Anhörung zum Thema "Bedrohung durch islamistischen Terrorismus in Bayern"
Ausschuss für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport
5. Dezember 2024
MÜNCHEN. Die Gefährdung durch islamistisch motivierten Terrorismus ist nicht gebannt. Das zeigen aktuell die mutmaßlichen Anschlagspläne eines Irakers auf einen Weihnachtsmarkt in Augsburg. Eine Expertenanhörung im Ausschuss für Kommunale Fragen und Innere Sicherheit ging Ursachen, Hintergründen und Lösungsansätzen zur Gefahrenabwehr nach.
In Bayern leben derzeit rund 4200 Personen, die radikales islamistisches Gedankengut propagieren. Diese Zahl nannte der Vizepräsident des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV), Josef Schinabeck, zum Einstieg in eine Expertenanhörung des Innenausschusses zum Thema "Bedrohung durch islamistischen Terrorismus in Bayern". Die Zahl der offen gewaltorientierten Personen bezifferte Schinabeck auf 79. Es bestehe weiterhin eine "hohe abstrakte Gefährdungslage". Jüngst versuchte oder vollendete Taten hätten gezeigt, dass sich der Trend weg von komplexen Anschlägen mit hohem Organisations- und Logistikaufwand hin zu kleinen Attacken von Einzeltätern mit einfachen Tatwaffen ohne große Vorplanung verschiebe.
Seit Hamas-Überfall "höhere Gewaltbereitschaft"
Seit dem Überfall der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 verzeichne man in der Szene eine "höhere Gewaltbereitschaft" vor allem bei Kindern und Jugendlichen, die sich über das Internet und die sozialen Netzwerke radikalisierten, berichtete Schinabeck. Islamistische Terrorgruppen aus dem Nahen Osten und Zentralasien sprächen die jungen Menschen gezielt mit altersgerechten Propaganda-Videos an. Damit einmal in Berührung würden die Nutzer immer tiefer in die islamistische Blase gezogen, sie radikalisierten sich durch "gegenseitiges Aufstacheln". Die religiöse Fundierung spiele dabei eine immer geringere Rolle.
Diese Entwicklung bestätigte auch Professor Mouhanad Khorchide vom Zentrum für Islamische Theologie der Universität Münster. "Alle radikalisierten Islamisten kommen heute über anti-westliche Rhetorik", erklärte er. Den Koran und seine Aussagen würden die wenigsten profund kennen. Die dogmatisch-religiöse Sprache früherer Zeiten werde durch eine emotional-moralisierende ersetzt. Es werde propagiert, dass sich Muslime gegen den Westen solidarisieren und wehren müssten. Es gebe eine "große anti-westliche Erzählung", für die unter anderem der Krieg in Gaza instrumentalisiert werde, analysierte Khorchide.
Islam als Ursache?
Dieser auch von anderen Experten geteilten Einschätzung widersprach Irfan Peci, der als 17-Jähriger das deutschsprachige Propaganda-Programm von Al-Qaida geleitet hatte, sich später aber vom radikalen Islamismus losgesagt hat. Er halte die islamistische Ideologie weiterhin als den entscheidenden Terrortreiber, erklärte Peci, der heute einen islamkritischen YouTube-Kanal betreibt. Der politische Islam sei die ideologische Grundlage. Als Indiz dafür brachte er vor, dass nur muslimische Geflüchtete Anschläge verübten, nicht aber solche aus der Ukraine oder in früheren Jahren vom Balkan. "Man muss über den Islam als Ursache sprechen", erklärte Peci.
Professor Peter Neumann vom King's College in London berichtete von einer Vervierfachung dschihadistischer Aktivitäten in Europa seit dem 7. Oktober 2023. "Ich glaube, da rollt eine Welle auf uns zu", warnte er. Es gebe auch neue Tätertypen. Zum einen seien da die "Teenager-Terroristen". Zwei Drittel der zuletzt Festgenommenen seien 19 Jahre oder jünger gewesen. Auch Neumann bestätigte deren Radikalisierung über das Internet. Zweitens sei eine regionale Verschiebung zu beobachten. Die Terrorzellen agierten heute weniger aus dem arabischen Raum oder aus Afghanistan, sondern aus post-sowjetischen Staaten Zentralasiens. "In Terroristenkreisen wird heute mehr russisch als arabisch gesprochen", teilte Neumann mit.
