Chancen und Risiken der Nutzung einer verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform in der Polizeiarbeit

Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport

16. Mai 2024

MÜNCHEN.        Fachleute diskutierten im Landtag über den Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Polizeiaufgabengesetzes. Dabei ging es vor allem um die Nutzung der verfahrensübergreifenden Recherche- und Analyseplattform (VeRA) der Bayerischen Polizei. Während insbesondere die Praktiker die Vorteile durch deren Einsatz bei der Fahndung begrüßten, hatten Datenschützer verfassungsrechtliche Bedenken beim massenhaften Einsatz der neuen Technologie.

Für Klaus Teufele vom Bayerischen Landeskriminalamt ist klar: Es braucht VeRA als zentrale Recherchequelle. „Die polizeilichen Daten liegen alle verstreut und müssen zum Beispiel bei einem Anschlag manuell zusammengesucht werden.“ Das sei gerade in Zeiten von Personalmangel sehr zeitaufwändig, fehleranfällig und kompliziert. Die US-Firma Palantir habe bei der Ausschreibung als einziges Unternehmen alle Anforderungen erfüllt. „Es ist aber kein Fernzugriff möglich“. Zudem sei der Quellcode geprüft worden und der Zugriff nur geschultem Personal gestattet.

Zu einem anderen Ergebnis kam Jurist Professor Mark A. Zöller von der LMU München. „Natürlich hätte die Polizei gerne viele Daten, aber nicht alles ist verfassungsrechtlich zulässig.“ Schon die vorschnelle Beschaffung von VeRA sei problematisch gewesen. „Verabschieden Sie das Gesetz nicht ohne Nachbesserung, sonst wird es Karlsruhe kassieren“, mahnt er die Abgeordneten.

Polizeirechtler Professor Markus Thiel von der Deutschen Hochschule der Polizei hingegen hatte keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Nutzung technischer Hilfsmittel habe das Bundesverfassungsgericht nicht bestandet, wenn gleichzeitig die Eingriffsschwellen erhöht werden, also die Kriterien ab wann VeRA genutzt werden darf. „Das halte ich für sachgerecht.“ Nachbesserung hielt er dennoch für unvermeidbar. Beispielsweise gebe es einige sprachliche Unklarheiten. „Diese Schwachstellen sind aber leicht zu beheben“, war Thiel überzeugt.

Deutlich mehr Änderungen forderte Dr. Simone Ruf von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Wie werde sichergestellt, dass die VeRA-Daten nur für die vorgesehenen Zwecke genutzt werden, fragte sie. „Man merkt ja nicht, dass man kontrolliert wird.“ Auch sorgte sich Ruf, dass der Einsatz einer solchen Recherche- und Analyseplattform manche Menschen diskriminierten könnte, beispielsweise durch Racial Profiling. Nicht zuletzt verlangte sie, keine Daten von Personen zu speichern, die nicht polizeilich auffällig waren – beispielsweise von Zeuginnen und Zeugen.

„Überprüfung von Millionen unbescholtener Bürger“

Bayerns Landesdatenschutzbeauftragter Professor Thomas Petri kritisierte insbesondere, dass VeRA alle Datenbanken zusammenführen und analysieren soll. „Es hat durchaus rechtliche Gründe, warum einzelne Daten in verschiedenen Datenbanken gespeichert sind“, erklärte er. Allein das Vorgangsverwaltungssystem umfasse fast 40 Millionen Daten. Selbst wenn es nur die Hälfte seien, wären mehr unbescholtene Personen betroffen als Bayern Einwohner hat. „Da kann man nicht mehr von einem mittelschweren Eingriff sprechen.“ Seine Empfehlung: „Reduzieren Sie dringend den Kreis der Betroffenen.“

