Informationsreise des Europaausschusses nach Plovdiv, Europas Kulturhauptstadt 2019

Plovdiv, 3. Juli 2019
– Von Zoran Gojic –

„Zusammen“. Auf dieses ebenso einfache wie vielsagende Motto hat man sich im bulgarischen Plovdiv als Kulturhauptstadt Europas 2019 geeinigt. Und damit hat die Stadt die EU überzeugen können. Was dieses Motto konkret bedeuten soll, und ob man von den erfolgreichen Bewerbern vom Balkan etwas lernen kann, das wollte der Europaausschuss des Bayerischen Landtags unter Leitung des Vorsitzenden Tobias Gotthardt bei seiner Informationsfahrt vor Ort herausfinden.


Es stellt sich schnell heraus: Wie immer ist alles kompliziert und einfach zugleich. Einig ist man sich, dass sich der Titel „Kulturhauptstadt“ für Plovdiv und seine über 500.000 Einwohner gelohnt hat. Viele historische Gebäude waren in schlechtem Zustand und wurden saniert, archäologisch wertvolle Orte sind in Stand gesetzt und in das Stadtbild integriert worden.

„Plovdiv hat viel mehr zu bieten als eine pittoreske Innenstadt“

Die zuständige Stiftung „Plovdiv 2019“ rechnet mit über 1,5 Millionen Besuchern aus dem Ausland, die die Wirtschaft ankurbeln. Stolz verweist Geschäftsführer Kiril Velchev darauf, dass Plovdiv mehr zu bieten habe als eine pittoreske Innenstadt. In rund 500 Veranstaltungen werden die kulturellen Facetten der Stadt beleuchtet und das Leben der Bürgerschaft selbst thematisiert. „Das Motto Together ist zugleich das Konzept und diese Herangehensweise hat uns viele Türen geöffnet“, ist Velchev überzeugt. Dennoch gibt es unter den Beteiligten einige Kontroversen. Die Initiatoren für die Bewerbung haben sich mittlerweile alle zurückgezogen – sie werfen der Politik vor, den ganzheitlichen Ansatz nur unvollständig zu verfolgen.

Die Idee, sich zu bewerben, kam aus der Mitte der Bürgerschaft, wie die deutsche Honorarkonsulin in Plovdiv, Mariana Tscholakova, berichtet. Sie selbst war damals mit beteiligt und erklärt, was es mit dem Slogan „Zusammen“ auf sich hat: „Plovdiv ist eine Stadt mit vielen Ethnien und kulturellen Einflüssen. Das sollte zum Ausdruck kommen. Wir wollten die Stadt als Gesamtes präsentieren und auch mit unseren Defiziten werben.“ Ein mutiger Ansatz, der belohnt wurde.

Es soll Nachhaltiges geschaffen werden, das über 2019 hinauswirkt

Plovdiv, seit über 7000 Jahren durchgehend besiedelt, hat selbstverständlich viel zu bieten: archäologisch und architektonisch faszinierende Bauten, eine historisch gewachsene Altstadt und ein reges Kulturleben. Aber darum alleine sollte es nicht gehen. Die Stadtgesellschaft sollte sich gemeinsam vorstellen und so Nachhaltiges schaffen, das auch über 2019 hinauswirkt.

Nach Meinung des Künstlers Emil Mirazchiev, Gründungsmitglied des Initiativkomitees für die Bewerbung Plovdivs als europäische Kulturhauptstadt, ist dies nur teilweise gelungen. „Die Roma-Siedlung Stolipinowo mit seinen geschätzt 80.000 Einwohnern sollte ein Kulturzentrum erhalten und die Insel im Fluss Maritsa zu einem Kreativ-Viertel ausgebaut werden – davon ist nichts übrig. Das sind nur zwei Beispiele. Die Mitbeteiligung der Bürgerschaft und die Subkultur kommen insgesamt zu kurz“, findet Mirazchiev. Er und seine Mitstreiter werfen der Stadt vor, sich bei den Veranstaltungen zu sehr von kommerziellen Zielen lenken zu lassen und bei den Vergaben viele der ursprünglichen Ideen übergangen zu haben.