Hoher Geflüchtetenanteil unter den Verdächtigen
Als besonders beachtenswert führte Neumann aus, dass in Deutschland rund 90 Prozent der festgenommenen Attentäter oder Anschlagsverdächtigen einen Fluchthintergrund hätten. Darüber müsse gesprochen werden, auch wenn die absolute Zahl sehr gering sei. Neumann nannte die Zahl von 45 Verhafteten seit 2015 bei allerdings gleichzeitig ins Land gekommenen zwei Millionen Geflüchteten. 99,998 Prozent würden also nicht zu Terroristen, trotzdem müsse diesem Personenkreis besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Denn jeder Täter aus dem Kreis der Geflüchteten sei ein "Brandbeschleuniger" für rechte Demokratiefeinde. "Wer Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bekämpfen will, muss diese Art des Terrorismus bekämpfen", sagte Neumann. Gestützt wurde dies von Guido Steinberg von der Stiftung Politik und Wissenschaft. "Der sicherheitsrelevante Aspekt der Zuwanderung wird mir noch zu sehr unterbewertet", erklärte er. Es brauche eine Verknüpfung von Migrationspolitik und Terrorismusbekämpfung, so umstritten das in der politischen Debatte auch sein möge.
Den Blick auf die Finanzierung radikal-islamischer Gruppierungen richtete Rebecca Schönenbach, unabhängige Beraterin im Bereich Terrorismusbekämpfung. Oft würden von den Organisationen unter dem Deckmantel der humanitären Hilfe für palästinensische Opfer des Gaza-Krieges Spenden gesammelt, die stattdessen direkt in die Terrorfinanzierung flössen. Auch Eintrittsgelder für Veranstaltungen von Wanderpredigern würden entsprechend abgezweigt. Stärker in den Fokus genommen werden muss nach Ansicht Schönenbachs auch die Finanzierung radikaler Gruppen durch Golf-Staaten oder den Iran. Außerdem verstünden es die Gruppen über Tarnorganisationen in Deutschland Fördergelder zum Beispiel für vermeintlich soziale Projekte abzugreifen. Hier brauche es klarere gesetzliche Regeln und strengere Verwendungskontrollen, forderte Schönenbach.
Mehr Prävention und "virtuelle Lockvögel"
Zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus brachten die Experten ein ganzes Bündel an Vorschlägen ein. Khorchide brachte als präventive Maßnahme eine Art Gegenpropaganda ins Spiel. "Wir brauchen eine positive Gegenerzählung, die den Westen und seine Werte positiv konnotiert", sagte er. Diese müsse prominent in den sozialen Medien und im Bildungssystem platziert werden. Außerdem müssten Berichte Geflüchteter in den Vordergrund gerückt werden, die die in ihrem Gastland gebotenen Chancen genutzt und sich erfolgreich integriert hätten. LfV-Vize Schinabeck plädierte für eine Ausweitung des staatlich organisierten Islam-Unterrichts an Schulen. Fundiertes und wissenschaftlich aufbereitetes religiöses Wissen schütze nachweisbar vor Radikalisierung. Dominik Irani vom Bayerischen Landeskriminalamt ergänzte, es müsse die Medienkompetenz der Jugendlichen gestärkt werden, insbesondere der kritische Umgang mit Inhalten aus dem Internet und den sozialen Medien.
Neumann ging einen Schritt weiter und forderte einen "strengeren Umgang" der Politik mit den sozialen Plattformen. Diese müssten unter Strafandrohung dazu verpflichtet werden, radikale Inhalte konsequenter auszufiltern. Zudem brauche es "virtuelle Agenten" im Internet, die sich in die geschlossenen Chat-Gruppen der Radikalen einschleichen können müssten. Auch Steinberg plädierte für eine "aggressive nachrichtendienstliche Aufklärung". Mit klassischen Methoden komme man nicht weiter. Als eine Möglichkeit nannte er "virtuelle Lockvögel", um an die Identität von verdeckt agierenden Radikalen zu gelangen. In den USA werde dies erfolgreich praktiziert. Andere Experten bezweifelten allerdings, ob das mit dem deutschen Rechtssystem vereinbar wäre.
Ermittler bei Handy-Überwachung "taub"
Aus Sicht der Ermittler sprach sich Staatsanwältin Rita Vavra von der Bayerischen Zentralstelle für Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus für bessere Möglichkeiten zur Überwachung der digitalen Kommunikation aus. Bei der Überwachung der Online-Kommunikation seien die Ermittlungsbehörden "zu einem gewissen Maße taub", die Überwachung und Auswertung verschlüsselter Chats sei mit derart hohen rechtlichen und technischen Hürden versehen, dass sie kaum angewendet würden. "Die Leute nutzen ihr Handy und wir kriegen nichts mit", fasste Vavra die Lage zusammen. Der Ex-Islamist Peci forderte ein "hartes Durchgreifen" des Staates gegen den politischen Islam. Hilfreich könnten schon Burka- oder Minarett-Verbote sein. Dies schrecke Islamisten ab, sie würden in Regionen ausweichen, in denen sie leichter agieren könnten. Belege für seine Behauptungen brachte Peci trotz Nachfragen des stv. Ausschussvorsitzenden Florian Siekmann (BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN) nicht vor.
/ Jürgen Umlauft