Landtag beschließt Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

Mittwoch, 11. Juli 2018
– Von Isabel Winklbauer –

Bayern hat ein neues Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz: Nach mehreren Jahren Vorlaufzeit und weitreichenden Änderungen der stark kritisierten, ersten Fassung verabschiedete der Landtag in seiner 137. Plenarsitzung einen zweiten, überarbeiteten Entwurf. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes erntete Kritik aus den Fraktionen, wurde aber auch als Musterbeispiel für funktionierenden Parlamentarismus gelobt.

Es rücke psychisch Kranke in die Nähe von Straftätern, stigmatisiere sie und schrecke sie davon ab, überhaupt Hilfe zu suchen – in diesem einhelligen Tenor waren Mediziner, Betroffenenverbände und Datenschützer gegen das erste Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (PsychKHG) sturmgelaufen. Es war im April dieses Jahres vorgestellt worden. Die Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder, Sozialministerin Kerstin Schreyer und Gesundheitsministerin Melanie Huml hatte die Kritik ernst genommen. Und so fasste Bernhard Seidenath (CSU), stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, nun vor dem Plenum zusammen, welche grundlegenden Verbesserungen das Gesetz erfahren hatte. Es sieht vor allem keine Unterbringungsdatei mehr vor, in der ursprünglich alle Patienten, die eine Zwangsunterbringung in der Psychiatrie erleben, notiert werden sollten. Es wendet auf untergebrachte psychisch Kranke nicht mehr die Ordnung des Maßregelvollzugs an, wie sie eigentlich nur für Straftäter gilt. Für Kinder und Jugendliche wurden gesonderte Passagen integriert, die den Angehörigen mehr Beteiligung ermöglicht. Und das Gesetz erhielt eine Präambel, die das Ziel, psychisch Kranken zu helfen gleichsetzt mit dem Ziel, die Allgemeinheit vor gewaltbereiten Erkrankten zu schützen. „Wir behandeln heute ein Gesetz, das diesen Namen wirklich verdient“, fasste Seidenath zusammen.

SPD stimmt trotz Bedenken zu

Ganze zwölf Änderungsanträge hatte die CSU eingebracht, um insgesamt 22 Stellungnahmen mit mehr als 150 Seiten Kritik von psychiatrischen Experten und Betroffenen gerecht zu werden. Die Opposition beeindruckte dies jedoch wenig. „Es gab schon seit 2017 massivste Bedenken von Fachverbänden am ersten Gesetzentwurf“, blickte Kathrin Sonnenholzner (SPD), die Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, zurück. „Dass dieses Gesetz trotzdem zur Vorlage gekommen ist, ist ein Tiefpunkt des Parlamentarismus. Es hätte das Gesundheitsministerium so nie verlassen dürfen.“ Dass nun ein zustimmungswürdiger Entwurf vorliege, sei nur dem Zufall zu verdanken: Markus Söder hätte sich nach dem Regierungswechsel die Verbesserung auf die Fahne schreiben wollen.

Ähnlich äußerte sich auch Karl Vetter von den FREIEN WÄHLERN: „Die Sicherheitshysteriker der CSU haben ein Gesetz vorbei an allen Psychiatrieexperten gemacht und die Ministerinnen Melanie Huml und damals noch Emilia Müller haben tatenlos zugeschaut“, sagte er. Jetzt habe man einen akzeptablen Entwurf, in dem allerdings die Hilfe für Betroffene noch stärker gewichtet werden könnte.

Das neue Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (sowie auch ein zusätzlicher Antrag der CSU auf mehr Förderung von Selbsthilfe, Beschwerdestellen und polizeilicher Sonderausbildung) wurde mit den Stimmen von CSU, SPD und FREIEN WÄHLERN angenommen.

Grüne sind gegen den Gesetzentwurf

Kerstin Celina (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), ebenfalls Mitglied im Gesundheitsausschuss, erklärte, warum ihre Fraktion nicht zustimmte: „Der Entwurf hat immer noch zu viele Kröten.“ Es gebe immer noch eine Speicherung und Weitergabe von Daten an die Polizei, wenn Patienten aus der geschlossenen Psychiatrie entlassen werden, sofern sie das „Allgemeinwohl“ gefährden könnten. Auch dieser Begriff stört die Grünen. Was genau sei das Allgemeinwohl, wie gefährde man es? „Das sind unscharfe Rechtsbegriffe“, so Celina. Auch dass zwangsuntergebrachten Psychiatriepatienten nur eine Stunde frische Luft täglich zugestanden wird, kritisierte sie. Ein Antrag ihrer Partei, den genannten Punkten gerecht zu werden, fand jedoch keine Stimmenmehrheit. Stattdessen entspann sich eine Debatte mit Herman Imhoff (CSU) darüber, wie stark oder schwach sich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in die Gesetzesentstehung mit eingebracht hätten. „Sie haben sich aus dem Entstehungsprozess rausgenommen“, warf Imhoff Celina vor. „Wir haben 2014 den ersten Antrag auf ein neues Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz gestellt“, empörte sich darauf Celina, „ohne uns gäbe es das jetzt gar nicht“.

Regierung nennt das Gesetz einen guten Start

Vor der Abstimmung wies Gesundheitsministerin Melanie Huml noch einmal darauf hin, dass es vor allem um Hilfe gehe. „Wir schaffen 24-Stunden-Ansprechpartner für psychisch Kranke und ihre Angehörigen“, freute sich Huml. „Wir richten Krisenteams ein, die von den Bezirken gestellt werden und die in eskalierten Situationen fachliche Hilfe leisten. Und es gibt künftig eine Psychiatrieberichterstattung durch Besuchskommissionen. Auch die engere Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe ist wichtig. Das sollten wir uns alles nicht kleinreden lassen!“ Auch Sozialministerin Kerstin Schreyer meinte: „Schade, dass das Gesetz von manchen so schlechtgeredet wird. Es ist nicht jeder glücklich – aber es ist ein guter Start.“

Darüber, dass in der kommenden Legislaturperiode nachgebessert werden soll, waren sich die Fraktionen einig. „Wir besprechen sehr selten psychische Themen im Parlament“, sagte Joachim Unterländer, „sie müssen mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt werden.“ Wie das Gesetz aber entstanden sei, durch Entwurf, Kritik, Zusammenarbeit der Fraktionen mit Experten und Neuentwurf, sei eine „Sternstunde des Parlaments“. Worauf Unterländer aus einem Brief einer Psychiatriebetroffenen-Initiative zitierte. „Es ist möglich, die richtigen Weichen zu stellen“, heißt es da, „um Situationen nicht eskalieren zu lassen und die gewaltsame Unterbringung erst gar nicht geschehen zu lassen.“ Einen Teil dieser Weichen hat der Bayerische Landtag nun gestellt.

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Redebeiträge

Die Debatte zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz können Sie nachträglich mitverfolgen auf den Seiten des parlamentarischen Informationssystems von

Siehe dazu 137. Plenarsitzung, Top 16 vom 11.07.2018

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