Interpellation zur Versorgungslage psychisch kranker Menschen in Bayern

Dienstag, 8. April 2014
– Von Jan Dermietzel –

Um 70 Prozent ist die Zahl der Menschen mit psychischen Störungen zwischen 1993 und 2010 gestiegen. Wie gut sind psychisch Kranke in Bayern versorgt? Um diese Frage zu beantworten, hatte die SPD-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode zur sogenannten Interpellation gegriffen, einer großen öffentlichen Anfrage an die Staatsregierung über besonders wichtige Angelegenheiten. Die Antwort des bayerischen Gesundheitsministeriums, 467 Seiten stark, liegt seit Ende 2013 vor. Jetzt hat das Plenum des Bayerischen Landtags darüber beraten.

Ein „wunderbares Nachschlagewerk“, das die Versorgungslage umfangreich abbilde und „mit größtmöglicher Sorgfalt“ beantworte, wo in Bayern Handlungsbedarf besteht und wo nicht – das ist der Staatsregierungs-Bericht aus Sicht von Bernhard Seidenath (CSU).

Ganz anders fiel Kathrin Sonnenholzners Bewertung aus. „Viel geschrieben und wenig gesagt“ habe die Staatsregierung, so die SPD-Abgeordnete und Gesundheitsausschussvorsitzende, das Ergebnis sei „dürftig, ernüchternd, beschämend“. Sonnenholzner kritisierte vor allem den „mangelnden Gestaltungsanspruch“, der aus dem Bericht spreche, und fehlende Prognosen zum künftigen Versorgungsbedarf. Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) entgegnete, der Bericht sei keine Regierungserklärung, sondern eine Faktensammlung, aus der zumindest ein Fazit eindeutig hervorgehe: „Noch nie waren psychisch kranke Menschen in Bayern so gut versorgt wie heute.“

Das bestritt Dr. Karl Vetter (FREIE WÄHLER) nicht. Er zählte indes auf, wo Bayern besser werden müsse: Zu lange müssten Patienten in Bayern auf einen Psychotherapie-Platz warten, teils bis zu sieben Wochen. Das Land sei hier gegenüber den Städten zudem stark im Nachteil – und das in einer Zeit, in der psychische Krankheiten durch Stress in Beruf und Schule zunähmen. Die Hälfte der Bundesbürger leide einmal im Leben an einer psychischen Erkrankung, die Ärzte verordneten immer mehr Psychopharmaka. Vetter warnte davor, Menschen, die eine besondere psychische Herausforderung durchmachten, zu schnell als psychisch krank zu bezeichnen. Hausärzte müssten besser fortgebildet werden, gerade über geistige Erkrankungen im Alter. Um psychisch Kranke besser zu schützen, brauche Bayern im übrigen ein eigenes Gesetz.

Ulrich Leiner (Bündnis 90/Die Grünen) beklagte, die Staatsregierung offenbare „in vielen Bereichen Handlungsbedarf“. Er forderte namens seiner Fraktion ebenfalls ein Gesetz zum Schutz psychisch Kranker und kritisierte, die CSU konzentriere sich in Fragen der Unterbringung von Betroffenen zu sehr auf die öffentliche Sicherheit zu Lasten therapeutischer Maßnahmen. Leiners Fraktionskollegin Kerstin Celina kritisierte, die Staatsregierung habe sich bei vielen Fragen vor einer konkreten Antwort gedrückt: „36 mal lautet Ihre Antwort ,keine Erkenntnisse‘, 54 mal verweisen Sie auf andere Antworten.“ Wer sich aber keine Mühe mache, Antworten zu finden, könne auch keine Strategie entwickeln, um den Herausforderungen der Zukunft zu begegnen.

Eine solche Herausforderung nannte Bernhard Seidenath. Unter den Jugendlichen unter 15 Jahren habe das Komasaufen drastisch zugenommen, also die Zahl der Fälle, in denen ein Jugendlicher wegen Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden muss – von 379 Einlieferungen im Jahr 2000 zu 816 im Jahr 2010. Mittlerweile seien in dieser Altersgruppe mehr Mädchen unter den Komasäufern als Buben. „Hier müssen wir stärker als bisher ansetzen“, so der CSU-Abgeordnete.

Kathrin Sonnenholzner bemerkte, die Staatsregierung müsse allgemein mehr Augenmerk auf Suchtkrankheiten legen und kündigte dazu einen neuen Berichtsantrag der SPD-Fraktion an.  

Die Interpellation der SPD-Fraktion habe die Staatsregierung mit mehr als 1000 Einzelfragen konfrontiert, schloss Staatsministerin Huml. Wenn die Opposition nicht mit jeder Antwort zufrieden sei, diskutiere sie den Bericht gerne intensiver im Gesundheitsausschuss. Die Versorgung psychisch Kranker in Bayern sei „ein Prozess, der niemals abgeschlossen sein wird und der kontinuierlichen Handlungsbedarf“ erfordere. Die Herausforderung, psychisch Kranke vor Stigmatisierung zu schützen, bedürfe der gemeinsamen Anstrengung aller Gesundheitspolitiker in Bayern. Die Opposition solle ihren Blick aber auch auf konkrete Erfolge richten: Nie habe Bayern so viele niedergelassene Psychiater und Psychotherapeuten verzeichnet wie heute. Langen Wartezeiten auf Therapieplätze begegne man künftig mit der sogenannten „Notfallsprechstunde“. Und die teils lokale Unterversorgung mit ambulanten Angeboten habe die Staatsregierung im Visier und werde Lücken zügig schließen.
    
 



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