Anhörung von Schulverbänden im Ausschuss für Bildung und Kultus: „Die Krise als Chance“

Lehrerverbände äußern Sorge um abgehängte Schüler in der Corona-Pandemie

25. Februar 2021

MÜNCHEN.     Die Schülerinnen und Schüler im Freistaat kehren schrittweise wieder in die Schulen zurück, und darüber herrscht erst einmal Freude bei allen Beteiligten. Gleichzeitig ist das Infektionsgeschehen insbesondere aufgrund der neuartigen Mutationen des Coronavirus nach wie vor schwer kontrollierbar. Vor diesem Hintergrund hat der Bildungsausschuss des Bayerischen Landtags am vergangenen Donnerstag zahlreiche Sachverständige und Betroffene aus schulpolitischen Organisationen zu einer ausführlichen Anhörung zum Thema „Die Krise als Chance“ eingeladen.

Martina Borgendale, Vorsitzende des bayerischen Landesverbands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), betonte zu Beginn der Anhörung, dass es aktuell an einem sinnvollen Testkonzept für die bayerischen Schulen noch völlig fehle. In Planung seien bisher nur einmalige Reihentestungen für Lehrkräfte und Schüler, die die Schulen selbst organisieren müssten. Dementgegen forderte Borgendale eine Teststrategie, wonach alle am Schulleben beteiligten Personen mindestens zweimal in der Woche ein Testangebot erhalten sollten. „Die Verantwortung für die Umsetzung einer nachhaltigen Teststrategie, darf keinesfalls an die Schulleitungen abgeschoben werden, die seit Beginn der Pandemie ohnehin schon weit über das normale Maß belastet sind“, führte Borgendale aus.

Christian Feja, Vorsitzender des Verbands der Beratungslehrer in Bayern (bib) erklärte, dass zwar die Beratungen zu einem Übertritt von Schülern zu einer anderen Schulform auch in Pandemiezeiten erfreulicherweise weiterhin reibungsfrei verlaufen. Für die Zukunft müssten jedoch die allgemeinen Beratungsangebote für Schüler und Eltern „niedrigschwelliger“ zur Verfügung gestellt werden, um den „Beratungsdschungel und die jeweiligen Zuständigkeiten“ klarer zu strukturieren.

Simone Fleischmann vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) kritisierte, dass Kinder in der Pandemie „hängengelassen“ würden. Aus Sicht des BLLV müssten endlich datenschutzkonforme Möglichkeiten des Video-Distanzunterrichts und der digitalen Notenerhebung entwickelt und in den Lehralltag implementiert werden. „Dazu gehört die Bereitstellung entsprechender Hard- und Software ebenso wie die zusätzliche Einstellung von Verwaltungspersonal, um den gewachsenen Anforderungen an eine digitalisierte Schule gerecht zu werden“, so Fleischmann. Diesem Wunsch schloss sich Ingrid Meggl, Vorsitzende der Vereinigung Bayerischer Realschuldirektorinnen und Realschuldirektoren (VBR) an und hob zudem die Notwendigkeit weiterer Personaleinstellungen hervor. Ohne mehr Lehr- und Unterstützungskräfte könne die Pandemie an den Schulen nicht erfolgreich bewältigt werden.

Die Vorsitzende der Landes-Eltern-Vereinigung der Gymnasien in Bayern (LEV), Susanne Arndt konstatierte, dass die regelmäßigen Schulgipfel zwischen dem Kultusministerium und der Schulgemeinschaft ein geeignetes und gutes Instrument des gegenseitigen Austausches darstellten. Insbesondere könnte auf diesen Gipfeln lösungsorientiert thematisiert werden, was Schüler in der Pandemie besonders bedrücke.

Um den pandemiebedingten Herausforderungen gerecht zu werden, forderte Walburga Krefting, Vorsitzende der Katholischen Erziehergemeinschaft in Bayern (KEG), dass die Prüfungen der Schüler den aktuellen Bedingungen angepasst werden müssten. Außerdem sei aus Sicht des KEG auch die pädagogische Betreuung der Schüler in kleinen Gruppen zu intensiveren. Für die Umsetzung dieser Vorhaben forderte Krefting mehr Gestaltungsfreiheit an den Schulen sowie eine Aufstockung des Personals mit geeigneten Schulpädagogen.

