Zwischenbilanz zu drei Jahren Bayerisches Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz

Gemeinsame Expertenanhörung des Gesundheits- und Sozialausschusses

12. Oktober 2021

MÜNCHEN.       2018 hat der Landtag das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG) verabschiedet. Dieses besteht aus zwei Teilen: Im ersten geht es darum, die Hilfe für psychisch kranke Menschen zu verbessern. Wichtigster Baustein dabei ist die landesweite Einführung von Krisendiensten. Im zweiten – strittigeren ­– Teil wird die Zwangseinweisung von psychisch kranken Menschen geregelt. In einer gemeinsamen Anhörung des Gesundheits- und Sozialausschusses wurden zehn Experten um eine Zwischenbilanz gebeten.

Martina Heland-Gräf vom Bayerischer Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen hatte lange für ein PsychKHG gekämpft. Sie bemängelt aber, dass es in Bayern nicht flächendeckend in derselben Intensität umgesetzt wird. „Zwangsmaßnahmen sind nicht überall Ultima Ratio“, berichtet sie. Heland-Gräf verlangt mehr Fortbildungsmaßnahmen für die Polizei und mehr Kontrollen von psychischen Einrichtungen, die wegen Corona oft ausgefallen sind.

Sozialrechtsanwalt Dr. Rolf Marschner glaubt nicht, dass sich in den letzten drei Jahren an der Unterbringung psychisch kranker Menschen in Bayern etwas geändert hat. „Wie schon im alten Gesetz steckt auch im PsychKHG viel Unterbringung und wenig Hilfe“, kritisiert er. Marschner vermisst Steuerungsinstrumente, einen gemeindepsychiatrischen Verbund und eine gesetzliche Grundlage für sozialpsychiatrische Dienste mit verbindlich aufsuchenden Hilfen.

Personalmangel führt oft zu Zwangsmaßnahmen

Der Leitende Polizeidirektor Oliver Etges vom Polizeipräsidium Oberbayern Nord lobt zwar die Zusammenarbeit mit den Krisendiensten, ist aber mit einigen Verwaltungsvorschriften unzufrieden. So wird die Polizei in manchen Fällen nicht über die Entlassung einer Person benachrichtigt, obwohl von ihr noch eine Gefahr ausgeht. „Manchen Kliniken fehlt auch das Equipment und das Personal, um die Person bei der Einweisung zu überwachen.“ Etges wünscht sich auch mehr mobile Krisenteams.

Davor Stubican vom Paritätischen Wohlfahrtsverband hätte sich Informationen über die Entwicklung der Unterbringungszahlen gewünscht. Zwangsmaßnahmen zu senken sei schließlich ein Ziel des PsychKHG gewesen. Doch bisher liegen keine Daten vor. Selbst wenn, werden diese nur bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung erhoben, nicht bei regulären psychiatrischen Krankenhäusern. „So lassen sich keine Erkenntnisse gewinnen.“ Stubican nennt das einen „Webfehler“ des Gesetzes.

Der Geschäftsführer des Krisendienstes Mittelfranken, Volker Haßlinger, tut sich mit einer Bewertung des PsychKHG schwer. Viele Zahlen hätten wegen der Corona-Krise nur wenig Aussagekraft. Gleiches gelte für die Krisendienste Oberbayern und Mittelfranken, die erst im Juli 2021 mit der Arbeit begonnen haben. Dringend gelöst werden muss laut Haßlinger der Pflegepersonalmangel. „Dieser führt oft zu Zwangsmaßnahmen, die mit mehr Personal hätten vermieden werden können.“

Rund um die Uhr Hilfe für psychisch kranke Menschen

Karl Heinz Möhrmann, Vorsitzender der Angehörigen psychisch Kranker in Bayern, hebt positiv die flächendeckende Verankerung der Krisendienste im Gesetz hervor. Er wünscht sich aber eine Erweiterung der Dienste in Richtung nachsorgender Betreuung. „Auch gibt es keine gesetzliche Verpflichtung zur Betreuung chronisch psychisch erkrankter Menschen.“ Möhrmann verlangt außerdem mehr personenzentrierte Angebote wie die stationsäquivalente Behandlung zu Hause.

Der Ärztliche Direktor des kbo-Inn-Salzach-Klinikums und Sprecher für seinen Berufsstand in Oberbayern, Prof. Dr. Peter Zwanzger, wünscht sich zusätzlich zu den blanken Unterbringungszahlen ein echtes Monitoring wie in Baden-Württemberg, um Prozesse zu verbessern. „Das können wir mit dem aktuellen Meldesystem nicht.“ Auch müsste noch mehr Werbung für die Krisendienste gemacht werden. Insgesamt sieht Zwanzger das PsychKHG aber auf einem guten Weg.

Lob kommt auch von Dr. Alexander Korte, Leitender Oberarzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Klinikum München. Er hebt besonders die 24-Stunden-Hotline der Krisendienste und die Hilfe der Sozialpsychiatrischen Dienste hervor. „Für die Versorgung von Kindern und Jugendlichen hat sich durch das PsychKHG aber nichts geändert.“ Verbesserungsbedarf sieht er bei den Krisenangeboten für Jugendliche bis 16 Jahre, bei Entstigmatisierungsprojekten und Präventionsangeboten.

Vorschläge sollen schnell umgesetzt werden

Dr. Simona Kralik, Ärztliche Leiterin des Krisennetzwerks Unterfranken, lobt ebenfalls die Krisendienste mit ihrer 24-Stunden-Bereitschaft. Noch fehle aber die Vernetzung. „Wir haben so viele Angebote, aber A weiß nichts von B“. „Nicht glücklich“ ist sie mit dem Unterbringungsteil des PsychKHG. Kralik wünscht sich einen engeren Austausch der Krisendienste mit der Polizei und den Unterbringungsbehörden. „Noch sind die Krisendienste nicht Bestandteil der Routine.“

Celia Wenk-Wolff vom Bayerischen Bezirketag zieht eine positive Bilanz. Das PsychKHG habe viele Partner vernetzt und neue Gespräche angestoßen, beispielsweise zwischen Jugend- und Eingliederungshilfe. Was ihr fehlt ist ein Melderegister, das alle Zwangsmaßnahmen, aber auch Gewalt gegen Mitarbeiter erhebt. Und: „Was erheblich zu Entstigmatisierung beitragen würde, wenn psychisch Kranken nicht so häufig gleich der Führerschein abgenommen würde.“

Der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, Bernhard Seidenath (CSU), versprach, die Stellungnahmen der Fachleute so weit wie möglich umzusetzen. Exemplarisch nannte er die Themen Verwaltungsvorschriften und Führerschein. Entstigmatisierung, Aufklärung und Werben für Verständnis sei aber auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Ich glaube aber“, schloss er die Sitzung, „wir sind auf einem guten Weg.“ Die Vorsitzende des Sozialausschusses, Doris Rauscher (SPD), dankte am Ende der Anhörung den Experten für ihre wertvollen Beiträge und Einschätzungen zu diesem wichtigen Thema. Stellungnahmen anderer Fraktionen gab es nicht.

/ David Lohmann

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