Rechtswissenschaftler Professor Markus Möstl vom Lehrstuhl für öffentliches Recht von der Universität Bayreuth widersprach Petri. „Die Polizei braucht nicht nur Daten, sondern muss daraus auch Schlüsse ziehen können.“ Dies sei nicht nur legitim, sondern auch vom Schutzauftrag in der Verfassung gedeckt. Entsprechend führt laut Möstl ein innerpolizeiliches Trennungssystem zu weit. Sein Fazit: Der Gesetzentwurf zeige große Sorgfalt bei dem, was das Verfassungsgericht vorgegeben habe. „Ich halte das für plausibel.“

Stefan Heißenhuber vom Fachbereich Polizei der Hochschule für den öffentlichen Dienst in Bayern zeigte sich ebenfalls offen für den Einsatz von VeRA. „Natürlich ist das ein Grundrechtseingriff, aber mit deutlicher Limitierung.“ Schließlich dürfe die Polizei nur bei einem gewichtigen Eingriff die Daten nutzen und selbst dann nur die polizeiinternen Basisdaten – Daten aus der Wohnung, Onlinedurchsuchungen oder Audiodateien seien davon ausgeschlossen. Auch der Zugriff sei auf ein Prozent der Beamten reduziert. „Kein Polizist wird einfach seinen Nachbarn prüfen können.“

„Die Polizei braucht digitale Chancengleichheit mit den Kriminellen“

Auch Polizeipräsident Günther Gietl vom Polizeipräsidium Oberbayern Nord sprach sich für die Nutzung von VeRA aus. Er sei jetzt seit vielen Jahrzehnten im Dienst und die Täter würden zunehmend auf Technik und Digitalisierung setzen, zum Beispiel beim Enkeltrick durch automatisierte Anrufe aus ausländischen Callcentern. „Wir brauchen einfach Chancengleichheit.“ Auch nach einem Anschlag sei immer die erste Frage: „Warum habt Ihr das nicht gewusst oder verhindert?“ Daher sorgte der Gesetzentwurf für Rechtssicherheit.  

In der anschließenden Fragerunde der Abgeordneten betonte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Florian Siekmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), dass es aus seiner Sicht nicht gerechtfertigt sei, die Daten von 20 Millionen unbescholtenen Bürgern zu überprüfen, um beispielsweise einen Enkeltrickbetrüger ausfindig zu machen. Sein Kollege Benjamin Adjei wies auf die hohe Fehleranfälligkeit der Datenbanken hin und ergänzte, dass selbst wenn nur ein Prozent der Polizeibeamten Zugriff auf VeRA hätten, dies in Bayern 4000 Personen seien.

Horst Arnold (SPD) wies darauf hin, dass bei der Datenauswertung von VeRA unangemessene oder verzerrende Daten vermieden werden müssten. „Mit anderen Worten: Diskriminierung muss vorgebeugt werden.“ Dies erkenne er aber im aktuellen Gesetzentwurf nicht wieder. Zudem hielt es Arnold für eine Schwäche, dass unter anderem auch die Daten von Rechtsanwälten in den Datenbanken sind. „Wie lässt sich das in Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht bringen?“

Die CSU sah sich durch die guten Argumente der Fachleute gestärkt

Natürlich habe das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informelle Selbstbestimmung gestärkt, sagte Alfred Grob (CSU). Aber die Experten hätten ja jetzt mit guten Argumenten die Wichtigkeit des Gesetzesentwurf unterstrichen. Außerdem gebe es einen Unterschied zwischen einfachen und analysierten Daten. Grob persönlich habe als unverdächtige Person trotz Kontrollen nie das Gefühl gehabt, sich bedroht zu fühlen – das Thema Verhältnismäßigkeit sei immer gewahrt worden.

Wolfgang Hauber (FREIE WÄHLER) wies abschließend darauf hin, dass eine manuelle Auswertung von Datenbanken auch zu mehr Treffern führen würde. „VeRA macht das automatisch“, sagte er. Entsprechend handele es sich dabei sogar um ein datensparsames Vorgehen.

/ David Lohmann

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