Informationsgespräche zu den EU-Zielen
Gemeinsam in unruhigen Zeiten
12. November 2024
MÜNCHEN. Europas strategische Rolle und politische Herausforderungen verändern sich rasant. Grund genug für den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie regionale Beziehungen, sich über die Programme der ungarischen und polnischen Ratspräsidentschaften zu informieren. Eingeladen waren dazu die beiden Generalkonsuln Gábor Tordai-Lejkó (Ungarn) und Rafal Wolski (Polen).
Die stellvertretende Ausschussvorsitzende Ulrike Müller (FREIE WÄHLER) sprach gleich zu Beginn der Informationsgespräche diese Herausforderungen für die EU an: Den neuen alten US-Präsidenten Donald Trump, der „andere Prioritäten“ setzen werde als sein Vorgänger, der Transatlantiker Joe Biden. „In der EU werden derzeit die neuen EU-Kommissare angehört, einige Anliegen der zu Ende gehenden ungarischen EU-Ratspräsidentschaft sind noch offen“, sagte Müller. „Was hat das für Auswirkungen für Bayern?“
Die wichtigsten Ziele Ungarns
Über den Stand des Programms der ungarischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2024 gab Gábor Tordai-Lejkó, Generalkonsul von Ungarn in München, einen aktuellen Überblick. Er lobte zunächst die enge Zusammenarbeit mit Bayern, dessen Einfluss auf Bundes- und Europaebene in Ungarn anerkannt werde. Weil es noch keine neue EU-Kommission gebe, seien Gesetzesinitiativen eingeschränkt. „Wir haben diesmal nicht zufällig das Motto ‚Make Europe great again‘ gewählt, das nach den US-Wahlen eine andere Bedeutung hat“, erklärte der Generalkonsul die zweite ungarische Ratspräsidentschaft nach 2011. Damals habe man unter anderem die europäische Roma-Strategie und den EU-Beitritt von Kroatien vorangebracht, der 2013 erfolgte.
Auch aktuell sei die Erweiterung der Europäischen Union in Bezug auf den Westbalkan ein sehr wichtiges Thema für Ungarn. Im Mittelpunkt der ungarischen Ratspräsidentschaft stehe, „wirtschaftliches Wachstum zu fördern, die Sicherheit zu verbessern und Frieden zu schaffen“. Der russische Krieg finde in „direkter Nachbarschaft und mit einer ungarischen Minorität in der Ukraine“ statt, erinnerte Tordai-Lejkó. Zugleich gefährde die unverminderte illegale Migration derzeit die größte Errungenschaft der EU, nämlich die Freizügigkeit ohne Grenzkontrollen, und beeinträchtige die innere Sicherheit. Anschläge auf jüdische Einrichtungen wie in Deutschland gebe es in Ungarn nicht. Die Sicherung der EU-Außengrenzen sei darum primäres Ziel. Auch zeige sich die Verletzlichkeit internationaler Lieferketten. Hinzu kämen noch Naturkatastrophen, Klimawandel sowie der demografische Wandel in den europäischen Gesellschaften. Trotz der Kritik an Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orban gebe es eine gute Zusammenarbeit auf Arbeitsebene. Der Generalkonsul mahnte aber auch, Brüssel müsse lernen, mit dem „wiederholt demokratisch gewählten Regierungschef“ umzugehen.
Um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu stärken, habe der Europäische Rat nun am 8. November mit 47 Staats- und Regierungschefs und 27 EU-Ländern den Pakt von Budapest beschlossen. Darin habe man sich unter anderem auf eine deutliche Reduzierung der Berichtspflichten geeinigt, sowie auf „eine echte Industriepolitik zusammen mit dem Green Deal“, niedrigere Energiepreise, drei Prozent des europäischen BIP für Forschung und Entwicklung bis 2030 und eine europäische industrielle Verteidigungsbasis. Jeder neue Gesetzesvorschlag werde geprüft, ob und wie er sich auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirke. Auch die „Stabilisierung der Agrarmärkte und ein angemessenes Einkommen für Landwirte seien“ beschlossen worden. Trotz der Meinungsunterschiede gebe es „ein Ziel: eine widerstandsfähige und starke Europäische Union“.