Freiluft-Musikfestival lockt mehr als 50.000 Besucher an

Auch organisatorisch sei einiges nicht optimal gelaufen, sagt Mirazchiev. Tatsächlich gibt es in der Altstadt immer noch große Baustellen – Verzögerungen bei der Vergabe wegen Klagen, wie man im Rathaus etwas zerknirscht einräumt. „Man weiß, wie man eine Kulturhauptstadt organisiert, wenn man es schon einmal gemacht hat“, erklärt Stiftungschef Velchev selbstironisch. Die Vorteile würden aber überwiegen. So habe man erstmals ein großes Freiluft-Musikfestival auf die Beine gestellt, das 50.000 Besucher angelockt habe – mehr als jede Kulturveranstaltung der Vergangenheit. Dieses Festival soll auch weiterhin stattfinden, so wie viele Projekte auf die Zukunft der Stadt ausgerichtet sind.

„Die Menschen haben gesehen, dass sie etwas bewegen können“

Plovdiv, nach der Hauptstadt Sofia größte und wichtigste Metropole des Landes, habe an Selbstbewusstsein gewonnen, bestätigt Honorarkonsulin Tscholakova. „Die Menschen haben sich eingebracht und gesehen, dass sie etwas bewegen können. Wir wollen, dass die Menschen hierbleiben“. Der Sog ins Ausland hält in Bulgarien an. Längst herrscht Fachkräftemangel, gerade in eher kleineren Gemeinden. Das bestätigt sich beim Besuch der Liebherr-Zentrale bei Plovdiv. Die deutsche Firma lässt hier jährlich gut 900.000 Kühlschränke fertigen, überwiegend für den Export. 1900 Menschen arbeiten hier, man sei immer auf der Suche, erklärt Geschäftsführer Hristo Georgiev. „Wir bilden selber aus, im dualen System nach deutschem Vorbild“.

Die Einbindung der Roma hat nur bedingt funktioniert

Wirtschaftlich geht es der Region gut, es herrscht de facto Vollbeschäftigung, dennoch gibt es soziale Verwerfungen – was wieder zum Slogan „Zusammen“ und der Kulturhauptstadt Plovdiv führt. Die Roma als größte Minderheit sollten explizit in das Konzept eingebunden werden, aber das hat nur sehr bedingt funktioniert. Aus Desinteresse der Stadt lautet der Vorwurf, der stellvertretende Bürgermeister  Rozalin Petkov weist das jedoch energisch zurück: „Die Roma selbst hatten kein großes Interesse an kulturellen Veranstaltungen“, meint Petkov und fügt hinzu, die Stadt sei für alle Viertel zuständig, nicht nur für die Roma-Siedlung Stolipiwono.
Die Hoffnungen von Initiatoren wie Mirazchiev, im Zuge der Projekte 2019 könne man die Roma besser in die Stadtgesellschaft integrieren, haben sich nicht erfüllt. Das wird schon bei der Fahrt durch Stolipiwono deutlich. Marode Gebäude, wilde Müllhalden, viele Menschen, die offenkundig nichts zu tun haben – so sieht die Realität für Roma aus, auch in dem Jahr, in dem Plovdiv Kulturhauptstadt Europas ist.

