungen auch allein treffen. Er handle vielmehr „aus Verantwortung für unser Land“. „Die Gefahr, dass sich unsere Gesellschaft spaltet, wird mit jedem Tag größer“, warnte Seehofer. Mit den Fraktionschefs will der Ministerpräsident zunächst ein Sondierungsgespräch über mögliche gemeinsame Schritte führen. Nach einer Rückkoppelung mit den jeweiligen Parteigremien soll es eine zweite Runde geben. „Dann müssen wir klar sein, ob wir springen oder nicht“, kündigte Seehofer einen raschen, aber auch ergebnisoffenen Prozess an.

SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher begrüßte Seehofers sachlichen Redebeitrag. Er habe sich damit von seinen Drohkulissen und Alleingängen in den vergangenen Wochen gelöst und ermögliche eine „sachliche Debatte mit kühlem Kopf“. Er sehe die angespannte Situation in Bayern, kein anderes Land trage mehr Lasten bei der Bewältigung des Flüchtlingszustroms. Zur Lösung der Probleme gebe es durchaus in einzelnen Punkten Einvernehmen, weshalb „insgesamt ein Stück mehr Gemeinsamkeit“ möglich sein sollte. Auch sein Ziel sei es, den Flüchtlingsstrom „zu ordnen, zu verlangsamen und perspektivisch zu verringern“, sagte Rinderspacher.

Margarete Bause (Bündnis 90/Die Grünen) fühlte sich durch das Angebot Seehofers an ihren Vorschlag für ein „Bündnis für Menschlichkeit“ erinnert. Sie habe immer kritisiert, dass die Opposition nicht schon zu früheren Asylgipfeln eingeladen worden sei. Nun freue sie sich, wenn „ernsthaft und an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientiert“ nach gemeinsamen Lösungen gesucht werden könne. Für die FREIEN WÄHLER erklärte Fraktionschef Hubert Aiwanger, es sei ein ganzes Bündel an Maßnahmen zur Begrenzung des Flüchtlingszustroms erforderlich. Vor allem müssten im Land wieder „rechtmäßige Zustände“ bei Aufnahme und Registrierung der Asyl- und Schutzsuchenden hergestellt werden. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer forderte vor allem SPD und Grüne auf, konstruktiv an Lösungen zur Zuzugsbegrenzung mitzuwirken. Er werde nicht akzeptieren, wenn nur miteinander geredet werde, es aber letztlich zu keinen Entscheidungen komme. Dies wäre der drängenden Problematik nicht angemessen.

Regierungserklärung: Staatsregierung will Flüchtlingsandrang begrenzen

Donnerstag, 15. Oktober 2015
Von Jürgen Umlauft

In einer Regierungserklärung zur Flüchtlingspolitik hat Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) seine Forderung nach einer Begrenzung der Zuwanderung nach Bayern erneuert: „Wir müssen dafür alle Maßnahmen ergreifen, die rechtsstaatlich machbar und schnell umsetzbar sind.“ Ohne eine Begrenzung würden alle Integrationsbemühungen scheitern. Zudem drohe die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Zuwanderer verloren zu gehen und man werde „unabsehbare Sicherheitsprobleme“ bekommen. Man müsse daher der Weltöffentlichkeit deutlich machen, „dass auch für ein reiches Land wie Deutschland Grenzen der Zuwanderung bestehen und wir nicht alles bei uns aufnehmen können, was zu uns kommt", sagte Seehofer. Er appellierte damit indirekt an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ihre liberale Haltung in der Flüchtlingsfrage aufzugeben.

Der Ministerpräsident folgerte seine Forderung aus zahlreichen Gesprächen mit Vertretern der Kommunen, Verbände und Hilfsorganisationen, deren Kräfte und Kapazitäten angesichts des ungebremsten Flüchtlingsstroms zur Neige gingen. Seit dem 1. September seien fast 300.000 Menschen über die Grenze nach Bayern gekommen, berichtete Seehofer. Sollte die Entwicklung so weitergehen, brauche man bis Jahresende eine Verdoppelung der Aufnahmekapazitäten. Eine Beschlagnahmung privaten Wohnraums zur Unterbringung von Flüchtlingen lehnte Seehofer ab. Wegen der gewaltigen Herausforderung forderte Seehofer, der Flüchtlingspolitik „wieder Ordnung und Inhalt“ zu geben. Weder in Deutschland noch in der EU würden derzeit die entsprechenden Gesetze und Regelungen eingehalten.