Polens Engagement
„Die Prioritäten der polnischen Ratspräsidentschaft ab 1. Januar 2025 werden erst Mitte Dezember verkündet“, gab Rafal Wolski, Generalkonsul der Republik Polen in München, bekannt. „Der polnische Ratsvorsitz wird eine einzigartige Gelegenheit sein, das Engagement Polens für europäische Angelegenheiten zu demonstrieren.“ Polen habe die Ambition, eine wichtige Rolle als einer der Vorreiter der europäischen Integration zu spielen – und das in schwierigen Zeiten. Der Krieg in der Ukraine beeinträchtige die Stabilität und Sicherheit nicht nur Polens, sondern ganz Europas. Hinzu kämen die bereits genannten Herausforderungen Migration, Klimawandel und Wirtschaft.
Das detaillierte Arbeitsprogramm der EU-Kommission werde wahrscheinlich zum Zeitpunkt des Beginns der polnischen Ratspräsidentschaft vorgelegt. Mit Piotr Serafin sei dann ein Pole als neuer EU-Haushaltskommissar in einer wichtigen Position. „Der Eckpfeiler unserer Aktivitäten während des polnischen Ratsvorsitzes wird ohne Zweifel die Sicherheit sein. Und unter Sicherheit verstehen wir nicht nur die militärische Sicherheit.“ Gemeint seien auch Energie-, Informations-, Ernährungs- und Gesundheitssicherheit. Wie bei Ungarn stehe auch für Polen die EU-Erweiterung auf der Agenda. Wolski nannte aber neben dem Westbalkan ausdrücklich die Ukraine und Moldau als Kandidaten. Deren Fortschritte seien „unterschiedlich“ und der Weg nicht einfach, aber die Gemeinsamkeiten groß. „Die polnische Ratspräsidentschaft wird sich dafür einsetzen, dass die transatlantische Kooperation auch mit der neuen US-Administration intensiv bleibt“, versprach Wolski. Polen wolle aber auch die Unterstützung der belarussischen Opposition auf der Tagesordnung halten.
Kritik und Gemeinsamkeiten
In der Fragerunde wollte Ulrike Müller wissen, wie die Kontakte Ungarns zu den Republikanern in den USA seien. Dr. Gerhard Hopp (CSU) fragte, wie Polen die Rolle Deutschlands für die europäische Sicherheit sehe, wenn Präsident Tusk einen Verteidigungsgipfel mit Frankreich, Großbritannien und anderen Staaten, aber ohne Deutschland veranstalte. Zudem fragte Hopp nach der Rolle der Regionen für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Nach den gemeinsamen Projekten von Polen und Ungarn erkundigte sich Benjamin Adjei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). Gabi Schmidt (Freie Wähler) wollte wissen, wie man gegen Fake News und die Verbreitung von Unwahrheiten vorgehen werde. Markus Rinderspacher (SPD) erinnerte daran, dass Ungarn weiterhin Gas und Öl aus Russland importiere, sich aus den Sanktionen herausziehe und dass sich Regierungschef Orban bei seinen Auslandsreisen wiederholt nicht mit der EU abgestimmt habe.
Generalkonsul Tordai-Lejkó erklärte, dass Orban eine enge persönliche Beziehung zum neuen US-Präsidenten Trump habe. Als Ministerpräsident habe Orban immer die Interessen Ungarns, aber auch der EU im Blick. Beispielsweise für die deutsche Autoindustrie, die sich in Ungarn angesiedelt habe, werde man sich bei Trump einsetzen. Für Ungarn sei es ohne Meeresgrenze schwer, sich unabhängig von russischen Energielieferungen zu machen. Man habe sich darum schon 2012 für die Nabucco-Pipeline aus Aserbaidschan über die Türkei eingesetzt, sei aber an den deutschen Plänen für die Pipeline Nord Stream 2 gescheitert. Auch habe Orban die EU über seine Reisen informiert. Ungarns Regierung sei „nicht antieuropäisch“, handele aber eigenständig. Generalkonsul Wolski ergänzte, dass man im Bereich Industrialisierung, Lieferkettensicherheit, Forschung und Wettbewerbsfähigkeit eng mit Ungarn zusammenarbeite. „Wichtig ist auch, dass wir Wege finden müssen, private und öffentliche Investitionen zu fördern“, betonte Wolski. Zur Sicherheitsarchitektur erklärte der Generalkonsul, dass Deutschland „natürlich eine Schlüsselrolle“ habe, was sich etwa beim „Weimarer Dreieck“ weiter zeige. Sicherheit umfasse nicht nur die Unterstützung der Ukraine, sondern auch den Kampf gegen hybride Kriegsführung wie die von Russland geschickten Migranten, und auch gegen Lügen, Desinformation und Manipulation. Bei der Rolle der Regionen stehe Polen mit seinen Woiwodschaften an Bayerns Seite.
/ Andreas von Delhaes-Guenther