Ausbildung von Roma-Frauen zu Schneiderinnen

Maria Schischkowa, Leiterin des Projekts zur Ausbildung von Roma-Frauen zu Schneiderinnen, will das ändern. Mit kargen Mitteln, vor allem Spenden aus Deutschland, wie Schischkowa erklärt, hat sie bislang 50 Roma-Frauen das Nähen beigebracht, ein lukratives Handwerk. „Alle Frauen hatten sofort Jobangebote“, bestätigt Schischkowa. Nicht alle Frauen arbeiten tatsächlich. „Sie müssen es selber wollen. Dazu müssen sie aus ihrem Viertel, das gelingt nicht allen“, räumt Schischkowa ein. Sie erreiche ohnehin nicht alle Frauen. „Ich nehme nur Frauen, die wenigstens Bulgarisch lesen können und wirklich etwas lernen wollen.“ Die meisten absolvieren die sechsmonatige Ausbildung und würden über Mundpropaganda weitere Roma-Frauen motivieren. Bildung, das hört man ständig, sei der einzige Weg, den Teufelskreis aus Armut und Unwissen bei vielen Roma zu durchbrechen. Aber das ist leichter gesagt als umgesetzt. Viele ziehen es vor, im Ausland mit Hilfsarbeiten schnell Geld zu verdienen.

Viele Familien ziehen oft um. Es sei nicht einfach, die schulpflichtigen Kinder überhaupt zu erfassen, wie die stellvertretende Gebietsgouverneurin Evelina Apostolova erläutert. „Wir haben mittlerweile ein elektronisches System zu systematischen Erfassung, um das zu ändern“. Die Durchsetzung der Schulpflicht mit der Staatsgewalt hält sie für schwierig. „Aufgrund der Vergangenheit der sozialistischen Diktatur reagieren die Menschen sensibel auf Polizeiaktionen in diesem Zusammenhang. Es erinnert sie an ein repressives System“, glaubt Apostolova. Insgesamt, findet sie, sei das Projekt Kulturhauptstadt eine Erfolgsgeschichte, die viel bewegt habe – angefangen von Infrastrukturmaßnahmen bis hin zur Außenwirkung der Stadt. Das sagen auch die kritischeren Stimmen. Die Altstadt sei nicht wieder zu erkennen.

Im ehemaligen Problemviertel Kapan wird das Motto „Together“ tatsächlich gelebt

Am auffälligsten ist das im ehemaligen Problemviertel Kapan, dem Pilotprojekt der Initiatoren für die Bewerbung als Kulturhauptstadt. Heute ist das ein lebendiger, bunter Stadtteil, in dem das Motto „Together“ tatsächlich gelebt wird. Die Ladenzeilen der Häuser wurden für ein Jahr sozialen Initiativen, innovativen Startups, kreativen Projekten überlassen. Einmal im Monat muss eine kulturelle Veranstaltung in jedem Laden stattfinden. „Ein beeindruckender Kraftakt“, sagt Tobias Gotthardt, Vorsitzender des Europaausschusses. Falls am Jahresende belastbare Geschäftsmodelle vorgelegt werden, sollen die Läden weiterhin günstig vermietet werden. Ein gelungenes Beispiel für Nachhaltigkeit abseits von konventionellen Veranstaltungsreihen und kurzlebigen Präsentationen.

Stärkung der Zivilgesellschaft

In Kapan sieht man: Das Projekt Kulturhauptstadt hat die Zivilgesellschaft gestärkt. Vielleicht gerade weil es viele Diskussionen mit der Politik um die richtige Umsetzung des Mottos „Together“ gegeben habe. „Die Mitwirkung der Bürgerschaft ist an sich der größte Erfolg für uns“, sagt Stiftungschef Velchev.

Ausschussvorsitzender Tobias Gotthardt sieht das ähnlich: „Man kann viel mitnehmen aus Plovdiv. Kultur kann ein Motor sein, ein Standortfaktor. Kultur ist ein Forum der Begegnung für die Bürgerschaft. Bei der Integration beispielsweise ist das immens wichtig. Und man sieht, bei der Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt geht es nicht um schöne Fassaden, sondern um die Menschen, die dort leben und sich einbringen. Das Motto „Together“ bringt das sehr gut auf den Punkt. Nur dort, wo sich Menschen einbringen und einen Ort mit Leben erfüllen, bleiben die Leute. Gerade für den ländlichen Raum und kleinere Städte ist das ein hoffnungsvoller Ansatz. Ich glaube, dass sich auch Nürnberg für seine Bewerbung als Kulturhauptstadt 2025 von Plovdiv inspirieren lassen könnte.“

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