Als erster Schritt dahin müssten die Dubliner EU-Beschlüsse zur Aufnahme von Flüchtlingen in der Europäischen Union wieder eingehalten werden. In diesen ist geregelt, dass Flüchtlinge dort Asyl beantragen müssen, wo sie auf EU-Hoheitsgebiet träfen. Für die Registrierung von Flüchtlingen, die bereits in der EU unterwegs seien, müssten an den bayerischen Grenzen zu Österreich Transitzonen eingerichtet werden, aus denen nicht bleibeberechtigte Personen rasch zurückgeschickt werden könnten. Seehofer betonte aber auch die Notwendigkeit der Integration von in Bayern bleibeberechtigten Flüchtlingen. Er verwies dazu auf das „Integrationspaket“, das der Ministerrat am vergangenen Freitag beschlossen habe. Zusammen mit diesem würden insgesamt 5500 neue Stellen für Schulen, Polizei, Justiz und Verwaltung geschaffen sowie der Bau von Sozialwohnungen verstärkt. Der Freistaat werde im kommenden Jahr 3,25 Milliarden Euro für die Bewältigung des Flüchtlingsstroms ausgeben, ohne dafür seine Haushaltsziele zu verfehlen, erklärte Seehofer. Es werde auch keine Leistungseinschränkungen für die einheimische Bevölkerung geben.

SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher begrüßte das Integrationspaket, ansonsten aber kritisierte er Seehofers Ausführungen scharf. Der Regierungschef habe nur „Tatkraft simuliert und Scheinlösungen präsentiert“. Die Rede sei eine „Demonstration der Hilf- und Machtlosigkeit“ gewesen. So habe Seehofer mit keinem Wort erläutert, wie die Transitzonen an den Grenzen funktionieren sollen. Nach gegenwärtigem Stand würden dort nach zehn Tagen bereits bis zu 40.000 Menschen einsitzen. Das löse die Probleme in den Grenzregionen nicht, sondern verschärfe sie, warnte Rinderspacher. Nötig seien europäische Lösungen, um die Zuwanderung „perspektivisch verringern“ zu können, und konkrete bayerische Maßnahmen etwa zur besseren Unterstützung der ehrenamtlichen Helfer und der Kommunen oder die Amtshilfe Bayerns zur Beschleunigung von Asylverfahren.

Auf die Verantwortung der Bundesregierung zur Lösung der Flüchtlingskrise verwies der Fraktionsvorsitzende der FREIEN WÄHLER, Hubert Aiwanger. Auf diese müsse Seehofer den Druck erhöhen. „Sie sollten dieser Dame zeigen, wo der Hammer hängt“, sagte Aiwanger und forderte Seehofer auf, notfalls auch die Beteiligung der CSU in der Bundesregierung aufzukündigen. „Wenn Sie Ehekrach haben, dann lassen Sie sich scheiden.“ Neben zuzugsbegrenzenden Maßnahmen verlangte auch Aiwanger eine bessere Unterstützung von Helfern und Kommunen bei der Aufnahme und Betreuung von Flüchtlingen.

Margarete Bause (Bündnis90/Die Grünen) kritisierte die Abschottungspolitik Seehofers. Mit Zäunen und Mauern könne das Flüchtlingsproblem nicht gelöst werden. Vielmehr müssten zur Bewältigung der Krise die konstruktiven Kräfte der Gesellschaft mobilisiert werden. „Humanität und Nächstenliebe sind die Grundpfeiler unserer Leitkultur“, sagte Bause. Beides kenne keine Obergrenze.

CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer hielt der Opposition vor, keine Vorschläge zur Begrenzung der Zuwanderung unterbreitet zu haben. Der andauernde Ruf nach verstärkten Bemühungen zur Integration werde allein schon wegen der wachsenden Zahl an Zuwanderern verhallen. Sollte es in Bayern demnächst zu Auseinandersetzungen wegen der hohen Zahl an Flüchtlingen kommen, hätten das diejenigen zu verantworten, die sich heute gegen wirksame Maßnahmen der Begrenzung stellten, erklärte Kreuzer. Die CSU bezeichnete er als den „Taktgeber in der Flüchtlingspolitik“. Früher oder später würden wegen Handlungsdrucks alle ihre Forderungen umgesetzt werden, prophezeite er. Regierungschef Horst Seehofer attestierte Kreuzer einen „grandiosen Job in dieser Frage“.

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