EU beim Arbeitsrecht auf gutem Weg

Europaausschuss: Sachverständigenanhörung zu Arbeitsbedingungen und Schutz von Beschäftigten in Europa

13. Juni 2023

MÜNCHEN.          Saisonarbeitskräfte, Paketzusteller, Menschen in der Logistik oder der Fleischindustrie: Viele Personen in der Europäischen Union arbeiten trotz Mindestlohn zu Dumpinglöhnen oder erhalten gar kein Gehalt. Auf Antrag der SPD mit den Stimmen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP diskutierten daher diese Woche Fachleute im Europaausschuss darüber, wie die Arbeitsbedingungen in Europa fairer und die Beschäftigten besser geschützt werden können. Die Mehrheit plädierte für mehr Kontrollen und strengere Gesetze. Die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft warnte hingegen vor einer Überregelung.

Oskar Brabanski vom Beratungsstandort Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbundes klärt jährlich bundesweit rund 7000 ausländische Menschen über ihre Rechte auf – viele davon wohnen in Bayern. „Prekäre Arbeitsbedingungen sind leider die Regel statt die Ausnahme“, sagte er gerade mit Blick auf Zuwanderer aus Ost- und Südosteuropa. Bei den Gesprächen gehe es vor allem um Entgeltfragen, Kündigungen, Krankheit oder Unfälle. Viele Menschen müssten maßlos überteuerte Mieten für das vom Arbeitgeber gestellte Mehrbettzimmer zahlen. Er forderte mehr Aufklärung und Kontrollen.

Kleine und mittelständische Betriebe vertritt Dr. Horst Heitz von der Small and Medium Enterpreneurs of the European People ́s Party. Er beklagte, dass sie zwar die Facharbeiter für Europa ausbilden, dann aber mit leeren Händen dastünden, weil diese anschließend in die lukrativere Großindustrie abwandern würden. Außerdem warnte Heitz, dass immer mehr Menschen wegen gesundheitlicher Gründe früher in Rente gehen müssten. Einfach das Rentenalter zu erhöhen, könne daher von der Politik nicht die Lösung sein.

Gabriele Bischoff von der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament verwies auf verschiedene europäische Projekte zum Schutz der Beschäftigten – allen voran die Einführung des Mindestlohns. „20 Millionen Menschen profitieren davon“, unterstrich sie. Ihre Fraktion will künftig vor allem auf digitale Tools setzen, um die Einhaltung der Arbeitsrechte besser zu kontrollieren. Sorgen bereiten ihr die enormen Transformationen im Bereich Klimawandel und Digitalisierung.

Das Ziel: mehr Arbeit, weniger Armut

Die Europäische Kommission will dies mit der Säule der sozialen Rechte abfedern. „Die aktuelle Situation stellt insbesondere Menschen in prekären Situationen vor große Herausforderungen“, sagte Jörg Tagger von der Generaldirektion für Beschäftigung, Soziales und Integration. Er nannte drei Rahmenziele für den neuesten Aktionsplan: 78 Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren sollen erwerbstätig sein, mindestens 60 Prozent aller Erwachsenen Weiterbildungsmaßnahmen ermöglicht werden und mindestens 15 Millionen weniger Menschen bis 2030 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht sein.

Grundsätzlich positiv bewertete die Entwicklung des europäischen Arbeitsschutzes auch Professor Ulrich Becker, Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik. Dies habe auch Impulse für die Verbesserung des deutschen Sozialschutzes geliefert. Zu einer guten Regulierung sei es auch bei der Entsendung von Beschäftigten ins Ausland gekommen. Probleme gibt es aus Sicht von Becker noch bei der Einführung der einheitlichen europäischen Sozialversicherungsnummer und dem Gesetz zur Telearbeit.

Martin Naser beschäftigt sich bei Siemens Healthineers mit dem Arbeitsrecht und den Beschäftigungsbedingungen. Ihm sind besonders zwei Themen wichtig. Zum einen Demokratie am Arbeitsplatz. Daher würden unter anderem alle zwei Wochen Mitarbeiterbefragungen durchgeführt. Zum anderen das Thema betriebliche Mitbestimmung vor Ort – gerade bei Veränderungsprozessen. Es gebe zwar auch einen europäischen Betriebsrat. Aber zum Beispiel bei Entlassungen müsste diese wegen der unterschiedlichen Rahmenbedingungen im jeweiligen Land verhandelt werden.

Vergabestellen sollen den Mittelstand fördern

Das Vergaberecht soll bei öffentlichen Aufträgen innerhalb der Europäischen Union Korruption verhindern, Transparenz schaffen und Wirtschaftlichkeit fördern, erklärte Ilse Beneke von der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung beim Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums. Die rund 30.000 Vergabestellen in Deutschland sollen ermutigt werden, dabei nachhaltige Kriterien mit einzubeziehen und den Mittelstand zu fördern. Die Vergaberichtlinien werden laut Beneke regelmäßig in Brüssel überarbeitet.

Unzufrieden mit den europäischen Regelungen war Dr. Frank Rahmstorf von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Statt die Unternehmen in dieser schwierigen Zeit zu entlasten, kämen immer neue Vorgaben hinzu – beispielsweise bei der Arbeitszeitaufzeichnung oder dem Arbeitnehmerdatenschutz. Auch gebe es wegen der unterschiedlichen Sozialversicherungs- und Steuervorgaben immer noch Probleme beim grenzüberschreitenden Personaleinsatz. Statt einen Anspruch auf Homeoffice gesetzlich festzuschreiben, soll in Rahmstorfs Augen lieber die täglich erlaubte Höchstarbeitszeit auf elf Stunden erhöht werden. 

Markus Rinderspacher (SPD) forderte in der anschließenden Fragerunde „glasklare“ europäische Vorgaben, um die Ausbeutung von Arbeitskräften zu verhindern, zum Beispiel durch Mindeststandards bei den Arbeitsunterkünften. Des Weiteren müsste der Missbrauch bei der Sozialversicherung und der Arbeitsvermittlung eingedämmt werden. Außerdem verlangte Rinderspacher mehr Rechte für Europäische Betriebsräte und wie in fast allen anderen Bundesländern für faire Löhne endlich ein Tariftreuegesetz für Bayern.

CSU: Behörden entziehen der Wirtschaft Arbeitskräfte

Immer hieße es, man brauche bessere Kontrollen, mehr Personal und besser ausgebildetes Personal, sagte Professor Winfried Bausback (CSU). „Das beißt sich aber mit der Realität, weil überall Personal fehlt.“ Zusätzlich entziehe die öffentliche Verwaltung durch die immer komplexer werdende Arbeit der freien Wirtschaft Arbeitskräfte. Sein Kollege Dr. Gerhard Hopp (CSU) vermisste in der Diskussion den Punkt Wettbewerbsfähigkeit der EU mit den USA und China.

Anne Franke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kritisierte, dass es in Bayern als einzigem Bundesland kein Landesvergabegesetz und keine Landeskompetenzstelle zur Unterstützung der Kommunen gibt. „Vergaben sind oft nicht einfach und kosten viel Zeit und Geld“, erklärte sie. Die Abgeordnete war auch erstaunt über die Aussage, dass Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen immer früher in Rente gehen. „Wenn das so ist, wäre eine Erhöhung des Rentenalters unsinnig.“

/ David Lohmann

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