„Die jetzt verloren gegangenen Schüler müssen regelrecht wieder eingegliedert werden, und das wird sich mindestens auf das nächste Schuljahr erstrecken“, sagte auch Henrike Paede vom Bayerischen Elternverband (BEV). Auch Paede forderte mehr Personal an den Schulen: Ein Personalmangel bestehe mittlerweile auf allen Ebenen. Diese Einschätzung unterstrich auch Hans Lohmüller, Vorsitzender des Verbands Sonderpädagogik, Landesverband Bayern e.V. (vds). „Wir haben die Schwierigkeit, dass uns jetzt die sehr sparsame Personalpolitik der letzten 20 Jahre auf die Füße fällt“, betonte Lohmüller.

Diesem Befund pflichtete auch Hans-Joachim Röthlein vom Landesverband bayerischer Schulpsychologinnen und Schulpsychologen (LBSP) bei und stellte in seinen Ausführungen die fatalen Folgen der Corona-Pandemie auf die physische und psychische Gesundheit von Schülern heraus. Demnach komme es bei jungen Menschen immer häufiger zu Anpassungsstörungen, Schlaf- und Essstörungen sowie zu Resignation und Verbitterung. Um dem entgegenzuwirken sei ein verstärktes Monitoring einschließlich ausreichender Diagnose-Möglichkeiten an den Schulen dringend notwendig.

Erforderlich seien nicht nur mehr Lehrkräfte, sondern auch Psychologen, Schulsozialarbeiter und Verwaltungskräfte, ergänzte Robert Hackenberg vom bayerischen Schulleitungsverband (BSV). Bei den Schulleitungen sei angesichts der Fülle der Aufgaben in der Pandemie zudem eine sofortige Entlastung von der Unterrichtsverpflichtung nötig, so Hackenberg.

Jürgen Böhm, Erster Vorsitzender des Bayerischen Realschullehrerverband (brlv) informierte über die Schwierigkeit an den Schulen, den Spagat zwischen Wechsel- und Distanzunterricht zu meistern. Zudem forderte Böhm in seinen Ausführungen, dass die bisherigen Kriterien für den Übertritt zum Gymnasium auch in der Corona-Pandemie ihre Gültigkeit behalten müssten. Eine „Entwertung oder gar eine Streichung des Corona-Schuljahres“ halte er hingegen für ein völlig falsches Signal. Wichtig sei zudem, so Böhm, dass Ferienzeiten, wie zum Beispiel ganz aktuell die Faschingsferien eingehalten werden, weil sonst mit einer Überlastung von Schülern und Lehrern zu rechnen sei.

Mit Blick auf die Bayerische Impfstrategie forderte Andrea Nüßlein, Erste Vorsitzende des Landeselternverbands Bayerischer Realschulen (LEV-RS), dass alle Lehrkräfte, die im Präsenzunterricht eingesetzt würden, in der „Impfgruppe Zwei“ geimpft werden sollten und nicht nur Lehrer an Grund- und Förderschulen. Dies hätte zur Folge, dass dann alle Schulen wieder schrittweise ganz öffnen könnten. „Und das sollte unser oberstes Ziel bleiben.“, stellte Nüßlein heraus.

Um die Bildungsgerechtigkeit zeigte sich Angelika Himmelstoß, Vorsitzende der Landes-Eltern-Vereinigung der Fachoberschulen Bayerns (LEV FOS) besorgt. „Die Schere geht immer weiter auseinander und insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien leiden unter der aktuellen Situation.“, so Himmelstoß: Es gebe zahlreiche Schülerinnen und Schüler, die in Zeiten des Distanzunterrichts für die Pädagogen nicht mehr erreichbar seien oder inzwischen große Wissenslücken hätten.

