Innenausschuss: Anhörung zur effektiveren Überwachung gefährlicher Personen
Mittwoch, 17. Mai 2017
– Von Jan Dermietzel –
Um gefährliche Personen im Freistaat künftig effektiver überwachen zu können, hat die Staatsregierung einen Gesetzentwurf vorgelegt, der Änderungen im Polizeiaufgabengesetz und im Bayerischen Datenschutzgesetz vorsieht. In einer Anhörung des Ausschusses für Kommunale Aufgaben, Innere Sicherheit und Sport haben die Abgeordneten diesen Entwurf mit Rechtsexperten diskutiert.
Der Gesetzentwurf greife die Herausforderungen einer veränderten Sicherheitslage auf, um vor dem internationalen Terrorismus zu schützen, erklärte Ausschussvorsitzender Dr. Florian Herrmann (CSU) zu Beginn. „Dafür brauchen wir wirksame Gesetze und keine Gesetzesattrappen. Aber sie müssen natürlich verfassungskonform sein.“
Laut Prof. Dr. Thomas Petri, dem Bayerischen Landesbeauftragten für den Datenschutz, nimmt der Gesetzentwurf an vielen Stellen Bezug auf das Bundeskriminalamtgesetz (BKAG). Diese Parallelen sah Petri so nicht. Schließlich gehe es im BKAG um Überwachungsmaßnahmen ohne Kenntnis des Überwachten und im bayerischen Gesetzentwurf um offene Maßnahmen. Neu führe der Gesetzentwurf den Begriff der „drohenden Gefahr“ ein.
Prof. Dr. Markus Möstl, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht II der Universität Bayreuth, nahm den Gesetzgeber in Schutz. Er sei auf Bundes- wie Landesebene angesichts „einer ungewöhnlichen Dichte an Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht derzeit nicht zu beneiden“, wenn es um die Überwachung gefährlicher Personen gehe. Diese Herausforderung bestehe der Gesetzentwurf allerdings. Er schreibe die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht wortwörtlich ab, setze eigene Akzente und bleibe dabei verfassungsgemäß. Der Begriff „drohende Gefahr“ sei zwar neu, aber auch sinnvoll, denn er bilde den Zeitraum im Vorfeld einer konkreten Gefahr ab. Hier habe bislang eine „Schutzlücke“ bestanden.
Ganz anders sah es Dr. Markus Löffelmann, Richter am Landgericht München: Er sei als Richter auf Gesetze angewiesen, die ihm einen klaren Rahmen setzten, wie das Gesetz anzuwenden sei. Diesen klaren Rahmen vermisse er im vorliegenden Entwurf. Der Begriff „drohende Gefahr“ sei unklar und noch zu wenig durchdacht. Denn eine „Gefahr“ definiere das Recht als „drohende Verletzung“. Also sei eine „drohende Gefahr“ eine „doppelt drohende Verletzung“. Damit könne er nichts anfangen. Scharf kritisierte Löffelmann, dass die Polizei künftig sogenannte Störer genau so behandeln dürfe wie Nicht-Störer, wenn es um Platzverweise, Aufenthaltsgebote und Kontaktverbote gehe. Dies verstoße gegen das Verbot der faktischen Gleichbehandlung. Auch beim Präventivgewahrsam sah Löffelmann „mehrere Freiheitsgrundrechte verletzt“. Diese ursprünglich kurzfristig angelegte Inhaftierungsmaßnahme sei nun jeweils auf drei Monate immer wieder verlängerbar. Die Voraussetzungen seien so großzügig, dass sich damit sogar jemand in Haft nehmen ließe, der sich durch zu viel Alkoholgenuss selbst in Gefahr bringe. „Das geht zu weit“, befand Löffelmann.
Prof. Dr. Josef Franz Lindner, Ordinarius für Öffentliches Recht, Medizinrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Augsburg, lobte den Gesetzentwurf. Er sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und enthalte sogar einige rechtsstaatliche Fortschritte gemäß Artikel 99 des Grundgesetzes (GG). Hier verlange das GG vom Gesetzgeber, auf neuartige Gefährdungen zu reagieren. Der Begriff „drohende Gefahr“ möge „sprachlich missglückt“ sein, inhaltlich indessen werde er im Gesetzentwurf mehrfach von Konkretisierungen eingehegt. Wer nicht als Störer auftrete, brauche sich auch künftig nicht vor der Polizei zu fürchten: Verfassungskonform ausgelegt könne die Polizei gegen Nicht-Störer nur im äußersten Fall vorgehen.
