Die Vorplanung ist entscheidend

Bauausschuss: Expertenanhörung zum Thema Projektcontrolling von Infrastrukturgroßprojekten

9. Mai 2023

MÜNCHEN.        Die zweite S-Bahn-Stammstrecke in München, der Berliner Flughafen, Stuttgart 21: Viele große Infrastrukturprojekte wären wohl nicht gebaut worden, wenn schon vorher klar gewesen wäre, wie teuer die Fertigstellung wirklich wird. Der Ausschuss für Wohnen, Bau und Verkehr wollte daher in einer Sachverständigenanhörung zum Projektcontrolling von Infrastrukturgroßprojekten herausfinden, wie sich Kostensteigerungen in Zukunft vermeiden lassen.

Wie wichtig eine gute Vorplanung ist, betonte Albert Dembinksi von der Bau- und Projektleitung Naring gleich zu Beginn der Sitzung. Denn wenn Projekt, Kosten und Bauzeit geklärt sind, hätten die Auftraggeber schon 73 Prozent ihrer Einflussnahmemöglichkeiten verspielt. Hinzu kommt: Wenn es „wesentliche Änderungen“ gibt, muss der Auftrag neu ausgeschrieben werden. Bei Projekten über 5,382 Millionen Euro – Peanuts bei Großprojekten – laut Dembinski sogar EU-weit.

Verwaltungsrechtsanwalt Prof. Dr. Ulrich Hösch machte für Bauverzögerungen und Kostensteigerungen den Personalmangel in der Justiz mitverantwortlich. „Ich hatte Verfahren im Straßenbau, die vor Gericht sechs Jahre anhängig waren, bis ein Urteil gefällt wurde“, sagte er. Müßig seien auch Änderungen in der Rechtsprechung. Dadurch würden bereits genehmigte Verfahren wie zum Beispiel bei der Wasserrahmenrichtlinie rückwirkend rechtswidrig werden.

„Wir kalkulieren immer die Risiken mit ein“, versicherte Mobilitätsgroßprojektleiter Alex Indra von den Münchner Stadtwerken. Beispielsweise könnten sich DIN-Formen ändern, was Um- oder Neuplanungen nötig mache. Diese Kosten müssten dann transparent kommuniziert werden. Wichtig ist es laut Indra auch, immer den Kosten- und Terminstand zu kennen und diesen im Baustatus am besten wöchentlich mit dem Auftraggeber zu besprechen.

„Projekte der öffentlichen Hand nicht zu niedrig ansetzen“

Prof. Dr. Konrad Nübel vom Lehrstuhl für Bauprozessmanagement an der TU München wies darauf hin, dass bei Projekten der öffentlichen Hand die Baukosten oft zu niedrig angesetzt werden, um ein „political commitment“ zu erzielen. Er verlangte im Vorfeld mehr Ehrlichkeit und riet der Politik, die volkswirtschaftlichen Effekte stärker zu betonen. Der Nutzen des Ausbaus des öffentlichen Personennahverkehrs sei schließlich unbestreitbar.

Lob für die Bauabläufe in Bayern kam von Rainer Post, Vorstand der Bayerischen Architektenkammer und Vize-Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Architekten in Bayern. „Die Strukturen bei uns sind im Vergleich zu denen in anderen Bundesländern sehr effizient“, sagte er. Allerdings dauere das Controlling im Landtag sehr lange, weil alles vom Haushaltsausschuss verabschiedet werden müsse. „Jeder Genehmigungsprozess bedeutet eine Unterbrechung von vier bis sechs Monaten.“

Dr. Wolfgang Rauscher, ehemaliger geschäftsführender Gesellschafter der EDR GmbH, zeigte sich enttäuscht, dass sich in den letzten Jahren wenig geändert hat. Schon 2015 habe es eine Reformkommission Bau für Großprojekte gegeben. „Das war alles für die Katz.“ Er plädierte dafür, die Teuerung bei langlaufenden Großprojekten zu erfassen. Wenn ein Projekt über 30 Jahre gehe, sei bisher völlig unklar, woher die Kostensteigerungen kämen.

„Fehler und Lücken in der Bauplanung sind ganz normal“

Die Abkehr von einem festen Budget forderte Prof. Philip Sander vom Institut für Projektmanagement und Bauwirtschaft der Universität der Bundeswehr München. Er sei weltweit tätig und im Ausland gebe es im Gegensatz zu Deutschland nicht die eine feste Zahl, die bis zum Projektende halten müsse. „Das ist bei Projekten in der Größenordnung der Stammstrecke auch gar nicht möglich.“ Fehler und Lücken seien ganz normal. Sander sprach sich für mehr innovative Vertragsmodelle im Bauwesen aus.

Der Hauptabteilungsleiter des Baureferats Ingenieurbau der Landeshauptstadt München, Ralf Wulf, nannte die Budgetaufstellung den „Fluch der ersten Zahl“. Diese werde selten von Technikern genannt, stehe dann aber in der Zeitung und sei damit verbindlich. Da gerade die Vorplanung wichtig ist, empfiehlt Wulf bei Ausschreibungen, nicht den billigsten Anbieter zu nehmen. Er setzt auf das „Fair-Price-Modell“, also den Mittelwert aus den fünf besten Angeboten. Wer am nächsten dran ist, erhalte den Zuschlag.

Einig waren sich alle Experten, dass die Bevölkerung bei der Bauplanung rechtzeitig mit einbezogen werden muss. „Stuttgart 21 war für die planenden Ingenieure ein Trauma, weil nicht mit so viel Widerstand gerechnet wurde“, erklärte Nübel. Dabei waren und sind in seinen Augen Einwände oft berechtigt. Umstritten ist auch der geplante Brenner-Nordzulauf. Enteignungen seien zwar möglich, dürften aber nur Ultima Ratio sein, meinte Hösch.

FDP: Die Vorteile der Digitalisierung nutzen

„Großprojekte werden immer schwieriger – gerade in Kombination mit der Bahn“, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Körber (FDP) in der anschließenden Fragerunde. Er beneide niemanden, der ein solches durchführen müsse. Insbesondere, wenn es finanzpolitischen Druck durch Bürgermeister oder Minister gebe. Wichtig für Körber ist, dass es bei Projekten immer eine Person gibt, „die den Hut aufhat“. Künftig gelte es, auch die Vorteile der Digitalisierung stärker zu nutzen.

Es gebe ein geflügeltes Wort, sagte Franz Bergmüller (AfD): „Der öffentliche Bauherr baut 20 Prozent teurer.“ Er habe den Eindruck, dass zum Beispiel Elektriker bei größeren Aufträgen höhere Preise verlangten und Großprojekte bei der Nennung der realen Kosten überhaupt nicht realisierbar wären. Sein Kollege Uli Henkel kritisierte, dass Preise zu Baubeginn immer zu niedrig angesetzt werden. „Und dann heißt es, wegen der bereits entstandenen hohen Kosten gebe es keinen Weg zurück.“ Das untergrabe das Vertrauen der Bürger.

/ David Lohmann

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