Pankraz Männlein, Vorsitzender des Verbands der Lehrer an beruflichen Schulen in Bayern (VLB) stellte in diesem Zusammenhang eine „soziale Selektion bei bildungsfernen Schichten“ fest. Um dem entgegenzuwirken forderte Männlein in der Lehrausbildung- und Weiterbildung individuelle Ansätze. Die Digitalisierung sei dabei kein Allheilmittel, da gerade in den praxisorientierten Lehrberufen digitale Angebote die praxisbezogene Ausbildung nicht ersetzten könnten.

„Wie lassen sich zukünftig Kompetenzunterschiede bei den Schülern ausgleichen?“, fragte sodann Dieter Brückner von der Vereinigung der Direktorinnen und Direktoren der bayerischen Gymnasien (BayDV Gymnasien). „Hier müssen wir über Schwerpunktsetzung und über das Aufweichen der Schuljahresgrenzen bei Versetzungsentscheidungen nachdenken“ führte Brückner aus. Diesbezüglich sei vor allem mehr Flexibilität für die einzelne Schule vor Ort nötig.

Die ebenfalls angehörten Schülervertreter legten dar, dass es entgegen anderslautender Einschätzungen sehr wohl einen hohen Notendruck auf die Schülerinnen und Schüler und zu wenig Zusatzkurse für den Ausgleich von Wissenslücken gebe. Solche Kurse wären aber ohnehin nur „ein Tropfen auf dem heißen Stein“. So wusste Lorena Bulla, Landesschülersprecherin der Mittelschulen, zu berichten, dass über den langen Zeitraum des Distanzunterrichts nur eine unzureichende Prüfungsvorbereitung möglich war.

Dieser Einschätzung pflichteten auch Tobias Fritz, Landesschülersprecher der Fach- und Berufsoberschulen und Lilly Landauer, Landesschülersprecherin der Realschulen, bei: Die Schüler seien aufgrund des fehlenden Halbjahres nun einer „regelrechten Notenjagd“ ausgesetzt, um entfallene Leistungsnachweise zu erbringen. Die Einführung des Wechselunterrichts als Gegenmittel hielt Fritz hierbei für eine unüberlegte „Hau-Ruck-Aktion“ des Kultusministeriums. Vor allem kritisierte Fritz die Kommunikationspolitik des Ministeriums, das nach seiner Einschätzung – oftmals entgegen der vielfach einhelligen Meinung der Schulfamilie – Beschlüsse auf „eigene Faust ohne die nötige Rücksprache“ umsetzte.

Die Landesschülersprecherin der Beruflichen Schulen, Mouna Nifer, kritisierte, dass große Unsicherheit bei den Schülern herrsche, weil praxisbezogene Lerninhalte entfielen und sich diesbezüglich große Wissenslücken bildeten. Dennoch seien weiterhin Prüfungen mit Praxisteilen die Regel. Auch Moritz Meusel, Landesschülersprecher der Gymnasien und Koordinator Landesschülerrat, forderte eine Kürzung von Lehrplänen, weil der ausgefallene Unterrichtsstoff letztlich nicht aufgeholt werden könne.

Abschließend fasste Michael Schwägerl, Erster Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands (bpv) die Anhörung zusammen: Nach fast einem Jahr Corona-Unterricht würden die Probleme immer sichtbarer: Die Sorge um abgehängte Kinder und Jugendliche sowie um den Gesundheitsschutz an den Schulen teilten sämtliche am Schulleben beteiligten Verbände. Auch bestehe weitgehend Einigkeit, dass die Lehrkräfte mit der Situation überlastet und überfordert seien. Vom Kultusministerium erwarteten die Verbände eine umfassende Teststrategie, die deutlich über die bislang vorgesehene einmalige Reihentestung hinausreichen müsse. Außerdem forderten die Lehrerverbände auch eine vorzeitige Impfmöglichkeit für alle Lehrkräfte im Präsenzunterricht. Nicht zuletzt müssten endlich ein datenschutzkonformer Video-Distanzunterricht sowie eine digitale Notenerhebung gewährleistet werden, forderte Schwägerl.

/ Eva Mühlebach

 

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