Für den Bayerischen Richterverein erklärte Barbara Stockinger, Richterin am Oberlandesgericht München: Der Gesetzentwurf sehe eine Dauerüberwachung per elektronischer Fußfessel vor. Dies sei in der Strafprozessordnung streng geregelt, eine „drohende Gefahr“ reiche für eine solche Maßnahme bislang nicht aus. Stockinger störte sich vor allem daran, dass eine unbescholtene Person nach dem Entwurf genau so behandelt werden könne wie ein verurteilter Straftäter. Beim Präventivgewahrsam liege künftig jegliche Verantwortung beim Richter, wenn es darum gehe, ob ein Verdächtiger weitere drei Monate in Haft bleibe oder freikomme. „Wie soll ein Richter feststellen, dass von dieser Person plötzlich keine Gefahr mehr ausgeht?“, fragte Stockinger. Herkömmliche Prüfmaßstäbe wie ein dringender Tatverdacht, ein Fluchtgrund sowie die Überprüfung der Haft nach sechs Monaten durch das Oberlandesgericht seien hierbei nicht anwendbar.
Auch Rechtsanwalt Hartmut Wächter von der Rechtsanwaltskammer München kritisierte den geplanten Präventivgewahrsam. „Menschen, denen keine strafbare, keine greifbare Tat zur Last gelegt wird, sollen auf unbestimmte Zeit eingesperrt werden nur auf Grundlage ihrer Gesinnung.“ Das Argument, mit diesem Mittel ließe sich verhindern, dass potenzielle Terroristen zum Attentatslehrgang nach Syrien reisen, greife nicht. Wer an solchen Trainings teilnehme und nach Deutschland zurückkehre, könne jetzt schon festgenommen werden. „In einem Rechtsstaat muss die rote Linie klar sein: Wenn ich dies tue, laufe ich Gefahr eingesperrt zu werden.“ Aber diese rote Linie, ein klar umrissener Tatbestand, fehle im Gesetzentwurf. Man könne auch in Haft kommen ohne jegliche strafbare Handlung. Dies sei „in Deutschland seit 1945 nicht möglich“ gewesen.
Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Würzburg, bezeichnete den Gesetzentwurf als „mutige, experimentelle Gesetzgebung“. Von anlassloser Inhaftierung „wie etwa im US-Gefangenenlager Guantanamo“ könne aber keine Rede sein. Der Entwurf setze mutige eigene Akzente, die rechtfertigungsbedürftig seien, aber durchaus auch rechtfertigungfähig. „Wir haben es hier mit Prognoseentscheidungen und Unsicherheitsfaktoren zu tun. Aber man muss versuchen, auch diffusen Gefahren mit dem Polizeirecht Herr werden zu können“, so Schwarz. Es sei besser, einen potenziellen Terroristen präventiv vor seinem Training in der Wüste zu ergreifen statt danach. Das bedeute aber nicht, dass jeder, der ein Flugticket nach Syrien buche, künftig ohne weiteres inhaftiert werden könne. Der Gesetzentwurf betrete Neuland, in dem die Polizei künftig nicht nur Informationen sammeln, sondern auch bereits im Vorfeld eingreifen könne.
Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe
Für Katharina Schulze (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) geht der Gesetzentwurf zu weit: „Alle diese Maßnahmen lassen sich auch gegen Bürger richten, die nichts mit Terror zu tun haben.“ Franz Schindler (SPD) stellte fest, der vorliegende Gesetzentwurf weite Polizeibefugnisse und repressive Möglichkeiten massiv aus, „und zwar nicht nur in der Terrorabwehr, sondern mit Auswirkungen auf viele Bereiche, die mit Terror gar nichts zu tun haben“. Joachim Hanisch (FREIE WÄHLER) kritisierte „die Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die bei der Auslegung zu großen Problemen führen werden“.